Wenn man die Latte nur niedrig genug legt, kann man hinterher immer behaupten, sie souverän übersprungen zu haben. Nach diesem Prinzip hat sich die SPD nun auch die NRW-Kommunalwahl schöngeredet. Die angebliche Stabilisierung galt noch 1999 als veritable Katastrophe. Von den sechziger bis zu den neunziger Jahren war die SPD in NRW immer stärkste Partei. In den achtziger Jahren eroberte sie mit Johannes Rau sogar absolute Mehrheiten. Ein Jahr nach Schröders Amtsantritt donnerte sie dann auf ein Drittel der abgegebenen Stimmen herunter. Hauptgrund war, dass in ihren Hochburgen im Ruhrgebiet auch die Wahlbeteiligung auf ein Drittel zusammensackte. Schon damals waren es Umbaumaßnahmen am Sozialstaat, seinerzeit bei der Rente, die das sozialdemokratische Wahlvolk d
k demotivierten.Nun wurde die SPD von 33,9 auf 31,7 Prozent durchgereicht. Was hätte sich unter dem Vorzeichen von Hartz IV auch ändern sollen? Nur wird die damalige Katastrophe von der SPD jetzt als "Wende" gefeiert. Wer will unter diesen Umständen von den Schulen noch verlangen, dass sie den Kindern erfolgreich die Grundrechenarten beibringen? Geändert hat sich im Vergleich zu 1999, dass nun auch das CDU-Wahlvolk dazu gelernt hat. Es hat sich herumgesprochen, dass der CDU der Sozialabbau noch nicht weit genug geht. Sie fiel von 50,3 auf 43,4 Prozent und die Nervosität in ihren Reihen steigt. In acht Monaten wird ein neuer Landtag gewählt.Was SPD und CDU eint, ist ihre Ratlosigkeit gegenüber dem ökonomischen Strukturwandel. Die SPD hat sich im gemeinsamen Filz mit der konservativsten Einzelgewerkschaft, der IG Bergbau, Energie, Chemie in heillose Abwehrkämpfe zur Verteidigung von Milliardensubventionen für Industrien von gestern verstrickt. Solange sie die Macht allein hielt (von 1980 bis 1995) konnte sie die Milliarden mit vollen Händen verteilen. Der Klüngel verschwendete viel knappes Geld, und die Menschen in den Bergbaurevieren blieben ruhig. Unter der Ägide des heutigen Superministers Clement wurde dann erfolglos auf "Zukunftsbranchen" vom Kaliber der neuen Medien- und Informationstechnologien gesetzt. Der Musikindustrie, die jüngst nach Berlin abgewandert ist, weint am Rhein schon niemand mehr eine Träne nach.Wirkliche Zukunftstechnologien bekämpfte Clement, zum Beispiel ein modernes Gas-Kraftwerk, nur um den Markt zugunsten der ihm nahestehenden Energiekonzerne (RWE, Eon, RAG) vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen. So ermöglichte er es seinen grünen Konkurrenten in der Landesregierung, die engagiert für dieses Projekt eintraten, sich wirkungsvoll als fortschrittliche Technologiefreunde zu präsentieren. Das populärste Mitglied des Landeskabinetts, die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn ist bei Landtagsdebatten und TV-Diskussionen heute unbesiegbar. Zwei sozialdemokratische Regierungschefs (Rau und Clement) hat sie nun schon im Amt überlebt.Unter diesen Umständen kann das grüne Wahlergebnis (von 7,3 auf 10,3 Prozent) nicht verwundern. Die Struktur der grünen Mitglieder in NRW hat sich gewandelt. Über ein Drittel der Mitglieder traten in den vergangenen fünf Jahren wegen der Kriegsbeteiligungen in Jugoslawien und Afghanistan aus, etwa ebenso viele neue kamen. Die besten Ergebnisse erzielten sie in Städten mit starken akademischen Milieus (Bonn, Münster, Aachen, 16 bis 19 Prozent) und hoher Kaufkraft (Düsseldorf, zwölf Prozent), während ihre Bäume im strukturschwachen Ruhrgebiet (unter zehn Prozent) und im bisher schwarz-grün regierten Köln (16,6 Prozent nach Prognosen bis zu 24 Prozent) nicht in den Himmel wuchsen. Bester Schutz für die Grünen: in vielen Städten werden sich "Koalitionen der Verlierer" von CDU und SPD bilden. Sie werden so viel Unsinn anstellen, dass die Grünen bei der nächsten Kommunalwahl Volksparteiergebnisse einfahren können.Viele sehen in den Abstürzen von SPD und CDU eine verspätete Normalisierung und Angleichung an europäische Verhältnisse. Was sich jedoch bisher im Westen Deutschlands nicht entwickelt, ist eine handlungsfähige linke Alternative. Die PDS (von 0,8 auf 1,4 Prozent) hat sich seit 14 Jahren daran die Zähne ausgebissen. Obwohl es in NRW seit 1999 bei der Kommunalwahl keine Fünf-Prozent-Hürde mehr gibt, wird von der West-PDS als auch dem gesamten Feld links der Grünen krassestes Sektierertum gepflegt. In Köln gab es zum Beispiel nicht nur zwei konkurrierende Anti-Hartz-Demos, sondern auch drei (!) weitere Listen "links" der PDS.Vielleicht gibt es eine Zukunft für neue Bürgerinitiativen. Oft genug stoppen in der NRW-Gemeindeordnung vorgesehene Bürgerbegehren unsinnige Stadtplanungsprojekte, die in der Regel durch "große" Koalitionen von CDU, SPD und FDP mit Investoren verfolgt werden. Das veranlasst eine zunehmende Zahl von Menschen, sich wieder engagierter mit den politischen Verhältnissen in ihrer nahen Umgebung auseinander zu setzen und sich in Bündnissen für solche Bürgerbegehren zusammenzutun. Diese Quelle von Engagement und Politisierung wird von großen Parteien und kleinen Sekten nicht mehr integriert. Und das ist auch gut so.