Umworben, verklärt, erhört

Taliban Die Taliban gelten plötzlich als regierungsfähig. Verhandelt wird mit ihnen bereits, wie die Treffen auf Einladung der saudischen Führung im vergangenen Jahr zeigen

Der Bundesverteidigungsminister offenbart Sinn für Realismus. „Ich bin schon länger zu der Überzeugung gelangt, dass Afghanistan gerade wegen seiner Geschichte und seiner Prägung sich nicht als Vorzeige-Demokratie nach unseren Maßstäben eignet“, so der CSU-Mann. Es dürfe nicht ausgeschlossen werden, künftig auch gemäßigte Taliban an der Regierung zu beteiligen. Von „Kommunikationskanälen“ zu den Taliban ist die Rede. Auch zu einem Abzug der Bundeswehr will der Minister sich bald äußern, zumindest dessen Beginn festhalten. Noch konkreter wurde Bernd Mützelburg, Afghanistanbeauftragter der Bundesregierung: In eine Friedenslösung müssten langfristig auch Führer der Aufständischen wie Mullah Omar und Gulbuddin Hekmatyar einbezogen werden.

Auch David Miliband

Solcherart Eingebungen lösen Erstaunen aus. Manch einer dachte anfangs, der Minister wolle von der Debatte um die Bombardierung der entführten Tanklastzüge ablenken. Doch dafür geriet zu Guttenbergs Argumentation viel zu sehr in den Sog einer längst begonnenen Strategiedebatte der NATO, die bisher nur in Deutschland kaum öffentlich geführt wurde. Ähnlich wie Mützelburg hatte am 17. November der britische Außenminister David Miliband vor der Parlamentarischen Versammlung der NATO im schottischen Edinburgh verlangt, hochrangige Taliban-Kommandeure in die Kabuler Regierung zu holen, wenn sie al Qaida abschwören. Darüber hinaus hieß es zum Zeitpunkt des Miliband-Auftritts, die britische Regierung erkenne die Existenz der so genannten Quetta Schura an – den obersten Führungszirkel der Taliban um Mullah Omar – und fordere einen Friedensschluss mit der Taliban-Führung. Dass die sich längst von al Qaida distanziert hat, ist bekannt.

Offenbar sind Realisten in der NATO nun zu dem Schluss gekommen, da der Krieg am Hindukusch nicht zu gewinnen ist, sollte er möglichst ohne Gesichtsverlust beendet und eine Verhandlungslösung gefunden werden, die Afghanistan nach einem NATO-Abzug nicht im Chaos eines weiteren Bürgerkrieges versinken lässt.

Bereits im Frühjahr 2009 hatten die Taliban-Kommandeure im Raum Kundus positiv auf einen Waffenstillstandsvorschlag der Nationalen Friedens-Jirga Afghanistans und der deutschen Kooperation für den Frieden reagiert. Selbst die Bomben auf die entführten Tanklaster am 4. September scheinen daran nichts geändert zu haben. Bisher verzichteten die Aufständischen auf Revanche und Rache und schränkten vorübergehend sogar ihren Aktionsradius ein – nach eigenen Angaben um 50 Prozent. Auch die Taliban-Führung in Quetta signalisiert Zustimmung, man solle mit einer Waffenruhe im Raum Kundus beginnen und diese sukzessive auf andere Provinzen ausdehnen. Wollte die Bundesregierung darauf eingehen, könnte sie vorhandene „Kommunikationskanäle“ aktivieren.

Kommandoaktionen der US-Armee

Ein ernsthaftes Hindernis dürften jedoch die Einsätze von US-Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung sein. So führten Anfang November US-Elitetruppen zusammen mit afghanischen Soldaten eine Großoffensive in der unter deutschem Kommando stehenden Zone und töteten dabei 133 Menschen, darunter den Taliban-Führer Mullah Qari Baschir. Mit ihm starb jener Kommandant, der seit Monaten für den von der Nationalen Friedens-Jirga und der deutschen Kooperation für den Frieden vorgeschlagenen Waffenstillstand in Kundus eintrat. Die Bundeswehr wusste von dieser Kommando-Aktion, war jedoch selbst nicht beteiligt. Wie die New York Times am 27. Dezember schreibt, steigt die Zahl dieser Geheimeinsätze seit Monaten und dürfte weiter zunehmen – für Guttenbergs Verhandlungsoption absolut kontraproduktiv. Allein, wer die lockere Führungsstruktur der Taliban zerschlägt, dem kann es passieren, dass eine Vielzahl von Einheiten der Aufständischen unkoordiniert kämpft und kaum noch in Vereinbarungen einzubinden sein wird.

Otmar Steinbicker ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er war Vorsitzender des Aachener Friedenspreises e.V.

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