Überraschung!

Sommermärchen 2006 Deutschland ist keine Alternative, sondern Ausdruck der Ökonomie im Weltfußball
Ausgabe 43/2015
Die guten alten Zeiten: Franz Beckenbauer, Marco van Basten und Wolfgang Niersbach (von links) 2004
Die guten alten Zeiten: Franz Beckenbauer, Marco van Basten und Wolfgang Niersbach (von links) 2004

Foto: Nadine Rupp/Bongarts/Getty Images

Bei einem Knüller kommt es immer sehr darauf an, wann er knüllt. Der Spiegel hatte am Wochenende einen klassischen Knüller, im Englischen würde man von einem Scoop sprechen: Das zerstörte Sommermärchen, schlimmer kann es für Fans in Deutschland kaum kommen. Denn von der hohen Warte der Moral aus blickt das Land auf den internationalen Fußball, der dritte Platz bei der WM 2006 war gewissermaßen der Preis dafür, dass das Land von der Geschichte den Patriotismus zurückerhielt, gewaschen und geschleudert und mit dem Gütesiegel der Selbstbescheidung. Den Titel holten die Italiener mit ihrem Unhold Materazzi und ihrer versumpften Liga.

Erst acht Jahre später durfte Deutschland in Rio de Janeiro auch Weltmeister werden, und nun waren die Erzählungen noch eindeutiger: In einer Welt der „bad governance“ (die FIFA und die brasilianischen Eliten gegen das Volk) gewinnt das Land, das alles korrekt macht, und mit den schlimmen Fingern ausder Schweiz, wo der Weltverband und der europäische sitzen, nichts zu tun hat.

Die Geschichte im Spiegel wollte das alles hochgehen lassen, doch wenn man genauer las, wurde doch deutlich, dass da jemand vor allem laut „Boo!“ gesagt hat. In der Hoffnung, dass ein paar Beteiligte so erschrecken, und nun auch die Wahrheit herauskommt, von der man beim Spiegel noch keine Dokumente gefunden hat. Der DFB hat Geld an dieFIFA überwiesen, das von dort an den inzwischen verstorbenen, früheren Adidas-CEO Louis-Dreyfus ging. Über ein Konto „nicht bei ihrer Hausbank (...), sondern bei einem anderen Schweizer Geldhaus“. Derselbe Louis-Dreyfus, der auch Uli Hoeneß im Jahr 2000 20 Millionen Mark gab, damit der ein wenig an den Börsen zocken konnte. Eine Transaktion, „angeblich rein privat“, wie der Spiegel schreibt, der damit auch noch die Gerüchte am Leben hält, dass die Justiz sich in der Causa Hoeness auf einen Deal eingelassen hat. Aber wann genau wurde das Geld überwiesen? Und was genau geschah damit? Wurden damit wirklich FIFA-Delegierte bestochen? Beweisen kann es der Spiegel nicht. Er beruft sich wohl vor allem auf eine Quelle, die der nachmalige Präsident des DFB, Theo Zwanziger sein könnte.

Das Nachrichtenmagazin ist seit über zehn Jahren an diesen Geschichten dran, steht nun aber plötzlich unter Zeitdruck, weil Ermittler in den USA undder Schweiz sich endlich intensiv mit den dubiosen Praktiken der Körperschaften befassen, die den Fußballbetrieb organisieren. Die Kollateralschäden sind unabsehbar. Der Thron des „Kaiser“ Franz Beckenbauer wackelt. Einen Apparatschik wie Wolfgang Niersbach konnte niemand ernsthaft für eine Personalreserve des Weltfußballverbands halten. Die internationalen Netzwerke haben nicht zuletzt deswegen so lange dicht gehalten, weil Deutschland sich niemals zu seriösen Maßnahmen entschließen wollte. Dieses Deutschland, in dem Vereine (zuvorderst der FC Bayern) und Verbände (DFB) mit Medientrusts (Kirch, ISL) und Unternehmen (Adidas, Telekom, Volkswagen) ein personell hochverdichtetes System mit Beckenbauer und Günter Netzer als Symbolfiguren bilden, war niemals Alternative, sondern immer Ausdruck der Ökonomien des Weltfußballs, die an den neuralgischen Punkten ins Informelle der Männerkumpanei übergehen. In Zeiten, in denen Politiker und Funktionäre in vielen Ländern schon aufpassen müssen, ob die Uhr, die sie tragen, zu ihrem offiziellen Gehalt passt, sind die Instrumente vorhanden, das auszutrocknen. Nach dem Knüller ist vor der nächsten Recherche.

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