FREITAG: Unermüdlich hat die Memo-Gruppe mit ihren Gegengutachten zum Votum des Sachverständigenrates der so genannten "Fünf Weisen" auf Fehlentwicklungen der Wirtschaftspolitik hingewiesen. War Ihre Arbeit mehr als ein Rufen im Walde?
AXEL TROOST: Will man die Arbeit der Gruppe angemessen würdigen, muss man sich daran erinnern, wie die Situation Anfang der siebziger Jahre aussah: In der Linken gab es überhaupt keine wirtschaftspolitischen Vorstellungen, wie man denn der damaligen Wirtschaftspolitik etwas Alternatives entgegensetzen könnte. Da war das Memorandum 1975 ein Anfang. In den 30 Jahren unseres Wirkens haben wir eine ganze Menge an Konzeptionen entwickelt, die dann eingeflossen sind in das wirtschaftspolitische Denken von Gewerkschaften, auch von Linken und Alternativen in den Parteien.
Welche grundsätzlichen Debatten gab es in den vergangenen 30 Jahren in der Memo-Gruppe?
Wir hatten ja anfangs, 1981, Konzepte entwickelt zur Vergesellschaftung der Eisen- und Stahlindustrie, hatten uns 1982 die Vergesellschaftung der Werften vorgenommen, wohlgemerkt immer als Krisenlösungsstrategien zum Erhalt aller Standorte, und wir haben zwischendurch diskutiert, wie man mit dem Bankensystem anders umgehen kann. Es drehte sich vieles immer wieder um Fragen von Eigentum oder Verfügungsgewalt. Im Augenblick ist es unser Anliegen, die Mitbestimmung in den Mittelpunkt zu rücken, eine wirklich qualifizierte Mitbestimmung muss ausgebaut werden.
Und aktuellere Debatten?
In den letzten Jahren gab es hauptsächlich Auseinandersetzungen über die Bedeutung, die die ökologische Frage innerhalb des Memorandums haben sollte. Insbesondere dann, wenn Ökologie und soziale Frage aufeinanderprallen, wie zum Beispiel bei ökologischen Steuern, haben wir intensiv diskutiert. Hier haben wir auch noch erhebliche Schwächen und müssen daran gezielt weiter arbeiten.
Um das Wachstum und die Binnennachfrage anzukurbeln, will die Memo-Gruppe vor allem den Staat wieder mehr in die Pflicht nehmen, zum Beispiel durch öffentliche Beschäftigungsprogramme. Sind das nicht kaum nachhaltige Übergangsmodelle?
Am Anfang unserer Arbeit ging es uns wesentlich darum, kurzfristige konjunkturelle Programme aufzulegen. Heute haben wir eine Situation, in der es auf dem rein marktwirtschaftlichen Weg aus dem privaten Sektor heraus keine Lösung der Arbeitsmarktprobleme geben wird. Gerade weil eine langfristige Stabilisierungsstrategie notwendig ist, brauchen wir ein Investitionsprogramm für mindestens die nächsten zehn Jahre. Wir haben im Übrigen einen großen Bedarf an öffentlichen Investitionen in ganz vielen Bereichen, unter anderem im ökologischen Umbau. Eine langfristige Stabilisierung erreicht man nur mit öffentlich finanzierten Investitionen - dabei ist es nicht wichtig, ob das Geld letztlich der Staat oder die Kommune ausgibt, oder bestimmte Programme finanziert werden, die dann Investitionen in der Privatwirtschaft ankurbeln.
Eine andere Forderung der Memo-Gruppe ist die Arbeitszeitverkürzung. Die IG Metall ist seit dem Scheitern dieser Forderung in Ostdeutschland geschwächt. Warum ist Arbeitszeitverkürzung nicht vermittelbar?
So wichtig das Thema wäre, die Belegschaften wollen die Frage der Arbeitszeitverkürzung derzeit kaum diskutieren. Man muss aber sehen, dass die realen Arbeitszeitverkürzungen, so wie sie gelaufen sind, häufig nicht zusätzliche Beschäftigung gebracht, sondern zu einer Verdichtung der Arbeit geführt haben. In vielen Jahren ist es nicht gelungen, einen vernünftigen Lohnausgleich dafür zu realisieren. Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich als Krisenbewältigungsstrategie in einem einzelnen Betrieb wird ja ständig angewandt. Schwer vermittelbar ist die Arbeitszeitverkürzung als gesamtwirtschaftliche Strategie, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Viele denken, in der Krise müsse doch mehr gearbeitet werden und nicht weniger. Zweifellos ist das volkswirtschaftlich völlig falsch, das ist aber nicht aus den Köpfen zu kriegen, daran müssen wir weiter arbeiten.
