Übersprungshandlungen

Kulturpolitik Die Debatte um das Jüdische Museum zeigt, wie emotional und ambivalent das deutsch-jüdische Verhältnis bis heute ist
Ausgabe 25/2019
Der neue Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Prof. Dr. Peter Schäfer
Der neue Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Prof. Dr. Peter Schäfer

Foto: Imago Images/Uwe Steinert

Der renommierte Judaist Peter Schäfer ist als Direktor des Jüdischen Museums Berlin zurückgetreten, „um weiteren Schaden“ von seinem Haus abzuwenden. Das Haus vermittelt seit 2001 deutsch-jüdische Geschichte, lebhaft und unkonventionell. Es präsentiert unterschiedliche Sichten und greift kontroverse Fragen auf, die Besucher zum Nachdenken anregen, anstatt sie mit einfachen Antworten abzuspeisen. Für Schäfers Nachfolger dürfte es schwierig sein, diesem Anspruch weiter gerecht zu werden.

Vorausgegangen war ein Bundestagsbeschluss vom 17. Mai, der die BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) für antisemitisch erklärt. Die Bewegung agiert seit 2005 für einen Boykott gegen Israel, um die israelische Besatzung der Palästinensergebiete zu beenden. Sie ist ebenso umstritten wie nun die Entscheidung der deutschen Abgeordneten. 240 jüdische und israelische Wissenschaftler, darunter namhafte Antisemitismusforscher und Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, äußerten ihre Bestürzung in einem Aufruf: Der Beschluss sei der falsche Schritt, um Antisemitismus zu bekämpfen. Sie appellierten an die Bundesregierung, sich dem Parlament nicht anzuschließen. Obwohl viele der Unterzeichner keine BDS-Anhänger sind oder die Bewegung sogar ablehnen, wurden ihre Worte dennoch als Unterstützung ausgelegt. Stein des Anstoßes war wohl ihre Behauptung, der Beschluss habe wenig mit dem Anstieg des Antisemitismus zu tun, sondern sei vielmehr „von den politischen Interessen und der Politik der am stärksten rechtsgerichteten Regierung Israels in der Geschichte des Landes angetrieben“.

Die Pressesprecherin des Jüdischen Museums, die den Aufruf twitterte, brachte das Fass zum Überlaufen. Das sei „beschämend“, so der israelische Botschafter in Deutschland, ein Vertrauensbruch, so der Zentralrat der Juden, eine Mandatsüberschreitung, so der Jüdische Weltkongress. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats, befand, das Museum sei „gänzlich außer Kontrolle geraten“, und fragte, ob es sich überhaupt noch als jüdisch bezeichnen dürfe. Tatsächlich wird das Museum vom Bund kontrolliert und ist eine Stiftung öffentlichen Rechts. Somit ist es per se gar nicht jüdisch. Doch wer bestimmt, was jüdisch ist? Ist das Museum, indem es sich wiederholt politisch gezeigt hat, wirklich außer (wessen) Kontrolle geraten? Geht es bei diesem Eklat tatsächlich um die Rolle des Museums?

Der Kampf um Deutungshoheiten und Narrative ist härter denn je. Für viele nicht jüdische Deutsche, Juden und Israelis sind die Themen Antisemitismus und Israel zu Identitäts- und Glaubensfragen geworden. Ihre Debatten zeigen, wie emotional und ambivalent das deutsch-jüdische Verhältnis bis heute geblieben ist.

Dass ausgerechnet deutsche Politiker mit ihrem BDS-Beschluss einseitig Position bezogen haben und damit jüdische Funktionäre und Intellektuelle gegeneinander ausspielen, ist das eigentlich Beschämende. Dahinter verbirgt sich ihr Unvermögen, sich mit der NS-Zeit und den Lehren aus dem Holocaust konstruktiv auseinanderzusetzen. Das zeugt weniger von verantwortungsvollem Umgang mit der Vergangenheit als von Übersprungshandlungen, die eine unzulängliche Antwort auf den weltweiten Auftrieb der Rechten sind. Destruktiv daran ist, dass gerade die Rechtsradikalen mit ihren monolithischen und spalterischen Ideologien von dieser Kopflosigkeit profitieren.

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