FREITAG: Israel ist überstürzt aus dem Südlibanon abgezogen, und die Soldaten der verbündeten "Südlibanesischen Armee" (SLA) fühlen sich verraten. Zu Recht?
RON PUNDAK: Die SLA-Soldaten wussten, dass die israelische Armee irgendwann abziehen würde. In einer Nacht sein Haus verlassen zu müssen, ist ein sehr großes Trauma. Ich verstehe das, als Israeli und als Mensch.
Hätte Israel den Abzug nicht besser planen können?
Aus israelischer Sicht haben wir das Richtige gemacht. Aber für die SLA-Leute ist es nicht einfach. In einer Nacht sind 6.000 Flüchtlinge nach Israel gekommen.
Kann Israel die alle aufnehmen?
Wir müssen alles dafür tun. Aber auch der Rest der Welt muss einen Teil von ihnen aufnehmen, so wie Israel nach dem Vietnamkrieg Flüchtlinge aufgenommen hat. Ich hoffe nur, dass der libanesische Staat am Ende verstehen wird, dass die Flüchtlinge Libanesen sind und man ihnen die Rückkehr erlaubt.
Hat die Hisbollah Israel aus dem Libanon vertrieben?
Es gibt mehrere Gründe. Einer war ohne Zweifel die Hisbollah. Aber es gibt darüber hinaus bereits seit vielen Jahren keinen Konsens mehr in Israel für eine Präsenz im Südlibanon. Wir gehen nicht wegen der Hisbollah, sondern aufgrund der völlig unmoralischen Tatsache, dass die israelische Armee in einem fremden Land sitzt. Wäre die Hisbollah nicht gewesen, wären wir sogar schon früher abgezogen.
Der Abzug ist also ein Erfolg für Barak? Das sehen die meisten anders.
Barak ist ein Mann des Ehrenwortes. Es gibt nicht viele Politiker dieser Art. Er ist sehr direkt und sehr ehrlich. Und er hat den politischen Mut, so wie er früher den militärischen Mut hatte, Wege einzuschlagen, die nicht populär sind, an die er aber glaubt. Das trifft auf den Libanon zu und auf Syrien. Barak ist der erste, der gesagt hat: "Ich ziehe von den gesamten Golanhöhen ab, bis zur internationalen Grenze." Das traute sich nicht einmal Rabin.
Ist Israel jetzt also einem Frieden mit Syrien näher?
Sowohl die Israelis als auch die Syrer verstehen, dass man die dumme Diskussion über einen schmalen Streifen, der nicht sicherheitsrelevant ist, auf politischem Wege lösen kann. Aber es ist eine Frage der zeitlichen Abstimmung mit dem israelisch-palästinensischen Prozess. Und es ist die Frage, ob der syrische Präsident Assad bereit ist, einen Weg zu gehen, der das syrische System erschüttern wird.
Und wenn sich die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen an der Hisbollah ein Beispiel nehmen?
Ein kleines Risiko besteht. Besonders die Radikalen und Kurzsichtigen in der palästinensischen Gesellschaft sagen jetzt: Seht, die haben es geschafft, Israel zu vertreiben, auch wir können das. Das ist eine sehr dumme Sicht. Das Ziel der Palästinenser kann nicht sein, Israel gewaltsam aus den besetzten Gebieten zu vertreiben. Arafat hat seit Oslo bewiesen, dass er mit dem Friedensprozess viel mehr erreichen kann, als die Palästinenser in der Vergangenheit mit Gewalt erreicht haben.
Die meisten Palästinenser sehen das anders. Arafats Rückhalt in der Bevölkerung schwindet.
Die Palästinenser sind heute ihrem Staat näher, als sie es je waren. Gleichzeitig sind viele frustriert, weil sie nicht täglich sehen, wie die Verhandlungen voranschreiten.
Nicht nur auf der Straße gibt es Frust, auch der palästinensische Chefunterhändler Abed Rabbo hat das Handtuch geworfen.
Das hat er aus persönlichen Gründen getan. Er fühlte sich und seine offiziellen Verhandlungen torpediert durch die Geheimverhandlungen in Stockholm.
Geheim sind die Verhandlungen in Stockholm ja nicht mehr; immerhin wissen wir, dass sie stattfinden.
Es ist sehr traurig, dass Stockholm aufgeflogen ist. Der Vorteil von Geheimverhandlungen besteht darin, dass man in Ruhe verhandeln kann, ohne den täglichen Druck der Medien und ohne den Druck des politischen Systems.
