Unbeliebte Klassenbeste

Bundestagswahl 2021 Sogar die FDP gibt Janine Wissler und der Linkspartei in Haushaltsfragen recht. Daraus muss sich doch etwas machen lassen
Ausgabe 33/2021
Die Linke wirkte  während der Pandemie teils harmlos, dafür arbeitete sie fleißig an Konzepten, die nun auf ihre Umsetzung drängen
Die Linke wirkte während der Pandemie teils harmlos, dafür arbeitete sie fleißig an Konzepten, die nun auf ihre Umsetzung drängen

Foto: Mike Schmidt/IMAGO

Es kommt äußerst selten vor, dass FDP-Chef Christian Lindner der Linkspartei recht gibt. Im ARD-Talk bei Sandra Maischberger jedoch musste er eingestehen, dass die Linke mittlere Einkommen entlasten will und dass das grundsätzlich gar keine schlechte Idee sei. Linken-Vorsitzende Janine Wissler machte in der Sendung nicht nur deutlich, dass ihre Partei die meisten Menschen im Land entlasten würde; sie hielt Lindner auch seine widersprüchlichen Positionen zu Schuldenbremse und Investitionen vor.

Institute wie das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) geben der roten Spitzenkandidatin recht: Mit der Linken in der Regierung würden vor allem geringe und mittlere Einkommen entlastet sowie der Staatshaushalt um satte 36,8 Milliarden Euro gestärkt. Bei den Liberalen dagegen würde der Staatshaushalt laut ZEW mit 87,6 Milliarden Euro belastet. Dazu würden vor allem Spitzenverdiener von einer FDP-Regierung profitieren.

Wie kann es da sein, dass eine Partei der Gutverdiener mit ihrem widersprüchlichen Programm derzeit in Umfragen bei zwölf Prozent liegt und sowohl in einer Jamaika- als auch in einer Ampel-Koalition zur Königsmacherin werden könnte? An der Wirtschaftskompetenz kann es jedenfalls nicht liegen. Vielleicht aber an einer politischen Lücke während der Coronakrise, die die FDP geschickt nutzte, um die Regierung grundsätzlich zu kritisieren.

Die Linke dagegen wirkte teils harmlos während der Pandemie, dafür arbeitete sie fleißig an Konzepten, die auf ihre Umsetzung drängen: Erst vor einer Woche stellte Fraktionschef Dietmar Bartsch einen Plan für eine gerechte Einkommensteuer vor, eine Woche davor sprach der Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler von einem neuen Sozialstaatskonzept, wiederum eine Woche davor von einem Klima-Jobprogramm. Konzepte im Wochenrhythmus. Und sogar die sonst eher abweisende Presse ist positiv gestimmt.

Im Verhältnis zur FDP, die mit Koalitionen kokettieren kann, hat die Linke allerdings keine Machtoption. Zwar ist Rot-Rot-Grün im Bund denkbar – und mittlerweile auch wieder rechnerisch möglich –, doch politisch mag sich keine Partei außer der Linken darauf einlassen. Und auch die Linke müsste eine Beteiligung an harte rote Linien in der Außenpolitik und an sozialpolitische Maßnahmen knüpfen, um glaubwürdig zu bleiben. Gerade in der Frage der Auslandseinsätze hat sich ihre Haltung – wie Afghanistan nun zeigt – bewährt. Das macht es SPD und Grünen allerdings schwerer, denn Konflikte sind vorprogrammiert. Machtpolitisch rücken sie da lieber in die Mitte, als mit der Linken Experimente einzugehen.

Das Problem der Linken könnte also sein, dass sie zwar gebraucht werden, aber dafür keine guten Argumente haben. Sie ist die Klassenbeste, mit der niemand etwas zu tun haben will. Dazu kommt, dass Desinteressierte und Nichtwähler auch in der Linken keine Alternative sehen. Womöglich wird es daher Zeit, dass sie nicht nur Wissenschaftsinstitute oder Journalisten von sich überzeugt, sondern diejenigen, die in hohem Maße von ihrer Politik profitieren würden: die Mehrheit der Gesellschaft, aber vor allem auch diejenigen ganz unten. Dann hätte sie auch eine Machtbasis oberhalb der sieben Prozent und könnte ihre Konzepte mit in Koalitionsverhandlungen nehmen, statt sie wieder in der Schublade verschwinden zu lassen.

Ines Schwerdtner ist Chefredakteurin des Jacobin Magazin

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