Tunnelblick

Epidemiologie Dem Virus-Wahn auf der Spur

Wer ist schuld? Niemand zu sehen? Unsichtbare Mächte? Unsichtbar fürs bloße Auge sind sie alle: Viren, Bakterien und Prionen. Für Infektionsforscher sind sie die perfekte Erklärung für das Entstehen von Krankheiten. Doch was bequem ist, muss noch lange nicht richtig sein. Torsten Engelbrecht und Claus Köhnlein stellen in ihrem Buch Virus-Wahn die Frage, ob es bei Krankheitsbildern wie Vogelgrippe, AIDS, SARS und BSE wirklich nur die eine, schulmedizinische und von den Medien verbreitete Wahrheit oder womöglich auch andere Ursachen gibt, die die gängigen Erklärungen zumindest relativieren.

Ein Beispiel ist die Rinderkrankheit BSE. Sie wird in der Regel darauf zurückgeführt, dass sich die Tiere über ungenügend erhitztes Tiermehl mit dem Erreger, einem Protein, infiziert haben. Ungenügend erhitzt, behielten die infektiösen Teilchen ihre Struktur und gelangten als Tierfutter in die Herden.

Engelbrecht und Köhnlein liefern dagegen zwei alternative Erklärungen. Zum einen, argumentieren sie, waren die Krankheitssymptome an sich nicht neu, sie traten schon früher gelegentlich auf, als Kühe noch als echte Pflanzenfresser auf der Weide gehalten wurden. Es könnte zum Beispiel auch ein Gendefekt sein, der eine Deformation des Prionproteins und später die Krankheit auslöst. Dank moderner Besamungsmethoden in der industriellen Landwirtschaft sind nur noch sehr wenige Vatertiere nötig, um ausreichend Kälber zu produzieren. Wird dabei ein defektes Gen vererbt, könnten sich langfristig Inzuchteffekte einstellen, die aus einer seltenen Variante eine immer häufiger auftretende Krankheit machen.

Es gibt jedoch noch eine weitere Möglichkeit. Ab 1985 bemühte man sich in Großbritannien um eine flächendeckende Bekämpfung der Dasselfliege, indem allen Rindern ein Insektizid am Nacken aufgetragen wurde. Diese Substanz ist potenziell Nerven schädigend. Der Befall mit den Larven der Dasselfliege, die sich in der Haut von Huftieren entwickeln, Beulen verursachen und beim Eindringen in den Wirbelkanal Lähmungen hervorrufen kann, reduzierte sich drastisch. Zeitgleich jedoch traten auch zum ersten Mal gehäuft BSE-Fälle auf.

Ist es im Falle von BSE der Erreger, den Engelbrecht und Köhnlein anzweifeln, so ist es bei anderen Krankheiten weniger der Auslöser der Symptome als vielmehr die Todesursache der Patienten: Auf AIDS, SARS und Vogelgrippe beim Menschen sei mit extremer Medikation reagiert worden. Die Medikamente zur Unterdrückung des körpereigenen Immunsystems sind potenziell giftig, und Antibiotika sowie antivirale Mittel wurden im Notfall selbst bei Kindern in hohen Dosen eingesetzt. In einigen Fällen könnte dies zu viel des Guten gewesen sein und für die Patienten tödliche Folgen gehabt haben. Allein der Nachweis eines Virus im Patienten beweist nicht zweifelsfrei, dass der Erreger die Krankheit provozierte beziehungsweise - im schlimmsten Fall - dass der Patient daran gestorben ist.

Engelbrecht und Köhnlein werfen der Schulmedizin vor, eingleisig zu fahren und stets nur ein Erklärungsmodell zuzulassen. Leider zeigen auch sie selbst den Tunnelblick, den sie bei den anderen nachzuweisen bemüht sind. So zweifeln sie beispielsweise die Aussagekraft eines Virusnachweises mit Hilfe von PCR an. Dabei ist PCR, die Polymerase-Kettenreaktion, nichts weiter als eine Art Fotokopiervorgang, bei dem biochemisch winzige Erbgutschnipsel zu einer größeren Menge identischer Stücke vervielfältigt werden. Nachweise und Analysen erfolgen in anschließenden Arbeitsschritten. Diese sind es, die zum Beispiel zeigen, ob ein Influenzavirus dem H5N1-Typ angehört. Auf elektronenmikroskopischen Fotos sind alle Influenzaviren graue Klümpchen - es ist also sinnlos, solche Bilder zu fordern oder davon auszugehen, dass es nur die Dinge wirklich gibt, die sich fotografieren lassen.

Aus der an sich korrekten Aussage, dass Bakterien quasi die Urform allen Lebens sind und zum Beispiel in der menschlichen Darmflora unverzichtbare, lebenswichtige Arbeit leisten, den Umkehrschluss zu ziehen, es gäbe keine schädlichen Bakterien, zeugt ebenfalls von einem eher naiven Umgang mit naturwissenschaftlichen Grundlagen.

Dennoch zeigt das Buch von Engelbrecht und Köhnlein, dass Bakterien und Viren nicht alleine verantwortlich sind: Umweltverschmutzung, Pestizide und ähnliches tragen ihren Teil zur Entstehung von Krankheiten bei. Die Schuld liegt also auch beim Menschen.

Torsten Engelbrecht, C. Köhnlein: Virus-Wahn, 278 S., emu-Verlag, Lahnstein 2006, 16,80 EUR


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