TTIP ist längst tot – in Amerika

Das ein Prozent Das Freihandelsabkommen TTIP wankt in die achte Verhandlungsrunde – und ist eigentlich nur mehr ein Zombie, der in europäischen Internetforen noch am lebendigsten wirkt
Ausgabe 43/2014
Hat TTIP auf dem Gewissen: Harry Reid
Hat TTIP auf dem Gewissen: Harry Reid

Bild: Ethan Miller / Getty Images

Die Amerikaner wollen uns Europäern das Freihandelsabkommen TTIP überstülpen. Sie brennen darauf, ihre Chlorhühnchen, Hormon-Steaks und Cornflakes aus Gen-Mais über den Atlantik zu schippern. Ihre Konzerne wollen unsere Umweltschutz- und Arbeitsrechtsgesetze plattmachen. So weit die Klischees.

Dabei drängt hier in den USA außer Industrievertretern keiner auf das Mega-Abkommen. In den wenigen Umfragen zum Thema findet sich eine lauwarme Reaktion, die Mehrheit hat noch nie von TTIP gehört. Am aufgeregtesten sind Jugendschützer, die fürchten, dass europäische Brauereien das Recht einklagen, Bier an Teenager abzugeben. In der politischen Debatte spielt TTIP keine Rolle.

Das wäre auch reine Zeitverschwendung. Denn TTIP ist längst tot. Getötet wurde es bereits am 29. Januar – von Harry Reid. Der Mehrheitsführer im Senat und Parteifreund von Obama sprach sich dagegen aus, dem Präsidenten das Mandat zu geben, Freihandelsabkommen ohne vorherige Zustimmung des Kongresses zu unterzeichnen. Ohne diese Blankovollmacht ist aber jedes Freihandelsabkommen zum Scheitern verurteilt: Ein mühsam ausgehandelter Kompromiss mit der EU müsste durch Senat und Repräsentantenhaus, wo Hunderte Abgeordnete nur darauf warten, Änderungen in ihrem Sinne zu fordern. Warum bremste Reid die Freihandelsagenda seines Präsidenten aus? Die Demokraten müssen bei den Wahlen am 4. November um die Mehrheit im Senat bangen. Ein potenziell kontroverses Thema wie TTIP können sie da nicht gebrauchen.

Der Präsident dürfte darüber aber nicht traurig sein. Er selbst war vor seiner Wahl ein ausgesprochener Gegner von Freihandelsabkommen. Das deckte sich mit der Meinung seiner wichtigen Unterstützer, den Gewerkschaften. Zum Freihandelspaulus wandelte er sich nur aus Verzweiflung. Die Opposition der Republikaner verhinderte so gut wie alle seine Konjunkturpakete. Ihnen war die schleppende Erholung nur recht, denn sie schadete dem Präsidenten. Da war das Kalkül im Weißen Haus, Freihandel als Arbeitsmarktmaßnahme anzupreisen. Obama konnte sich so als aktiver Kämpfer für den Aufschwung zeigen und gewann nebenbei neue Verbündete, nämlich die Wirtschaft.

Doch inzwischen wächst Amerika wieder, nicht zuletzt dank billiger Energie. Die Arbeitslosenquote fiel zuletzt unter sechs Prozent – zum ersten Mal seit dem Beginn der Krise 2008. Der Präsident braucht Freihandel nicht mehr als politische Munition.

In einer Hinsicht war TTIP in Washington schon abgelehnt, bevor es in die erste Runde ging. Während die Europäer darauf drängen, Finanzen in die Verhandlungen aufzunehmen, weigern sich Obamas Unterhändler strikt. Die Europäer wollen über TTIP erreichen, dass die strikten US-Finanzmarktregeln für ihre angeschlagenen Banken ausgesetzt werden. Doch die Amerikaner haben überhaupt keine Lust, politisch hart erkämpfte Vorschriften für die Wall Street zugunsten der EU wieder in Frage zu stellen. So wankt TTIP in die achte Verhandlungsrunde – ein Zombie, der am lebendigsten in europäischen Internetforen ist.

Jens Korte lebt in New York und berichtet vor allem aus dem Epizentrum der Finanzwelt

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