Sie ist mit ihrem Unternehmen der Gewissenswurm eines ganzen Standes: Antje von Dewitz beweist, dass konkurrenzfähig sein kann, wer zugleich die Verantwortung für den Planeten, für Natur und Mensch ernst nimmt. „Wir möchten zeigen“, sagt die 49-Jährige, „dass ökonomischer Erfolg und ökologische und soziale Verantwortung keine Widersprüche sind.“
Ein gutes Dutzend Stellen sind bei ihrem Unternehmen derzeit im Netz ausgeschrieben, unter anderem sucht Vaude – gesprochen wie geschrieben, also ohne Betonung auf dem e – Küchenpersonal für den Firmensitz in Tettnang. Selbstverständlich nicht einfach einen Koch, sondern m/w/d, und nicht für irgendeine Kantine. Vielmehr ist die bio und wird gerade umgestellt auf vegetarisch. Wäre die Mutter von vier Kindern Politikerin, müsste sie sich mit manch leidiger Vorschrifts- und Verbotsdebatte herumschlagen. Ist sie aber nicht, sie ist die Chefin eines blühenden Vorzeigebetriebs, der einen so gedeihlichen Weg aufzeigt, dass sich die Frage stellt, warum ihn nicht viel mehr Mittelständler gehen, gerade im auf seine TüftlerInnen stolzen Baden-Württemberg.
Die diplomierte Kulturwirtin Antje von Dewitz, die über leistungsstarke Arbeitsverhältnisse in mittelständischen Unternehmen promoviert hat, liefert die Antwort mit, wenn sie die Entwicklung im eigenen Haus beschreibt, den schrittweisen Auf- und Umbau seit 1974. Ihr Vater Albrecht, der Vaude-Gründer, hatte sein Büro in der Wohnung, und der Begriff Outdoor hatte sich noch nicht eingeschlichen in die deutsche Sprache. Erst einmal ging es nur darum, Rucksäcke zu nähen, die Bergsteiger und -wanderer möglichst lange auf ihren Touren begleiten sollten. Schlafsäcke und Zelte folgten. Davon, dass eines fernen Tages trendige Vaude-Taschen das Bild in Innenstädten mitprägen sollten, konnte noch keine Rede sein.
Schon als Heranwachsende wollte Antje die Welt verbessern. Sie erzählt ihrer Mutter von einer Geografielehrerin, die den Bogen schlug von der Hamburger-Imbissbude zum abgeholzten Regenwald und ihr so die Augen dafür öffnete, in Zusammenhängen zu denken. Im väterlichen Betrieb sah sie sich deshalb noch lange nicht. Nach dem Studium war „mein Antrieb, Verantwortung zu übernehmen und Dinge positiv zu verändern“. Eine Reihe von Praktika sollte klären, wo ihr Platz sein könnte, NGO kamen in Frage oder Frauenorganisationen, Umweltverbände und Medien. Immer habe sie sich gefragt: „Wo kann ich mit meinen Fähigkeiten und Interessen am meisten bewirken?“ Die letzte Station war daheim und die Überraschung erst einmal groß, als sie herausfand, wie viele Ansatzpunkte es gab, Veränderungen in die Gesellschaft hineinzutragen.
Heute weist der jährliche Nachhaltigkeitsbericht 578 Beschäftigte aus und einen Jahresumsatz von mehr als 110 Millionen Euro, zugleich aber auch unzählige Details zum eigenen Wirtschaften, von Lieferketten bis zum Beitrag im Kampf gegen die Erderwärmung, „Wir wollen bis 2024 unsere Produkte überwiegend aus biobasierten oder recycelten Materialien herstellen“, sagt die Chefin. Dem Postulat von Karl Marx, es sei das gesellschaftliche Sein, das das Bewusstsein der Menschen bestimmt, steht im Bodenseekreis das Bekenntnis zum Gegenteil gegenüber. Zumindest jedenfalls bestimme das Bewusstsein das Sein mit, etwa dank konsequenter Aufklärung über Fast-Fashion, die gekauft und nach zwei Wochen wieder weggeworfen wird. Weshalb Schulungen und Informationen zur Nachhaltigkeit nicht nur für Beschäftigte einen breiten Raum einnehmen, sondern auch für Vertreter- und VerkäuferInnen.