Warum sind Sie dennoch so optimistisch?
Die Chance, bis September oder November zu einem Abkommen zu kommen, ist viel höher, als sie es je war. Denn beide Seiten wissen heute mehr oder weniger, wohin sie gehen.
Und wohin gehen sie?
Zunächst zu einem Rahmenabkommen, dann zu einem endgültigen Abkommen, dessen zentrale Basis ein palästinensischer Staat sein wird. Ich sage ein Abkommen voraus, das den Palästinensern die große Mehrheit der Gebiete zurückgibt.
Wie groß?
Eine Lösung, die Akzeptanz finden könnte, würde den Palästinensern ein Gebiet von der Größe aller besetzten Gebiete zusprechen. Aber die Fläche wäre nicht identisch mit dem besetzten Territorium.
Wie bitte?
Auf fünf Prozent der besetzten Gebiete leben heute ungefähr 180.000 israelische Siedler. Diese fünf Prozent würden israelischer Souveränität unterstellt. Im Austausch dafür erhielten die Palästinenser ein Stück israelisches Territorium von der selben Größe, und zwar am Gazastreifen. Das ist eine runde Lösung, bei der beide Seiten gewinnen.
Wenn es Barak ernst wäre mit einem Abkommen, hätte er zumindest die Siedlungsenklaven im Gazastreifen längst räumen müssen.
Wir haben schon Rabin und Peres in Oslo empfohlen, Siedlungen, die mitten in palästinensischen Bevölkerungszentren liegen, zu räumen. Das ist nicht akzeptiert worden. Die Siedler sind geblieben. Sie repräsentieren alles Negative der israelischen Präsenz. Alle Siedlungen im Gazastreifen müssen geräumt werden.
Wie 1982 im Sinai?
Genau so. Wer nicht gehen will, muss mit Gewalt herausgeholt werden.
Auch die Zukunft der palästinensischen Flüchtlinge ist ungeklärt.
Das ist kein so kompliziertes Problem. Man muss ihnen das Recht auf Rückkehr in den palästinensischen Staat geben. Israel könnte symbolisch eine kleine Zahl von Flüchtlingen zurücknehmen. Dazu müsste ein internationales Rehabilitationsprogramm kommen. Israel muss jeden Flüchtling entschädigen auf der Basis des Immobilienbesitzes, den er verloren hat.
Und was passiert mit Jerusalem?
Je mehr Fortschritte es bei den anderen Themen gibt, desto eher werden beide Seiten verstehen, dass auch das Jerusalem-Problem gelöst werden kann. Ich hoffe, die Unterhändler werden eine Lösung finden, die auf einem Prinzip beruht: das jüdische, israelische Jerusalem den Israelis und das muslimische, arabische Jerusalem den Palästinensern. Ohne die Stadt zu teilen, ohne eine physische Grenze zu bauen. Die Stadt muss von beiden Seiten regiert werden - alle jüdischen Angelegenheiten von der israelischen, alle muslimischen Angelegenheiten von der palästinensischen Seite und gemeinsam an den Orten, wo es kompliziert wird.
Das klingt wie der alte Plan von Justizminister Beilin und PLO-Vize Abu Mazen.
Es ist mehr als das. Im Mazen-Beilin-Plan. wurde alles geklärt, bis auf die Frage der Souveränität über die heiligen muslimischen Stätten. Das darf nicht sein: Nichts darf in den Verhandlungen mit den Palästinensern offen bleiben. Denn dann werden sich die Extremisten auf beiden Seiten darauf stürzen und sagen: "Dafür wollen wir kämpfen."
Barak favorisiert eine strikte physische Trennung zwischen Israel und einem palästinensischen Staat.
Das kann nicht funktionieren, und Barak hat das bereits verstanden. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass keine Grenze Anschläge verhindert hat, selbst der Zaun um den Gazastreifen nicht. Wir müssen wirtschaftlich zusammenarbeiten. Und wenn die Grenze dem Handel offen steht, wird sie auch für andere Sachen offen sein.
Zum Beispiel?
Ich möchte, dass die Palästinenser Konzerte in Tel Aviv besuchen und dass Israelis nach Jericho ins Kasino fahren und Juden in Kiriat Arba bei Hebron beten können. Wir müssen die Grenze regulieren wie jede andere Grenze zwischen zwei Staaten. Wir brauchen keine Mauern, sondern Türen.
Das Gespräch führte Christoph Schult
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