Ich bin schwul und das ist auch gut so«. Mit diesem stolzen, inzwischen ziemlich totzitierten Bekenntnis zur Abweichung konnte Klaus Wowereit vor ein paar Monaten noch Punkte bei seinen Genossen sammeln. Doch was wäre gewesen, hätte er gesagt: »Ich bin arbeitsscheu. Und das ist auch gut so.« Vermutlich hätten sie den Parasiten am arbeitenden Volkskörper sofort ins Straflager für Arbeitslose geschickt, Unkraut jäten im Berliner Tiergarten oder in die coole orange Zwangsjacke bei der Berliner Stadtreinigung gesteckt und ihm zugerufen: »You kehr for us!«

Mit seinem gewohntem Feinsinn für sensible Diskurse hatte der stammtischerprobte Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende schon vor Monaten die Jagd auf »Drückeberger« und »Faulenzer« eröffnet. Ganz so, wie einst Helmut Kohl über den »kollektiven Freizeitpark« gelästert hatte. Nichts kennzeichnet das Niveau, auf das das einmal als Reformprojekt gedachte Bündnis Rot-Grün herabgesunken ist, besser als das Titelthema, mit dem der Vorwärts in seiner neuesten Ausgabe aufwartet. »Kein Recht auf Faulheit« titelt der und weiter: »Nur Geld kriegen, das ist vorbei«. Nach der Kultur der Solidarität kommt nun die Kultur der Denunziation. Auf dem Titelbild stecken zwei Arbeitslose die Hände in die Taschen, im Blatt liegen sie faul in der Sonne. Die Titelstory listet zahlreiche Beispiele von Sozialhilfeempfängern auf, die keine Lust haben zu arbeiten, philosophiert über »Sozialrechte« und »Sozialpflichten«. Die Partei ist nervös. Die Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bleiben aus. An allen Ecken bricht der konzeptionslose Laden auseinander. Dem zukünftigen Schröder-Herausforderer Koch und seiner Idee vom Wisconsin-Modell glaubt die SPD - wie schon so erfolgreich bei der Asyldebatte erprobt - den Wind mit vorauseilendem Gehorsam aus den Segeln zu nehmen. Genüsslich listet der Vorwärts auf, wo man jetzt schon die Daumenschrauben anlegen und die »Faulenzer« zur Arbeit zwingen kann. Nicht der Arbeitsmarkt ist Schuld, werden sich die Genossen beim Vorwärts angesichts der Beschäftigungsflaute gedacht haben, sondern die Arbeitslosen. Wenn man schon am arbeitsplatzschaffenden System nichts ändern kann, kann man sich ja wenigstens an den Opfern schadlos halten.

Es ist nicht alles falsch an den Thesen von Tony Blairs Vordenker Anthony Giddens, dass der Sozialstatt, so wie er jetzt strukturiert ist, nicht unbedingt die autonome Selbsthilfe der in die Stütze Geratenen anstachelt. Doch einen Diskurs darüber strebt die SPD gar nicht an. Sie stigmatisiert lieber. Und will ihre Version von Arbeit macht frei gern handfest implementieren. Zur arbeitsfördernden Lebenshilfe gehört in der Sozialdemokratie neuerdings, weiß Redakteurin Susanne Dohrn im Editorial des Vorwärts, »manchmal auch der berüchtigte Tritt in den Hintern«. Bei dieser autoritären Arbeitsphantasie möchte man schon fast wieder Alt-68er werden und rufen: »Wir bleiben unserem Motto treu: Schwul, pervers und arbeitsscheu.«

Der Vorwärts nennt sich in seiner neusten Ausgabe die »Deutschlands erfolgreichste Parteizeitung«. Das ist natürlich ein grandioser Euphemismus. In Wahrheit ist er die masochistischste Parteizeitung der Welt. Noch jede Verschlimmbesserung seiner journalistischen Substanz, noch jeden Maulkorb und jede Kastrierung des Traditionsblattes haben die Genossen so widerstandslos hingenommen wie Franz Münteferings Strammsteh-Appelle an die Mazedonien-Abweichler in der Fraktion. Mit dem Ergebnis, dass der Vorwärts nun gehorsamer Parteilautsprecher geworden ist. Kann man einem Blatt, das so oft in den Hintern getreten worden ist, verdenken, dass es nun auch mal selber treten will?

Mag sein, dass der persönliche Mensch Klaus Wowereit »Taktgefühl« besitzt, wie seine politische Partei gerade an allen Ecken und Enden in Berlin plakatieren lässt. Der Vorwärts besitzt es jedenfalls in einem bislang ganz ungeahnten Maß. Ende September will das Blatt mit großem Bahnhof in der Berliner Arena sein 125-jähriges Bestehen feiern und hat dazu »über 2.000 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft« geladen. Vielleicht können ein paar wieder fleißig gewordene Sozialhilfeempfänger denen im Festzelt aus dem Mantel helfen! Braucht die Sozialdemokratie Lebenshilfe? Die Berliner Abgeordnetenhauswahlen böten dazu die passende Gelegenheit. Notfalls fördert Denkprozesse in Sachen Solidarität übrigens auch - der berüchtigte Tritt in den Hintern.

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