Nachdem sie das Unternehmen übernommen hatte, berichteten ihr die Händler, wie wenig Interesse Kunden an diesen Fragen hätten. „Zwölf Jahre später ist die Relevanz gewachsen, weil Menschen mehr Wert darauf legen, mit gutem Gewissen zu konsumieren“, sagt von Dewitz. Sie erkennt an, dass Produktionsbetriebe wie der ihre einen Teil des Problems darstellen, weil sie zwangsläufig zu Klimawandel, Artensterben, Ungleichheit und prekären Arbeitsbedingungen beitragen. „Zugleich sind wir Teil der Lösung“, sagt sie, „weil aus unserem Selbstverständnis Engagement erwächst und aus dem Engagement Glaubwürdigkeit.“
„Mit dem Herzen handeln“ ist ein Leitspruch bei Vaude. Soll heißen: Man will auch über den eigenen Anspruch, konkrete Abläufe auf Nachhaltigkeit umzustellen, die Stromversorgung oder den gesamten Fuhrpark, hinausgehen. 2015 und 2016 etwa, als viele Menschen eine neue sichere Heimat in Baden-Württemberg suchten, wollte Vaude ganz praktisch mithelfen. Beschäftigte, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsbetreuung engagierten, trugen das Thema mit in die Firma. Ein Tag der offenen Tür folgte, Praktika, am Ende Festanstellungen samt Hilfe durch den Alltag, etwa im Sprachkurs oder bei der Wohnungssuche.
„Ich bin stolz auf das gemeinsam Geleistete“, sagt von Dewitz. Reichen sollte es aber noch lange nicht, auch wenn sie dafür Anerkennung bekam. Zwei Wochen nach einer Preisverleihung flatterten in Tettnang die ersten Abschiebungsbescheide ins Haus. Da ging der Kampf erst richtig los. Vaude steht seitdem mit an der Spitze der Unternehmer-Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“. Baden-Württembergs grün-schwarze Landesregierung verspricht in ihrem neuen Koalitionsvertrag, sich genau dafür stark zu machen. Von Dewitz konnte die Betroffenen halten, kein einziger wurde abgeschoben, sie arbeiten weiter in dem Unternehmen, das so um neue Angestellte wirbt: „Werde Teil unserer Seilschaft und engagiere dich mit uns für (d)eine lebenswerte Welt.“
Kommentare 2
Tolle Frau, gutes Unternehmen, überwiegend brauchbare Produkte. Danke für alles. Die Sache mit der "Nachhaltigkeit" kann ich nicht glauben.
Zitat: Wir möchten zeigen“, ... „dass ökonomischer Erfolg und ökologische und soziale Verantwortung keine Widersprüche sind.“
Die Apologeten und Religionsanhänger der freien und heiligen Marktwirtschaft werden das nie glauben. Im Mittelalter hätten die schwarzen Pfaffen die Frau als rote Hexe angeklagt, die mit dem Teufel das Nachtlager geteilt hat und sie im Namen Gottes auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das macht man heute nicht mehr. Daran sieht man, dass sich der homo sapiens und die Gesellschaft im Laufe der Jahre doch etwas weiterentwickelt haben.
Nichtsdestoweniger ist diese Art von Management schlecht für den Profit bzw. die Rendite und die Gewinnausschüttung an die Shareholder.
Unternehmensberater sagen, Socialwashing und Greenwashing sind viel kostengünster. Man muss den potentiellen Käufern in vielen bunten Werbespots nur vorgauckeln, man würde sozial und ökologisch produzieren. Die Idioten unter den Konsumenten glauben das sofort. Bei den Halbidioten dauert es etwas länger. Wenn man die Werbespots oft genug wiederholt, dann bleibt auch bei vergleichsweise kritischen Bürgern etwas positives hängen.
Die Produktion eines Werbespots und die Ausstrahlung einer Werbeminute bei SAT1, Pro 7, RTL, Vox usw. sind zwar auch ganz schön teuer, aber immer noch viel billiger als wenn man tatsächlich ökologisch und sozial produzieren würde.
Außerdem wird man auf diese Weise nie so reich wie Jeffrey Bezos von Amazon, wenn man seine Arbeiter nicht wie eine Zitrone ausquetscht und sie keine Zeit haben, um auf die Toilette zu gehen und stattdessen hinterm Regal in eine leere Flasche pissen.