Trugbilder

ÖKONOMIE UND NATION Den einflussreichsten Familien des Baskenlandes gehört ein Großteil der zentralspanischen Banken und Konzerne

Wirtschaftlich war das Baskenland zu Zeiten des Fordismus mit seiner traditionellen Schwerindustrie besonders seit dem Boom in den fünfziger und sechziger Jahren eine Wohlstandsregion innerhalb Spaniens. Die Industrie von Bilbao gründete sich auf Kohlebergbau, Stahlöfen und Werften. In den Unternehmen der Kleinstädte wurden Konsumgüter produziert. Mit dem Ende der fordistischen Massenproduktion kam eine bis heute anhaltende Strukturkrise. Sie beschleunigte 1975 das Ende der Franco-Diktatur und ihrer autoritären Variante fordistischer Staatswirtschaft, die unfähig war, auf die Herausforderungen eines postfordistischen nationalen Wettbewerbsstaates zu reagieren. Die Staatsfirmen aus der Ära Franco gingen mit der Öffnungspolitik gegenüber dem europäischen Markt (EU-Beitritt 1986) in Konkurs oder wurden privatisiert - die Autowerke von SEAT gehören heute VW.

Während die baskische Agrarindustrie und die industrielle Großfischerei auf dem EU-Markt Vorteile hatten, war die Union für die im gebirgigen Baskenland lebenden Kleinbauern und die Besatzungen kleiner Fischkutter in den Küstenregionen mit Verlusten verbunden. Da es aber zur Kleinviehwirtschaft, Fischerei und Fischverarbeitung sowie etwas Tourismus keine Alternative gibt, sind in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten größere Teile der ruralen Bevölkerung des Baskenlandes erkennbar verarmt.

Der von der Regierung Aznar Anfang 1997 beschlossene »Plan zur Liberalisierung und Ankurbelung der wirtschaftlichen Aktivitäten« mit seinen Deregulierungs- und Privatisierungsintentionen wird unter diesen Umständen von der nationalistischen Bewegung im Baskenland häufig als Angriff des spanischen Staates auf die eigene Nation gesehen - nicht als Umbau des Kapitalismus. ETA sieht sich im antikolonialen Kampf für die nationale Unabhängigkeit und betrachtet »spanischen und französischen Kolonialismus« völlig losgelöst von der tatsächlichen Kapitalstruktur der Region. So wird bewusst übersehen, dass den einflussreichsten Familien des Baskenlandes heute ein Großteil der zentralspanischen Banken und Konzerne gehört, das Pro-Kopf-Einkommen im Baskenland das zweithöchste der spanischen Regionen ist und die Fördermittel der PNV-Regionalregierung vorzugsweise in neue High-Tech-Branchen fließen. Dem Boom für die neuen Mittelschichten stehen unsichere Beschäftigungsverhältnisse für die unteren Schichten gegenüber. Doch eine Wahrnehmung davon intendierter sozialer Widersprüche wird von ETA zugunsten der Vorstellung von einer homogenen baskischen Nation verweigert. Nicht zuletzt davon geprägte Auffassungen ließen die Untergrundarmee mit ihren Operationen in eine Sackgasse driften: Soziale Kämpfe sind kein Thema - allein die nationale Sache steht im Vordergrund.

Insofern fehlte auch jedes innere Korrektiv, um Bombenattentate in südspanischen Supermärkten zu verhindern, die Ende der achtziger Jahre verübt wurden. 1987 zündete ein ETA-Kommando in einem Arbeitervorort von Barcelona während der Öffnungszeit eines Supermarktes der Hipercor-Kette eine Bombe, um »französische Interessen zu treffen«. 21 Menschen starben. Nach massiver Kritik linker Bündnispartner übte ETA Selbstkritik: Man hätte sich nicht darauf verlassen sollen, dass Besitzer und Polizei den Hipercor räumen. Aber 1995 ließ ein ETA- Kommando wieder eine Bombe in einem geöffneten Supermarkt hochgehen - wieder an der Mittelmeerküste.

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