Türöffner Nützlichkeitsethik

ETHIKRAT Monika Knoche, bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin", über den neu installierten Ethikrat und die Perspektiven grüner Gentech-Politik

Vergangene Woche segnete das Kabinett den von Kanzler Schröder bestellten "Nationalen Ethikrat" ab. Im Vorfeld hatten die Auswahl der Mitglieder und das Berufungsverfahren heftige öffentliche Kritik ausgelöst. Mittlerweile geht der Riss in Sachen Gentechnologie auch durch das SPD-Ministerinnenlager: Anfang der Woche stellte Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin eindeutig klar, dass die Präimplantationsdiagnostik und die Forschung an menschlichen Embryonen gegen die Verfassung verstoßen. Bundesforschungsministerin Bulmahn dagegen unterstützt die jüngste Stellungnahme der DFG, die für die Stammzellenforschung an embryonalem Material plädiert, das unter anderem im Zuge der Präimplantationsdiagnostik (PID) gewonnen wird. Gleichzeitig wurde bekannt, dass im US-Staat New Jersey Babys mit den Genen dreier Menschen gezeugt wurden.


FREITAG: Einen Tag nach der Etablierung des Nationalen Ethikrates hat der DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker dafür plädiert, die Forschung an embryonalen Stammzellen auszuweiten. Ist das ein zeitlicher Zufall?

MONIKA KNOCHE: Zufälle gibt es hier keine. Es handelt sich um ein Strategie, was um so schwerer wiegt, da die Spitze der Grünen ihr nichts entgegensetzt. Dem erstarkten Drängen von deutschen Forschern, am erwarteten Ruhm und an Patenten bei der Verwertung menschlichen Lebens teilhaben zu können, wird nachgegeben und aus berufenem Munde die flankierende Nützlichkeitsethik geliefert. Man wird die fundamentalistische Menschenrechtsdogmatik unserer Verfassung zunehmend mit "gesundem Menschenverstand" zweckrational interpretieren. Wir werden es erleben.

Einen ähnlichen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang scheint es zwischen dem Abgang der Bundesgesundheitsministerin Fischer und dem Plan des Kanzlers zu geben, einen Ethikrat einzusetzen.

Ich habe aus meiner Kenntnis nicht den Eindruck, dass Frau Fischer je die Kontroverse in dem ihr unterstelltem Sinne entschieden hätte. Wie sonst wäre zu verstehen, dass ausgerechnet sie heute die "Kompromissvariante" für PID, die da lautet "rechtswidrig aber straffrei" ins Gespräch bringt. Nein, nein. Mag bezogen auf den Embryonenschutz die Deregulierungsabsicht auch auf einer bizarren abstrusen Rechtslogik aufgebaut sein, Frau Fischer hat sich bereits für eine eugenische Selektion als Entscheidungsoption nicht schwangerer Frauen ausgesprochen und gleichfalls den Status des Embryos als disponibel interpretiert, je nach Gewicht, das den Drittinteressen am Embryo beigemessen würde. Ihre Verlautbarungen sind darauf gerichtet, die Tür für Embryonenverwertung zu öffnen. Dazu bedarf es keines expliziten Bekenntnisses. Ihre Nachfolgerin im Amt, Frau Schmidt, erklärte sich ebenfalls offen für die Praxis des Gen-Checks in der Petrischale. Was den Ethikbeirat ihres Ministeriums angeht, akzeptierte sie von vorne herein, dass ethische und rechtliche Fragen der Gentechnik in der Medizin nicht ihre, sondern Chefsache seien.

Haben sich die Grünen damals die rote Gentechnik voreilig aus der Hand nehmen lassen?

Für diesen Fakt ist vornehmlich der Parteivorsitzende verantwortlich. Mich überrascht das nicht wirklich. Kuhn und Fischer wollen die Grünen zu einer liberalen Bürgerrechtspartei machen. Dabei stellt eine utilitaristische Zuwendung zur Gen- und Reprotechnik fürwahr kein Hindernis dar. Zwar meine ich: Man kann es sich als Parlamentarierin und als Regierungspartei nicht leisten, den Ernst der Lage und die Dimension der Menschenrechtsfrage der Moderne nicht zu erkennen oder zu thematisieren. Aber das sehen andere anders. Es kommt auf den Anspruch und die Ziele an.

Ursprünglich hatte sich der Kanzler eine gentech-freundliche Beratergruppe gewünscht und erst im letzten Moment einige kritische Geister in den Rat kooptiert. Mittlerweile kamen aus deren Reihen auch Absagen, zum Beispiel von Elisabeth Beck-Gernsheim mit der Begründung, nicht in einem Akzeptanzgremium mitarbeiten zu wollen. Ist das nicht auch eine vertane Chance, kritische Perspektiven in den Rat einzubringen?

Nein, im Gegenteil. Diese Absagen zeugen von einer großen politischen Klarheit und Verantwortung. Ich sehe mich vielfach in meiner Kritik zu dieser "Annexionsidee" des Kanzlers bestätigt. Der Souverän ist das Parlament und niemand sonst. Ethik geht alle an. Es gibt keine exklusiven Gremien mit definitionshoheitlichen Aufgaben oder Vorschlagsrechten. Ein Supra-Gremium, wie es das Kabinett nun beschlossen hat, ist in einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie nicht vorgesehen. Es drückt sich darin eine Affinität zu demokratisch zentralistischen Verfahren aus. Das Parlament hat mit einem interfraktionellen Beschluss die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" konstituiert. Das Gesundheitsministerium hat einen Ethikrat. Es mangelt nicht an legitimen Beratungsgremien und Verfahren.

