Martin Schürz ist Ökonom und individualpsychologischer Analytiker in Wien. Er arbeitet mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen – zugleich erforscht Schürz die Welt der Superreichen und wie deren Macht die Demokratie zerstören kann.
der Freitag: Herr Schürz, haben Sie selbst schon einmal davon geträumt, sehr reich zu sein?
Martin Schürz: Nein, habe ich nicht. Ich komme aus proletarischen Verhältnissen und habe sehr früh gelernt, mit dem glücklich zu sein, was da ist. Ich glaube, das ist eine Temperamentssache, ich war ein zufriedenes Kind. Es ist eine Ressource, sich an Kleinigkeiten freuen zu können. Ich arbeite als Therapeut mit Kindern, die erzählen mir manchmal von materiellen Träumen, da geht es um ganz bescheide
mit Kindern, die erzählen mir manchmal von materiellen Träumen, da geht es um ganz bescheidene Dinge. Es stimmt nicht, dass alle Menschen reich sein wollen. Sie wollen einfach ein gewisses Konsumniveau oder bestimmte Luxuserfahrungen.Sie erforschen Überreiche und große Vermögen. Letztere sind oft gar nicht so leicht zu fassen.Das ist wie ein nicht endender Lauf oder eine Don Quijoterie. Es ist aufwendig, an Daten zu kommen, die viele Menschen als privat betrachten und nicht hergeben wollen. Die tatsächliche Vermögenskonzentration wird durch freiwillige Erhebungen nicht abgebildet. Man bleibt als Vermögensforscher immer mit einem unzureichenden Ergebnis zurück.Ist extremer Reichtum unmoralisch?Begründeter Reichtum muss nicht unmoralisch sein, Überreichtum schon, es gibt keine Gerechtigkeitstheorie, die ihn rechtfertigt. In meinem Buch dazu stelle ich einfache Fragen: Warum gibt es Überreichtum, obwohl er ungerecht ist? Warum werden Überreiche auch in einer Demokratie bevorzugt?Ab wann ist ein Mensch zu reich?Wenn man sich drei durchschnittliche Jahresgehälter zur Seite legen kann, schreibt der deutsche Philosoph Christian Neuhäuser in seinem Buch Wie reich darf man sein?. Das erscheint mir eine zu niedrige Grenze. Ich argumentiere: Ein Mensch ist zu reich, wenn er mithilfe seines Vermögens die Möglichkeit hat, die Demokratie zu zerstören. Dafür benötigt man Macht und nicht nur Ersparnisse.In Ihrem Buch „Überreichtum“ kritisieren Sie den politischen Einfluss sehr reicher Menschen.Milliardäre haben andere Vorstellungen zur Wirtschaftspolitik als der Rest der Bevölkerung. Und sie haben ein enormes Drohpotenzial. Wenn ihnen die Ausrichtung der nationalen Steuerpolitik nicht passt, können sie ihr Vermögen in Steueroasen verlagern. Das erhöht den Druck auf die Wirtschaftspolitik, sich nach den Wünschen der mächtigen Überreichen zu richten.Wie kam es, dass Sie ein Buch genau dazu geschrieben haben?Vermutlich aus sehr persönlichen Gründen. Mein Vater war Fabrikarbeiter und hat sich oft sozial beschämt gefühlt. Vielleicht achte ich als Therapeut deshalb besonders auf soziale Scham und als Ökonom auf Gefühle, die die Volkswirtschaftslehre vernachlässigt.„Die Gefühle sind der Schlüssel, um zu verstehen, warum das Reichtumsthema so aufregt“, haben Sie mir im Vorfeld dieses Interviews geschrieben.Die Eigentumsverhältnisse sind extrem ungleich. Es gibt ganz wenige Menschen, die haben Milliarden. Aber es gibt ganz viele, die haben nichts. Für diese extremen Unterschiede gibt es keine rationale Rechtfertigung. Die Ungerechtigkeit ist offensichtlich. Gefühlsmäßig kann man das aber anders empfinden. Dem Moralphilosophen und Ökonomen Adam Smith ist schon im 18. Jahrhundert aufgefallen: Die Armen bewundern die Reichen und verachten die noch Ärmeren. Daneben spielt auch die Furcht vor den Mächtigen oder die Angst vor einem Verlust von Eigentum eine wichtige Rolle. In der Philosophiegeschichte finden sich auch Gefühlszuschreibungen zu den Reichen, insbesondere zu deren Gier. Und in politischen Debatten ist oft von Neid auf die Reichen und einem vagen Begriff von Verdienst die Rede. Das macht das Thema faszinierend und vielschichtig.Placeholder infobox-1Adam Smith hat geschrieben, dass die Reichen am meisten bewundert werden, wenn die Ungleichheit groß ist. Weshalb?Ich denke, gegenwärtig liegt es daran, dass der Staat entscheidend geschwächt wurde. Öffentliches Vermögen ist in den letzten Jahrzehnten gesunken, während private Vermögen gestiegen sind. Der Staat verliert die Achtung der Bürger und Bürgerinnen, gleichzeitig ist die Bewunderung für Unternehmer wie Bill Gates groß. Es gibt viele Heldengeschichten über Milliardäre: Die seien deshalb so reich, weil sie so kühn, innovativ und risikoorientiert sind. Aber das sind die Alleinerzieherinnen oder Kleinstunternehmer in den ärmsten Ländern der Welt auch. Was leider zu oft und zu gerne vergessen wird, ist die Bedeutung von Erbschaften, die mit Leistung nichts zu tun haben.Thomas Piketty fordert in seinem neuen Buch „Capital et idéologie“ einen Steuersatz von 90 Prozent auf Vermögen ab zwei Milliarden Euro.Ja, das fände ich richtig. