Umfragen

DEMOSKOPEN MACHEN POLITIK Zur Relativität von Relativsätzen

Am Tag der Bundestagsabstimmung über den "Bündnisfall" meldete dpa vormittags um 8.30 Uhr: "Umfrage: 80 Prozent unterstützen Vergeltungsschläge der USA". In der Regel bekommen die Nachrichtenagenturen Vorabmeldungen von den Zeitungen oder Fernsehsendern, die solche Umfragen in Auftrag gegeben haben. In diesem Fall war es Die Woche von Schröder Freund Manfred Bissinger, die Umfragen von Schröder-Freund Manfred Güllner und seinem Forsa-Institut machen lässt. Einige Stunden später stimmte der Bundestag ganz im Sinne von Schröder, Bissinger und Güllner ab. Es gab nur 40 Gegenstimmen.

Zwei Tage später konnte auch der Normalmensch in der Woche nach diesem Umfrageergebnis suchen. Es war allerdings nicht zu finden. 66 Prozent (aber keine 80) sollen demzufolge für eine deutsche Beteiligung an den "US-Militäraktionen gegen den Terror" sein, 28 Prozent dagegen; nur 27 Prozent sind dabei für die Beteiligung "mit Kampftruppen", 70 Prozent sind nur für "indirekte Hilfe (Sanitäter etc.)". Beim weiteren Suchen in den bunten Woche-Graphiken stößt man dann doch auf eine 80: 80 Prozent "fürchten, dass Gegenschläge der USA neue Gewalt auslösen". 57 Prozent fürchten sogar, "dass es zu einem neuen Weltkrieg kommt". Das kann aber alles nicht gemeint gewesen sein, denn es wurde in der Vorabmeldung ja wohlweislich weggelassen, vermutlich weil es nur sehr schlecht in das Szenario des Tages gepasst hätte.

Dann endlich, mit ein wenig Kopfrechnen, finde ich die Stelle. 18 Prozent beantworten die Frage "Haben die USA das Recht militärisch hart zurückzuschlagen" mit "Ja, ohne jede Einschränkung". (17% antworteten mit "Nein".) Weitere 62 Prozent antworteten auch mit "Ja", macht zusammen 80. Die Woche und dpa vergaßen in der Vorabmeldung lediglich den kleinen Relativsatz der 62 Prozent: "Ja, aber es kommt darauf an, gegen wen." So wurde ein inhaltlicher Vorbehalt mit dem vermutlichen Bedürfnis, vorher gefragt werden zu wollen, in den Schlagzeilen fast aller Tageszeitungen zu einem Blankoscheck.

Der Bundestag wird sich, da sind wir jetzt mal ganz sicher, davon nicht manipuliert haben lassen. Schlimmer ist sicherlich, dass sich die vielen Menschen, die sich vor Militarisierung, Eskalation und Weltkrieg fürchten, zeitungslesend in unserer Gesellschaft allein, isoliert und mutlos fühlen sollen.

Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf einen lange wachsenden Prozess, der schon beim Mazedonien-Beschluss des Parlaments zutage getreten ist. Die Bundespolitik bewegt sich weg vom Parteiensystem. Populäre Politiker wie der Bundeskanzler und der Außenminister machen schon lange was sie wollen. Die Parteien verlieren dagegen fortlaufend an inhaltlicher Identität. Sie drängen in die "Mitte" und sind nicht mehr zu erkennen. Umso leichter sind sie von ihren Führern zu führen. Umso unwichtiger werden sie für Gesellschaft und Bevölkerung. Sie sind ja kein handelnder Faktor mehr.

Schröder sucht sich seine Mehrheiten und findet sie leicht bei allen Parteien, weil die durch Rivalitäten und Rangkämpfe zerfressen werden. Er versucht dabei erfolgreich auf Zeitgeist und Demoskopie zu surfen. In solchen Krisen wie jetzt sehen sich Schröder und Fischer in narzisstischer Weise ihren inner- und außerparteilichen KonkurentInnen in so großem Maße überlegen, dass sie glauben, auf Andersdenkende keine Rücksicht nehmen zu müssen. Aktuell liegen sie damit richtig.

Sie verlieren dabei allerdings die eigene Vergänglichkeit aus dem Blick. Parallel zu den Produktionsverhältnissen beschleunigt sich die Durchlaufgeschwindigkeit von Zeitgeistkonjunkturen und Personenpopularitäten. Wer erinnert sich noch an den Beinahe-Bundeskanzler Scharping? Wer war Björn Engholm (historische Leistung: Abschaffung des Grundrechts auf Asyl aus der Opposition heraus)? Alles noch keine zehn Jahre vorbei.

Wenn unsere Demokratie also immer mehr von solchen Personenkonjunkturen bestimmt wird, wird sie weniger stabil werden. Das ist ambivalent: Das Risiko von Missbrauch und Entdemokratisierung wächst; die Chance zu Reform und Erneuerung allerdings auch. Dafür wäre Voraussetzung, dass die Menschen ihr gesellschaftliches und politisches Schicksal wieder stärker in die eigene Hand nehmen wollen. Der Bundestag schafft dafür gerade die Voraussetzungen: eine große Minderheit, die nicht nur eigene Beteiligung am Krieg, sondern auch Krieg als Mittel der Politik ablehnt, ist in ihm derzeit kaum vertreten. Und wenn doch, dann merkt es keiner. Das ist in der Wirkung das Gleiche.

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