Hat die Memo-Gruppe dem Steuervereinfacherer Kirchhof ein linkes Modell entgegenzusetzen?
Wir haben vor anderthalb Jahren zusammen mit Wissenschaftlern von Attac und Verdi ein ausführliches Konzept einer solidarischen Einfachsteuer, kurz SES, entwickelt. Da versuchen wir in der Tat Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung zu verbinden mit der Forderung, dass wir insgesamt Steuermehreinnahmen und nicht -mindereinnahmen erzielen. Genau da widerspricht unser Konzept dem Mainstream, dem es ja immer um eine Steuersenkung geht.
Die Memo-Gruppe bleibt auf merkwürdig zahme Weise der alten Bundesrepublik verpflichtet. Wäre es nicht an der Zeit, an einem wirklich zukunftsfähigen Wirtschaftsmodell zu arbeiten und auf dieser Basis den Streit mit den bürgerlichen "Radikalreformern" aufzunehmen?
Ich stimme zu, dass es an der Zeit wäre, über die Einzelvorschläge hinaus zu versuchen, ein Gesamtentwicklungsszenario als Memorandum zu entwickeln. Doch da unsere Gruppe ausschließlich auf ehrenamtlicher Arbeit beruht, müssen wir jedes Jahr wieder Kolleginnen und Kollegen finden, die bestimmte Themenblöcke bearbeiten. Es kommt auch vor, dass einzelne Gebiete nicht bearbeitet werden können. Die Ehrenamtlichkeit setzt uns eben Grenzen. Ich kann mir vorstellen, dass vor dem Hintergrund der neuen politischen Konstellationen einiges vorangeht, und wir vielleicht in einem der nächsten Memoranden so etwas versuchen könnten.
Mit Herbert Schui und Ihnen sitzen zwei Mitglieder der Memorandum-Gruppe im neuen Bundestag. In der Linksfraktion gibt es sehr unterschiedliche Positionen über Begriffe wie Wachstum, Grundeinkommen und die Frage der Vollbeschäftigung. Welche Debatten erwarten Sie?
Über die Fragen der Zukunft der Arbeit, Wachstum, welche Bedeutung hat ökologischer Umbau, wie sollen Grundsicherungssysteme ausgestaltet werden und vieles mehr wird sowohl innerhalb der WASG als auch in der Linkspartei debattiert. In der Fraktion wird sich zeigen, wie man diese Debatten zusammen führen kann.
Besonders an der Forderung nach einem bedingungsloses Grundeinkommen scheiden sich die Geister. Ihre Verfechter sagen, das Ziel Vollbeschäftigung ist unrealistisch.
Wer meint, Überwindung des Kapitalismus insgesamt und der Lohnarbeit dadurch bewerkstelligen zu können, dass er ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert und meint auch durchsetzen zu können, der geht für meine Begriffe einen illusionären Weg. Dies wird so nie umsetzbar sein, das ist meine feste Überzeugung.
Ich denke, dass man durchaus an den traditionellen Instrumenten festhalten muss, nämlich qualitatives Wachstum durch ökologischen Umbau, durch mehr personenbezogene wie auch unternehmensbezogene Dienstleistungen und den Aufbau eines öffentlichen Beschäftigungssektors auf der einen Seite und radikale Arbeitszeitverkürzung auf der anderen. Es geht um die Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit, eine Wiederherstellung von Vollbeschäftigung ist nicht kurzfristig realisierbar, dafür ist die Beschäftigungslücke einfach zu groß.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin
30 Jahre Memorandum-Gruppe
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memorandum-Gruppe) legte erstmals im November 1975 ein "Memorandum für eine wirksame und soziale Wirtschaftspolitik" vor. Seit 1977 wird jährlich zum 1. Mai ein "Gegengutachten" zum Gutachten des "Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" (der "fünf Weisen") veröffentlicht. Die Arbeit der Memorandum-Gruppe ist ehrenamtlich.
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