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Es gibt immer weniger Länder in der OECD mit Vermögenssteuern und ein ganzer Industriezweig lebt davon, den Überreichen dabei zu helfen, ihr Vermögen auch noch gegen Besteuerung zu verteidigen.Kritiker sagen, eine Vermögenssteuer sei Enteignung.Enteignung ist hier der falsche Begriff. Enteignung unterstellt, dass es einen Naturzustand gibt, der über den Markt hergestellt wird. Aber Privateigentum entsteht überhaupt erst in einem sozialen Miteinander. Über das Zusammenspiel von Staat und Unternehmen hat die italienisch-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato geschrieben. Ein Unternehmer nutzt zum Beispiel Wissen, das mit staatlicher Forschungsförderung entstanden ist. Er braucht Autobahnen, um seine Waren zu transportieren, und einen Flughafen, um sie zu verschicken. Er stellt Fachkräfte ein, die an öffentlichen Schulen und Universitäten ausgebildet wurden. Polizei und Gerichte sichern sein Eigentum rechtlich ab. Der Staat fördert also auch den Reichtum der Überreichen. Es stellt keine Enteignung dar, wenn man sie besteuert, sondern es geht um die Aushandlung sozialer Verhältnisse.Was wissen wir überhaupt über die reichsten Menschen?Zu wenig. Wir wissen viel mehr über die Mitte der Gesellschaft oder die Armen. In Österreich wäre ein Armuts- und Reichtumsbericht, wie er in Deutschland schon lange existiert, eine wichtige Neuerung. Transparenz bei den Daten zum Vermögen wäre die Voraussetzung für eine evidenzbasierte Politik und die Basis für Gerechtigkeitsdebatten.Österreich gehört in Europa zu den Ländern mit der größten Vermögensungleichheit.Da muss man differenzieren. Hohe Vermögensungleichheit heißt nicht unbedingt hohe Ungerechtigkeit. Das verwechseln viele. In Wien ist die Vermögensungleichheit etwa höher als auf dem Land. Aber in Wien gibt es Gemeindebauten und Genossenschaftswohnungen. Die Menschen brauchen also kein Vermögen ansparen, um eine Wohnung zu kaufen. Sie haben Alternativen. Außerdem gibt es in Österreich kostenlose Kindergärten und vom Staat finanzierte Universitäten. Wenn man beurteilen will, wie gerecht ein Land ist, muss man sich wenigstens drei Faktoren ansehen: die Vermögen, die Einkommen und die Leistungen des Sozialstaates.Einkommensreichtum und Vermögensreichtum werden oft vermischt.Ein wichtiger Punkt. Egal, ob jemand viel oder wenig verdient, gibt es etwas Gemeinsames, die Arbeit. Beim Vermögen ist das nicht so. Die einen sparen ein wenig aus ihrem Arbeitseinkommen, andere erben beträchtliche Summen. Für die Vermögen der Überreichen fehlt außerdem zumeist die Vorstellungskraft. Großverdiener bekommen monatlich vielleicht dreißigmal mehr als Geringverdiener. Bei den Vermögen besitzen die reichsten Menschen verglichen mit Angehörigen der Mittelschicht fast das Millionenfache. Und das Vermögen sehr reicher Menschen zielt über den Tod hinaus. Damit können Familienprivilegien über Generationen gehalten werden.Die reichsten Menschen der Welt leben zurückgezogen, wir haben in der Regel gar keine Vorstellung von ihrem Leben.Und wenn, sind es oft die falschen Bilder. Wenn es um Reiche geht, werden oft Jachten gezeigt, oder Privatflugzeuge. Oder, noch bescheidener, Champagner, den es auch beim Discounter gibt. Bei Überreichtum geht es aber nicht um Luxus, sondern um die Möglichkeiten, die mit milliardenschweren Erbschaften, riesigem Immobilienbesitz und Unternehmen einhergehen. Einen Teil meines Buches habe ich in Mexico City geschrieben. Die großen Straßen waren dort von den Autos verstopft, sodass eine zweite Autobahn direkt darüber gebaut wurde, die nur von Wohlhabenderen genutzt wird, weil sie gebührenpflichtig ist. Aber erst die Helikopter der Vermögenden in der Luft oberhalb der Straßen geben eine vage Idee zu den Überreichen.Der Begriff Überreichtum stammt ursprünglich von Platon.Ja, Platon hat sich mit dem Charakter von Reichen beschäftigt. Da geht es um Überlegungen zur Tugendhaftigkeit der Reichen. Dahinter steckt die Idee, dass Vermögende nicht nur mehr Geld haben, sondern auch charakterlich hervorragend sein sollen. Das hat eine lange Tradition und reicht bis heute. Das Gefühl der Überlegenheit ist aber abwertend und beschämend für die Armen. In meinem Buch geht es um extremen Reichtum, der die Demokratie zerstört und den sozialen Zusammenhalt schwächt.Placeholder authorbio-1
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