Trotz und Staunen

10. Afrikamera Das Berliner Festival legt seinen Schwerpunkt in diesem Jahr auf die Länder der Sahelzone
Ausgabe 46/2017

Alljährlich versammelt das Programm von Afrikamera aktuelles afrikanisches Kino: undogmatisch, in alle Richtungen ausgreifend, bisweilen etwas hit and miss. Geografischer Schwerpunkt in diesem Jahr: die Sahelzone. Ansonsten waltet die Logik des Best-of, etliche der neueren Produktionen kommen direkt aus dem Festival-Circuit des Kontinents.

Wùlu etwa, das Langfilmdebüt des franko-malischen Regisseurs Daouda Coulibaly, riss das Publikum des diesjährigen FESPACO zu Begeisterungsstürmen hin, ein fulminanter Gangsterfilm, der einschlägige Genreformeln nach Bamako trägt, wo sie mal besser und mal schlechter greifen. Dass gelegentliche Geschmacksunsicherheiten dem temporeichen Spaß keinen Abbruch tun, ist dem intensiven Hauptdarsteller Ibrahim Koma als aufstrebendem Drogenkurier Ladji zu danken. Sein Scarface-Wiedergänger hat eine berechnende Intelligenz, die dem Original abgeht.

Koma spielt in einem weiteren FESPACO-Favoriten mit, allerdings in einer Nebenrolle, an der Seite des nicht minder einprägsamen Makan Nathan Diarra, der in Berni Goldblats Wallay vom überforderten Vater zwecks Mannwerdung aus der französischen Banlieue ins burkinische Dorf seiner Herkunft geschickt wird – und dessen teils touristischen, teils familiären Teenager-Blick zwischen Trotz und Staunen der Film zu teilen einlädt.

Daneben bietet das Programm von Afrikamera die Gelegenheit, das vor 40 Jahren entstandene senegalesische Historienepos Ceddo wiederzusehen, Ousmane Sembènes Präzisionsschlag gegen den Einzug des Monotheismus (und seiner Profiteure), außerdem mehrere Dokumentarfilme, die sich mit der Besetzung Malis durch Dschihadisten diverser Couleur und Abstammung beschäftigen. Jean Crépus Sur la piste des manuscrits de Tombouctou stellt schwierige Fragen zur Sicherung bedrohten Kulturerbes (Soll man die Manuskripte der weltberühmten Bibliothek von Timbuktu zur Verwahrung nach Paris schaffen?), entschlägt sich im neutral-fernsehkompatiblen Gestus aber der eigenen Stellungnahme.

Anders der mit Videokamera bewehrte embedded journalism von Mamadou Cissés Devoir de mémoire. Dessen Oral History der Besetzung setzt zwar einiges Vorwissen voraus, wartet dafür aber mit Aufnahmen aus dem Inneren der besetzten Gebiete auf. Eine Entdeckung unter den Dokumentaristen ist Andrey Samouté Diarra. Sein Hamou Beya, pêcheurs de sable erzählt von unterbrochenen Natur- und Erwerbskreisläufen am Fluss Niger. Der gesunkene Wasserpegel treibt ehemalige Fischer vom Land ins Einzugsgebiet der malischen Hauptstadt Bamako, wo sie nach im Flussbett sedimentiertem Sand tauchen.

Die nächtlichen Tauchgänge der sogenannten „Sandfischer“ sind das zentrale Sujet des Films, sein Sinnbild. Genauso wichtig sind Diarra die Zwischenhändler, die den Sand an Bauherren und Subunternehmer weiterverkaufen: die täglichen händeringenden Preisverhandlungen mit den Fischern und der Kundschaft, das Instandhalten der Pirogen und so weiter.

Noch eine Doku-Empfehlung: Aicha Mackys filigrane Filme zur Rolle der Frau in den Gesellschaften des Sahel entfalten ein quasi-soziologisches Interesse, ohne sich zu weit von den je bestimmten Frauen zu entfernen, die darin als Informantinnen auftreten – allen voran Macky selbst.

In L’arbre sans fruit macht sie ihre eigene Kinderlosigkeit zum Ausgangspunkt einer kritischen Befragung von Mutterschaft; in Savoir faire le lit, während des Studiums im Senegal gedreht, erfährt sie am eigenen Leib die feinen Unterschiede in der dortigen Auffassung und Ausstattung von Weiblichkeit. Mackys Sensibilität ist analytisch, aber nicht zersetzend; in nachgestellten Alltagsritualen wird soziale Performanz durchsichtig, bleibt aber intakt – ein beeindruckender Balanceakt zwischen kritischer Distanznahme und lebensweltlicher Nähe.

Info

10. Afrikamera-Festival Noch bis 19. November, Kino Arsenal, Berlin

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