Es ist schon ziemlich bigott: Jahraus, jahrein wird in Deutschland wenig bis nichts gegen Zwangsprostitution unternommen, obwohl bekannt ist, dass in der EU 500.000 Zwangsprostituierte unter zum Teil verheerenden Bedingungen „arbeiten“ müssen. Von den zehn Milliarden Euro, die sie jährlich erwirtschaften, fließt nur der geringste Teil in ihre Taschen. Diese Form der mehr oder weniger im Verborgenen stattfindenden Prostitution führt nicht zu öffentlichen Protesten – hin und wieder ein kritischer Dokumentarfilm, das war’s.
Doch nun regen sich selbsternannte Moralapostel aus CDU und katholischer Kirche über den neu gegründeten Pussy Club in Fellbach (Stuttgart) auf, weil er eine „Sex Flatrate“ anbietet. Man kann das doof-zeitgeistige Flatrate-Konzept ebenso wie die schon früher aus Amerika importierten „All-you-can-eat“-Angebote einiger Restaurants als Extrembeispiele der turbokapitalistischen Discountermentalität ablehnen. Doch dass die immerhin im Legalen operierenden, ohne ein Zuhältersystem auskommenden „Damen-Bordelle“, in denen die Prostituierten selbständige Subunternehmerinnen sind, nun als Ventil für den konservativen Volkszorn dienen müssen, zeugt von Doppelmoral und Unkenntnis der Branche.
Denn das Flatrate-Konzept geht eher auf biedere, marktwirtschaftlich orientierte Saubermänner und -frauen in der Branche zurück, die gern alles schön ordentlich verwalten, als auf ein kriminelles Milieu. Davon abgesehen verdienen viele Frauen bei der illegalen Prostitution pro Freier weniger als beim Flatrate-Konzept, bei dem den Prostituierten die Möglichkeit der Ablehnung eines Freiers zusteht. Wer Prostitution prinzipiell ablehnt, braucht sich nicht erst über das etwas geschmacklose Flatrate-Konzept zu empören, wer die so genannte Sexualisierung unserer Gesellschaft ablehnt, sollte lieber das Bild der unbefleckten Empfängnis korrigieren, das qua Negation dieser Sexualisierung enorm Vorschub geleistet hat.
Tanja Dückers, Jahrgang 1968, hat zahlreiche Romane veröffentlicht, unter anderem Himmelskörper (2003) und Der längste Tag des Jahres (2006). Als Journalistin mischt sie sich häufig auch in tagesaktuelle Debatten ein. Auch in der edition freitag hat sie publiziert. Im Sammelband Terroristinnen Bagdad '77 macht sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Anton Landgraf Gedanken darüber, wie aus Terroristen Popstars gemacht wurden
Kommentare 7
Liebe Tanja Dückers,
in unseren Zeiten, wo jede mittelständische Klitsche per Kreditrate zum Globalplayer aufgemotzt wird, wie ein Fiat Pinto mit forschen porschen Jaguar Auspuff Röhren, um uns den Exportweltmeister Titel zu sichern, sollte es uns doch gute Gelegenheit sein, der Sexgeschäftsbrache den Ableger einer Kreditrate die Flaterate gütig zu gestatten.
Was der Ex Hopp im Saloppen Galopp Sexbranche noch fehlt ist die steuerliche Subvention wie die der Exportbranche per Einführung einer Umsatzsteuerrückvergütung, damit die Damen im Sex Job schriftlich den Staat als Zuhälter belegt kriegen, wie die Exportwirtschaft lange schon.
Längst geht ein Roman herzog Ruck durch die Welt, geht es nicht mehr um Wertschöpfung in der Wirtschaft, sondern um Kreditschöpfung
Warum da nicht auch im Sexgeschäft.
Die Flaterate wäre da angesichts des flutenden billigen Geldes der Zentralbanken das monetäre Signal der Damen von der Horizontalen im aufrechten Gang, wir halten mit, wir halten Schritt!, wir sind von Kopf bis Fuss auf Geld eingestellt und sonst gar nichts!, oder?
tschüss
JP
Siehe auch mein Blog Beitrag:
www.freitag.de/community/blogs/joachim-petrick/flachlegen-per-flaterate--ade-wertschoepfung-kreditschoepfung-hold
tschüss
JP
Liebe Tanja Dückers,
die Tatsache, dass jetzt viele Branchen auf der Kreditschöpfungstour fahren,u. a. die Touristikbranche, sollte uns zu bedenken geben, dass Flaterates Kredite sind.
habe den Titel geändert:
www.freitag.de/community/blogs/joachim-petrick/sex--flaterate-wertschoepfung-ade-kreditschoepfung-ole
tschüss
JP
Vielleicht hätte man es noch etwas schärfer sagen können:
Wenn man Prostitution zulässt (und das tut unsere Gesellschaft), dann kann man sich nicht moralisch empören über Zahlungsweisen (wie der württembergische Innenminister). Es ist schlicht ein Geschäft.
Die Damen des Escortservices derer sich die "Bessergestellten" (Stichwort: Berlusconi) bedienen, rechnen gewiss auch nicht per Handreichung, sondern per Pauschale ab. Proteste gegen dieser Art Service sind mir nicht bekannt (ausgenommen solche die sich gegen die Prostitution generell richten).
das einzige, was die partei mit dem heiligenschein und ihre urdemokratische schutzmacht fürchten, sind die geringeren steuereinnahmen bei flatrates.
die (zwangs)prostitution in europa geht nicht selten einher mit menschenhandel. aber was kümmern die herren die menschenrechte? von denen steht ja nichts in den 10 geboten.
. Doch dass die immerhin im Legalen operierenden, ohne ein Zuhältersystem auskommenden „Damen-Bordelle“, in denen die Prostituierten selbständige Subunternehmerinnen sind, nun als Ventil für den konservativen Volkszorn dienen müssen, zeugt von Doppelmoral und Unkenntnis der Branche.
Ist das wirklich Unkenntnis der Branche ? Oder wird nicht doch eine patriarchalische Sexbranche bevorzugt, wo Zuhälter das Sagen haben und sich alles im Schmuddel-Mileu bewegt?
Wenn sich die Sexbranche zu einer x-beliebigen Branche
outen würde, würden dann nicht auch die (z.B. CDU-Männer) Freier offener zu ihrem Tun stehen müssen, was mann sonst so gerne verdrängt oder verheimlicht ?
Kann es nicht sein, dass Männer , die in Bordelle gehen, die Unterdrückung der Frauen gar nicht interessiert, sondern nur ihre eigenen Bedürfnisse.
Der Herr Minister , der Herr Unternehmer, der Herr Banker würden dann öffentlich ihre Gesinnung (slosigkeit) outen. Vielleicht nur ein klein Stückchen mehr.
Dem bleibt hinzuzufügen, dass durch die zivileren Preise der eine oder andere vor dem finanziellen Ruin bewahrt werden könnte und auch die immer vorhandenen Verbindungen zu Drogengeschäften eingedämmt werden könnten.
Dass die "Befreiung der Sexualität" nach 68 bis jetzt so spurlos am ältesten Gewerbe der Welt vorübergegangen ist, läßt die Verhältnisse zwischen "Bewegungen" und überkommenen Professionen doch etwas pessimistisch zuungunsten kreativer Neuerungen erscheinen.