Ganz oben in der Hitliste der Debattenevergreens dürfte die Frage nach dem Kinderkriegen liegen. Gibt ja auch eine Menge zu sagen: ja, nein, vielleicht, was soll die Frage überhaupt? Oder sogar: mit wem und unter diesen Umständen? Aus halbwegs emanzipierter Sicht kommt die Frage einer biologistischen Attacke auf gründlich dekonstruierte Rollenbilder gleich: Schließlich kriegen Frauen die Kinder und werden zu Milchspendern, und auf einmal ist sie nicht mehr wegzudiskutieren, die Geschlechterdifferenz.
Wer wie die FAZ neulich meint, dass es Kinder „einem schon dadurch einfach machen, dass sie zu Beginn nur herumliegen“ und junge Väter daran nicht verzweifeln sollten, „dass ihre Kinder sich im ersten Jahr von ihnen fast nie, von der Mutter aber i
n der Mutter aber immer beruhigen lassen“, der ist längst einer patriarchalen Logik verfallen, derzufolge sich aus der offensichtlichen Geschlechterdifferenz eine ebenso „natürliche“ soziale Rolle der Frau als Grundversorgerin ableitet – bloß nicht verzweifeln!Allen, die sich lieber noch ein paar Gedanken mehr machen wollen, hat der Ventil Verlag einen wunderschönen Sammelband vermacht: The Mamas and the Papas. – Reproduktion, Pop & widerspenstige Verhältnisse heißt das Buch, das sich dem Thema Elternschaft aus der Perspektive einer feministischen Gesellschaftskritik heraus nähert. Wer das tut, muss zunächst am allgegenwärtigen Muttermythos vorbei. Seit Beginn der modernen Kernfamilie im 17. Jahrhundert und der neuen Familieneinheit von Vater-Mutter-Kind, kommt der Frau die Rolle der „natürlichen“ Versorgerin zu. Lisa Malich verfolgt die zeitgenössischen Aktualisierungen dieses Mythos von Rousseau bis zu Pädagogen wie Pestalozzi, die diese Rollenverteilung zunächst unter dem Begriff „Mutterinstinkt“ und später im 19. Jahrhundert als „pflichterfüllende Mutterliebe“ festgeschrieben haben. Im Nationalsozialismus zum Dienst am Volkskörper zugespitzt, setzte sich diese Rollenverteilung auch in der Nachkriegszeit fort.Wie ein halbes SubjektWie stark der gesellschaftliche Rahmen die individuelle Gefühlslage durchzieht, beschreibt Astrid Henning. Aufgewachsen in der Kleinbürgeridylle der DDR mit (zumindest theoretisch) staatlicher Rundumversorgung, erschien es ihr zunächst selbstverständlich, Kinder zu bekommen. Nach dem Mauerfall versprach dann ein Leben ohne Kinder auf einmal die spannenderen Aussichten. Als Ende der Neunziger klar wurde, dass immer mehr Mütter ihr eigenes Geld verdienen können und müssen, setzte sich unter dem Schlagwort der „Vereinbarkeit“ ein „bürgerlicher Feminismus à la Ursula von der Leyen“ durch, unterstützt von feuilletonistischen Kinderkriegaufrufen und einer popkulturellen Paarbeziehungsberieselung. Als Frau ohne Kind fühlte sich Henning nur noch wie ein „halbes Subjekt“: „Erst meine biologische Altersgrenze verschafft mir eine Akzeptanz meiner Persönlichkeit mit all ihren Facetten jenseits der Mutterrolle.“ Der Muttermythos trifft auch jene, die ihn nicht erfüllen wollen.Entsprechend viel Raum nimmt in dem Buch die Suche nach einer alternativen Arbeitsteilung ein. Susanne Bruha und Michael Bohmeyer stellen ihr 50/50-Modell vor: Drei Wochen nach der Geburt war jedes Elternteil einen Tag lang „wie alleinerziehend“ und damit für Kind und Haushalt verantwortlich. Um 20 Uhr war Schichtwechsel. Suse stillte zwar (auch ein großes Thema, diese „ideologisch belastete Muttermilch“), weshalb Micha in seinen „Schichten“ alle drei Stunden zu ihr kommen musste, wo auch immer sie sich gerade befand. Das Modell setzte voraus, dass beide Elternteile freiberuflich tätig sind und sich ihre Zeit entsprechend einteilen können. So konnten beide relativ gleichberechtigte Erziehungs-Erfahrungen machen und den Terror der ständigen Absprachen weitestgehend umschiffen, das Patriarchat im Kleinen allerdings nicht auflösen. Während Micha häufig das Gefühl hatte, es sei großzügig, die Hälfte seines Lebens zu „opfern“, sichtete Suse auch außerhalb ihrer Dienste Klamottenberge, fror Brei ein, kümmerte sich um organisatorische Dinge und musste sich dazu Sätze anhören wie: „Toll, dass du ausgehst, obwohl dein Kind erst drei Monate alt ist!“. Das Patriarchat ist eben tief drin in den Gedanken. Besonders viel zweifeln müssen die, die nicht in das gängige Vater-Mutter-Kind- Schema passen. Das schreibt auch Jasper Nicolaisen, der sich mit seinem Partner um ein Pflegekind bemühte: „Queere Elternschaft, das heißt für uns auch: Vorauseilende Spießigkeit. Damit man uns überhaupt ein Kind gibt, muss alles stimmen. Und was ,stimmen’ heißt, das entscheiden andere.“Baggerführer WillibaldWas fehlt, sind Perspektiven außerhalb eines studierten Umfelds sowie ein Beitrag, der den aktuellen familienpolitischen Rahmen genauer absteckt. Die Texte sind vor allem individuelle Feldversuche in strukturellen Minenfeldern. Sie erteilen keine Ratschläge, sondern bieten Erfahrungswerte, Literatur- und Blog-Hinweise zum Weiterdenken und Austauschen. Und mit Kinderbuch- und Musiktipps auch ein paar Ideen, wie aus kleinen, konsumgeilen, süßen Egomanen und Egomaninnen doch noch halbwegs vernünftige Menschen werden: nicht, indem man ihnen Geschichten vorliest, in denen die Identifikationsfiguren erst Herausforderungen bestehen müssen, um Anerkennung zu erfahren. Auch nicht, indem man sie mit Liedtexten wie dem „Baggerführer Willibald“ zu politischen Subjekten erzieht („Und in das Haus hinein/ziehen feine Leute ein!/Die Miete ist sehr teuer/kost siebenhundert Eier/Wer kriegt die Miete bloß?/Der Boss!“). Sondern indem man ihnen Erfahrungsräume bietet, in denen sie sich selbst spielerisch ausprobieren können, im gemeinsamen Musikmachen etwa.Deshalb kann dieses Buch wohl auch nur in einem Verlag erscheinen, der schon im hochpupertären Alter von nun 15 Jahren so stetig darauf beharrt, dass der Wunsch nach einem anderen Leben wie einer anderen Elternschaft nicht nur geschrieben oder im popkulturellen Aufbruchsgestus zelebriert, sondern im Alltag gelebt werden will – so gut das eben geht.