In diesem Sinne hat dieser Tage Ihr Kollege Wolfgang Wodarg davor gewarnt, dass dem Ethikrat legislative Aufgaben übertragen werden, die eigentlich dem Parlament vorbehalten sind.

Jetzt, wo das Gremium steht, ist vielen klar, welche Provokation es darstellt. Als ich deutlich und früh vor diesem Akt warnte, haben wenige das Politikum erkannt. Der Verfassungsrechtler und die Gesellschaftswissenschaftlerin, Herr Böckenförde und Frau Beck-Gernsheim, haben aus den genannten demokratiepolitischen Gründen ihre Berufung in das Gremium abgelehnt.

Wie sehen Sie die Zukunft des Ethikbeirats im Bundesgesundheitsministerium und die zukünftige Arbeit der Enquete-Kommission?

Der Ethikbeirat hat de facto keine mehr. Dieser Vorgang - das habe ich meiner Partei in der gebotenen Nachdrücklichkeit gesagt - hätte im Koalitionsausschuss behandelt werden müssen. Die Enquete-Kommission ist eine Einrichtung des Parlaments. Die Bedeutung ihrer Funktionen können die Fraktionen des Hauses unterstreichen, z. B. indem sie Parlamentsdebatten zu den verfassungs- und menschenrechtlichen Fragen zur Ethik und Moral und zum gesetzgeberischen Handlungsbedarf führen. Die Tagesordnung wird von den Fraktionen gemacht.

Nationale Ethikräte gibt es auch in anderen europäischen Ländern und sie sind auch dort nicht unumstritten. Was halten Sie von der Einrichtung als solche?

Die Entscheidungen treffen die gewählten Abgeordneten. Wir leben nicht in einer Präsidialdemokratie. In Amerika gibt es den National Bioethics Advisory Commission (NBAC), und selbst dort beteiligt sich der Kongress an der Nominierung der Mitglieder. Was wir dieser Tage mit dem Konstituierungsakt des Nationalen Ethikrates erlebt haben, wäre in Amerika nicht denkbar. Ich war jüngst zu der Zeit in den USA und habe die Arbeit und die Verfahren des NBAC kennen gelernt.

Andrea Fischer hatte in ihrer Amtszeit begonnen, ein Fortpflanzungsmedizingesetz auf den Weg zu bringen. Glauben Sie, ein solches wird es noch geben?

Nein. Wir haben das Embryonenschutzgesetz und den Kampf um seine Gültigkeit. Die gesamte Frage der embryonalen Stammzellforschung und der Komplex des Klonens von Embryonen für "therapeutische Zwecke" beruht auf der Voraussetzung, dass woraus ein Kind entstehen kann, ein verwertbares Objekt wird. Die materielle Voraussetzung war und ist die medizintechnische und kulturelle Neuheit der Erzeugung im Gegensatz zur Zeugung eines Menschen. Es ist mittels Technik möglich geworden, die Fruchtbarkeit der Frau zu entleiblichen und zu entsinnlichen, sie aus der Verantwortung sozialer Beziehungen herauszulösen. Die Forschung verlangt jetzt, dem extra-uterinär existierenden Embryo eine Funktion für Dritte zuzuschreiben, mit der Begründung, er könne und solle nutzbar gemacht werden für Andere und andere Zwecke als zur Entwicklung seiner selbst als Mensch. Ohne den Zugriff auf die Leben gebenden Möglichkeiten der Frau ist das verheißungsvolle "neue Material" nicht zu gewinnen. Ich habe noch kaum erlebt, dass in einer menschheitsgeschichtlich so weiter reichenden Frage wie dieser bei der Diskussion um den Begriff vom Menschen, das ganzheitliche Menschenbild, die Grenzen der Autonomie, die offenkundige Funktionalisierung der Frau in ihrer leiblichen Andersartigkeit als der des Mannes so nachhaltig unterschlagen wird.

Ohne diese Unterschlagung von hochrelevanten philosophischen, ethischen, menschenrechtlichen Ausgangsfragen wäre die Akzeptanzrhetorik von zu erwartenden Heilungsoptionen nicht möglich. Nur durch die In-vitro-Fertilisation ist ein Embryo bereits in der Welt, ohne von einer Frau auf die Welt gebracht zu werden. Dadurch ist er prinzipiell dem Zugriff Dritter unterworfen.

Wer ihn als Material verwenden will, muss ihm - weil er erzeugt und nicht gezeugt wurde - aus dem Gültigkeitsbereich der Menschenwürde ausschließen, obwohl er sich in seinem Sein vom In-vivo-Embryo nicht unterscheidet. Diese menschheits-geschichtlich einzigartige Frage ist eine Frauenfrage, wie es noch keine gab. Die neue Ressource des neuen Jahrhunderts ist die außerkörperlich befruchtete Eizelle, Ende oder Wende der weiblichen Einzigartigkeit. Und da lassen sich namhafte Politikerinnen auf den pseudo-moralischen Diskurspfad von Lebensschutz und Abtreibung schicken, wo doch bei nüchternem Blick absolut klar ist, dass Embryonenschutz und PID mit der Abtreibungsregelung im § 218 rein gar nichts zu tun haben.

Das Gespräch führte Ulrike Baureithel

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