Trumps Vermächtnis

USA Das Oberste Gericht könnte demnächst das Recht auf Abtreibung abschaffen. Das Urteil wäre ein kolossaler Triumph für Anhänger der „Pro-Life“-Bewegung – und Beleg für den politischen Einfluss, den Rechte durch den Supreme Court haben
Ausgabe 50/2021

Präsident Joe Bidens „Demokratiegipfel“ hat soeben vor Autokratischem gewarnt. Die USA selbst stehen wohl vor einer Zeit, in der eine von Republikanern aufgebaute rechte Judikative, besonders das Oberste Gericht, Schindluder treibt mit dem Gedanken, dass die Mehrheit den Ton angibt. Die Frauen und Männer in den Richterroben verhelfen bei gesellschaftlichen Fragen einer rechten Minderheit zur Macht. Das wie auch immer linke Amerika kann sich empören; es kommt aber zu spät. Bei Biden selbst fehlt die Dringlichkeit. Seine Studienkommission zur Reform des Obersten Gerichts hat Anfang Dezember einen Plan vorgelegt, zaghaft und im Rahmen des angeblich Möglichen, doch erst einmal für die Schublade.

Mississippi prescht vor

Fortschrittliche US-Amerikaner jubelten zu Regierungszeiten von Donald Trump über diesen oder jenen rüffelnden Richterspruch, wonach Gesetze auch für den Mann im Weißen Haus gelten. In Erinnerung an umwälzende Urteile des Obersten Gerichts zu Bürgerrechten in den 1950er- und 1960er-Jahren, zur Legalisierung von Abtreibungen in den 1970ern und zur Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe vor wenigen Jahren haben Amerikas Progressive irgendwie erwartet, sie könnten sich auf die Justiz verlassen. Wie schief das geht, zeigt sich in aller Schärfe bei der laufenden Kontroverse um den Schwangerschaftsabbruch. Seit Jahrzehnten ist dieser bis zur unabhängigen Lebensfähigkeit des Fötus nach etwa 22 bis 24 Wochen legal.

1973 hatte das Oberste Gericht mit sieben zu zwei Richterstimmen ein Grundsatzurteil („Roe vs. Wade“) gesprochen und Frauen das Recht eingeräumt, über ihre Schwangerschaft zu bestimmen. Rund 60 Prozent der US-Amerikaner sind heute der Ansicht, Abtreibung solle in allen oder den meisten Fällen legal sein. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit zur Zeit so hoch wie nie zuvor, dass der Oberste Gerichtshof ohne Rücksicht auf die Präzedenz den Richterspruch von 1973 kippt. Sechs der neun Richterinnen und Richter sind gestandene Rechte. Drei davon, Amy Coney Barrett, Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh, wurden von Donald Trump ernannt. Ein rechtes Oberstes Gericht zu schaffen, das war sein Schlüsselversprechen für die rechtschristliche Wählerschaft, die sich an seinem Lebenswandel störte und dennoch mit überwältigender Mehrheit für ihn stimmte.

Eine der verbliebenen liberalen Richterinnen, Sonia Sotomajor, sprach bei der Anhörung zur Abtreibung jüngst von einem „üblen Geruch“, den dieses Gericht wohl nie mehr loswerde, sollte es, wie erwartet, ein politisch motiviertes Urteil sprechen. Konkret ging es bei dem Hearing um ein Gesetz im republikanisch regierten Staat Mississippi, einen Schwangerschaftsabbruch nach der 15. Woche zu verbieten, also lange vor der Lebensfähigkeit des Fötus. In der Verfassung gebe es kein Recht auf Schwangerschaftsabbruch, betonte Mississippis Generalstaatsanwalt Scott Stewart. Und fand damit offenbar einiges an Zustimmung. Das Gericht müsse „neutral“ sein, so Bundesrichter Kavanaugh. Es bliebe den 50 Staaten überlassen, ihre eigenen Gesetze zu verfassen. Richterin Barrett brachte die Idee ins Spiel, Frauen könnten bei ungewollten Schwangerschaften Babys zur Adoption freigeben. Sollte das Oberste Gericht „Roe vs. Wade“ außer Kraft setzen, würde nach Einschätzung von Gegnern wie Befürwortern des Rechts auf Abtreibung gut die Hälfte der Bundesstaaten einen Schwangerschaftsabbruch weitgehend oder vollkommen verbieten.

Hinzu kommt: Gegner der Abtreibung haben ihre Anhänger besser organisiert mit einem Netzwerk aus Kirchen und Verbänden, das für die Republikaner in den Bundesstaaten einen Wahlsieg nach dem anderen einfahren und so wie in Mississippi Restriktionen durchsetzen lässt. „Pro-Life“ wurde Teil einer mächtigen Bewegung, die – obwohl nie in zahlenmäßiger Mehrheit – dabei half, Trump ins Weiße Haus zu bringen und die rechte Mehrheit am Obersten Gericht zu ermöglichen. Im November 2022 könnte sich diese Klientel ermutigt fühlen, sollten die Republikaner bei den Zwischenwahlen für das Repräsentantenhaus und den Senat die Mehrheit zurückgewinnen. Und die US-Elite ist gespalten: An Geld sollte es dem liberalen Amerika eigentlich nicht fehlen, doch investieren die Rechten effektiver in Medien und Graswurzelbewegungen, zumal es das Oberste Gericht erleichtert hat, mit Wahlspenden Einfluss zu kaufen.

Wie auch immer ethnische und religiöse Bedenken von Abtreibungsgegnern zu bewerten sind: Ihr Protest geht Hand in Hand mit dem, was oft als Rechtspopulismus bezeichnet wird. Der richtet sich gegen Einwanderung und Bürgerrechte für Minderheiten, ist gegen das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat, gegen Covid-Vorschriften und für ein lockeres Waffenrecht. 2022 wird das Oberste Gericht hierzu entscheiden, ob bestimmte Einschränkungen rechtens sind. Die Schusswaffenlobby ist optimistisch, seit ein ausgehöhltes Wahlrecht in etlichen Staaten zu einer republikanischen Mehrheit beitrug. Auch daran hat das Oberste Gericht seinen Anteil.

Biden bleibt zu passiv

Es sind keine Maßnahmen in Sicht, die rechte Macht im Obersten Gericht zu reduzieren. Richterinnen und Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Bidens überparteiliche Kommission hat erörtert, die Amtszeit zu begrenzen, doch das gilt als höchst unwahrscheinlich. Die Republikaner und ein paar Demokraten würden nicht mitziehen. Pressesprecherin Jen Psaki sagt, Biden prüfe den Bericht, es gebe „keine Timeline“.

Das steht im Kontrast zum machtorientierten Vorgehen der Republikaner. Im letzten Amtsjahr von Barack Obama weigerten sie sich im Senat, über dessen Kandidaten für das Oberste Gericht abzustimmen. Zum Ende der Trump-Regierung brachten die Republikaner Bundesrichterin Barrett im Schnellgang durch. Bei Kavanaugh wurde auf die umfassende Prüfung des Vorwurfs einer versuchten Vergewaltigung in den 1980er-Jahren verzichtet.

Bei künftigen Wahlen werden trumpistische Republikaner Niederlagen vor Gericht anfechten. Bei den Ermittlungen zum Ansturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 kommen Trump-Loyalisten Vorladungen nicht nach. Sie tun das offenbar in der Annahme, die Sache in den Gerichten verschleppen zu können.

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