Benjamin Mikfeld greift in der Auseinandersetzung zwischen SPD und Neuer Linker zum Voodoo-Kult. Ein Voodoo-Priester - so der Film gesättigte Mythos - kann einen Menschen mit einem Fluch belegen, worauf dieser scheinbar stirbt. Tage später kann der Tote dann wieder zum Leben erweckt und als Arbeitssklave missbraucht werden, denn Zombies gelten als absolut willenlos.
Als Zombie hätte die Sozialdemokratie gern die Neue Linke. In ihrer Phantasie haben die keynesianisch gesinnten Anhänger eines sozialstaatlich regulierten Kapitalismus die Zeitenwende verpasst, sind gegen Ende des 20. Jahrhunderts einen Scheintod gestorben und werden jetzt von den Voodoo-Priestern der modernisierten Sozialdemokratie wieder zum Leben erweckt. Die Funktion der "Untoten": Die Zombielinke spricht die Verunsicherung in älteren Bevölkerungsgruppen an und - so könnte wohl die Fortsetzung heißen - nach einigen inspirativen, rituellen Kulthandlungen kehren die Zombies und ihr grauer Anhang in die Reihen des Voodoo-Glaubens zurück.
Mikfeld ist so in diesen Vorstellungen verstrickt, dass er einer Unterscheidung von realer Ökonomie und neoliberaler Wirtschaftspolitik nicht mehr viel abgewinnen kann. Zustimmen kann man allerdings seiner These: Die Potenziale des fordistisch regulierten Kapitalismus waren im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erschöpft. Zu den Krisenfaktoren zählten weniger die Ölkrise als vielmehr die Veränderungen im Weltwährungs- und Finanzsystem, der Übergang zur flexiblen Massenproduktion, die Verschlankung von globalisierten Wertschöpfungsketten und die Privatisierung der öffentliches Sektors. Gleichermaßen könnte man sich darauf einigen, dass die neoliberale Politik des Gesellschaftsumbaus lange unterschätzt wurde.
Die Resultate dieses Umbaus sehen wir inzwischen: Die soziale Sicherheit hat drastisch gelitten, die Arbeitseinkommen sind von der Wohlstandsentwicklung abgekoppelt - es gibt Millionen Verarmte und Mittellose. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist immens gewachsen. Mikfeld stimmt zu: "Ja, die Einkommens- und Vermögensverteilung ist sozial ungerecht und ökonomisch falsch." Aber: "Auf die Herausbildung einer finanzmarktgetriebenen Wirtschaftsweise ..., den Wandel der Erwerbsarbeit, die demographische Entwicklung - auf all das hat die Zombielinke kaum brauchbare Antworten."
Und wie wollen wir nun mit dieser Fehlentwicklung umgehen? Mikfeld und die SPD erklären: Die neue Linke hat keine Zukunft. Viele ihrer Forderungen sind altbacken, beschönigen die Vergangenheit. Sie orientiert sich an nationaler Isolation und polemisiert gegen die internationale Verantwortung. Diese Linke zieht keine Konsequenzen aus der Globalisierung, dem Wandel der Arbeitswelt und der demografischen Entwicklung. Deshalb kann sie auch die Interessen der Arbeitslosen und der abhängig Beschäftigten nicht vertreten. Ein wirklicher Politikwechsel zielt auf eine Umverteilung des Reichtums in Verbindung mit Strukturreformen zugunsten qualitativen Wachstums und Maßnahmen für eine radikale Demokratisierung der Wirtschaft. Was Mikfeld nicht sagt: Seit drei Jahrzehnten verfolgt die wirtschaftliche und politische Elite in Deutschland - wie auch in den anderen kapitalistischen Hauptländern - einen Umbau des Regulationssystems. Die große Mehrheit der Bevölkerung registriert das als Abbau des Sozialstaates, der auch den eigentumslosen sozialen Schichten soziale Sicherheit gab und eine eigenständige Individualitätsentwicklung ermöglichte. Die Verknüpfung von Lohnarbeit mit starken sozialen Schutzmechanismen oder Regulierungssystemen (Rentenansprüchen, Arbeits- und Kündigungsschutz, tariflichen Normen, Mitbestimmung) hat während der Nachkriegsjahrzehnte ein "Sozialeigentum" geschaffen. Der zeitgenössische Finanzmarkt-Kapitalismus bricht diese Verknüpfung radikal auf. Seine Dynamik beruht - nicht nur, aber doch wesentlich - auf der Enteignung von "Sozialeigentum". Er bewirkt eine "Wiederkehr sozialer Unsicherheit" in den reichen Gesellschaften des Westens.
Ein Großteil der Bevölkerung jedoch will sich weder mit dem Abbau sozialer Rechte noch der Zerstörung sozialen Eigentums durch Armutslöhne, Rentenkürzungen und eine reduzierte soziale Sicherheit abfinden - er hält dank tief verwurzelter sozialstaatlicher Normen an der Erwartung einer sozialen Regulierung des Kapitalismus auch für das 21. Jahrhundert fest. Diese Normen sind keineswegs auf die untere Hälfte der sozialen Pyramide beschränkt; auch beträchtliche Teile der Mittelschichten haben sie übernommen. Eine grundlegende Reform der kapitalistischen Gesellschaft muss daher so anlegt sein, dass mit der Bekämpfung der bestehenden Ungleichheiten in der Einkommensverteilung eine langfristig ausgerichtete Strukturpolitik angestoßen wird. Es geht nicht um mehr Wirtschaftswachstum innerhalb der überlieferten Einkommens- und Konsumstrukturen, sondern um die Herausbildung einer sozial und ökologisch verträglicheren Lebensweise.
Gewiss, der Rückzug auf eine defensive Politik der reinen Verteidigung des Sozialstaats wäre unrealistisch. Das hieße nicht nur, seine immanenten Widersprüche, sondern auch die Entwicklung von Individualität sowie des Anspruchs auf Selbstbestimmung und Partizipation zu ignorieren. Ein erneuerter Sozialstaat bedarf reformierter verteilungspolitischer Grundlagen, neuer Ansätze indirekter Wirtschaftssteuerung und eines demokratischen Aufbruchs.
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