Wenn Herr Hauser alias Tucholsky einen Besuch bei reichen Leuten überstanden hatte, war „nach dem Backofen des Reichtums ein Topf irgendeiner nassen Sache“ fällig. Angesichts seiner Vorlieben ist anzunehmen, dass es sich um Wein handelte als Sedativ gegen den Mief in entsprechenden Kreisen, gegen bedrückende Anwandlungen beim Anblick allzu „wattierten“ und „anämischen“ Lebens – ein Unterpfand des ernüchterten Menschen, der darauf zurückkommen will, dass Leben im allernächsten Moment einfach beschwingt sein kann!
Tucholsky verschrieb sich – zumindest literarisch – dem abendlichen Zechwein. Auch jetzt noch mögen für uns die weinseligen Stunden am Abend erholsames Vergessen, den unverbrüchlichen kleinen Trotz des rechten Lebens in sich bergen. Angesagt ist mittlerweile aber Wein als Medium hochfliegender Wahrheiten, als „Pretiose“, deren Entdeckung, Genuss und Würdigung Könnerschaften implizieren, die nicht jedem Gebeutelten zukommen.
Die Liga der Profis zelebriert Tucholskys nasse Sache (sofern sie die bekannten Punkte zusammenbekommt) in meditativer Semantik als Fabulosum, als hedonistisches Faszinosum, als alchimistische Essenz und transzendentes Mysterium in einer Abendgarderobe aus Samt und Seide. Abgesehen davon, dass ein solches Sprachgebaren einem verbalen Tanz um das goldene Kalb gleichkommt, fühlt man sich an Thomas Manns Felix Krull erinnert, der im Blick auf die Weinerzeugnisse seines Vaters bekennt: „Übrigens scheint es, dass die Beschaffenheit des Weines dieser blendenden Aufmachung nicht vollkommen entsprach.“ Leider ist der damit verbundene ironische Akzent, welcher übrigens auch dem Wesen eines guten Weins eigen ist, unter seinen Kennern Mangelware.
Dass sie nicht möpselt!
Wein soll schmecken. Nicht jeder, der über den entsprechenden Sinn verfügt, hat auch Geschmack. Hier ist eigene Erfahrung unumgänglich. Zu lernen ist auch, dass nicht jedes große Gewächs schon deshalb in Demut auf die Knie zwingt, weil sein Kauf spürbare Folgen fürs Portemonnaie bedingt. Längst nicht alles, was sich dem Geschmack darbietet, schmeckt auch. Am Wein schmeckt das, was Trauben enthalten und in schonender Verarbeitung hergeben: reintönige, unverwechselbare Aromen, welche sich – je nach Lage, Sorte und Jahrgang sowie getragen von Alkohol, natürlicher Säure, ebensolchen Tanninen und zirka 2.000 Primärstoffen – als fein, intensiv, harmonisch und komplex darbieten. Was an Zusatzstoffen diesem Geschmacksbild hilft, mag die Güte des Produkts fördern. Was dagegen dieses Geschmacksbild standardisiert oder tüncht, kann nicht erwünscht sein und ist dem Körper auch nicht zuträglich. Stirn, Schläfen und Augen, Speiseröhre und Magen sprechen eine klare Sprache. Zuallererst gilt: Wein muss trinkbar sein!
Ein guter Wein (in einem guten Glas und zur rechten Stunde) hat etwas: Er bietet im Sinne eines quasi sittlichen Beistands handwerklich sauberen und ehrlichen Genuss, auch weil er in seiner Eigenart bei Laune und Gesundheit hält. Nicht irgendeine nasse Sache also, sondern eine, der man – anders als so manchem Fabrikat der Lebensmittelindustrie – treu bleiben darf.
Tucholsky verließ sich darauf, dass auf dem Boden des Lebens Wein weiterhilft. Darauf, dass der Trinker dabei ins Elysium entschwebt, hat er nicht gesetzt. Gewusst hat er allerdings um die Flüchtigkeit der weinsinnlichen Stunde: Irgendwann ist jedes Glaserl leer. Diese Flüchtigkeit ist aber gerade eine Stärke: Man trinkt Wein nicht, um sich eine höhere Wahrheit ans Bein zu binden. Man liquidiert ihn, um ins Leben zu entkommen – wie Tucholsky, dem es bei der nassen Sache nur auf eins ankam: dass sie nicht möpselt. Punktum!
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