Frankreich Die Präsidentschaftswahlen rücken näher und die Konservativen müssen sich neu ausrichten. Auf der Suche nach Kandidaten für das Amt haben die Republikaner die Mauer zwischen rechts und rechtsextrem eingerissen
Nach außen zeigte sich die französische Rechte schon immer als hartleibige Kumpanei der Macht. Im Inneren konnte ein allgemeines Hauen und Stechen unter Konkurrenten vorherrschen. Entlang alter Bruchlinien arbeiteten Spaltpilze zwischen altehrwürdigen Gaullisten einerseits und alerten Cleverles, den klassischen Opportunisten, andererseits. In der zweiten Gruppe befanden sich manche, die ideologisch sogar der bürgerlich-autoritären Strömung der Petainisten entstammten. In vergangenen Zeiten war man zwar nicht zimperlich, was reaktionäre Politiker betraf – man denke an Präsidenten wie George Pompidou oder Jacques Chirac. Seit Nicolas Sarkozy (Staatschef 2007 bis 2012) jedoch wurden Geister gerufen, die sich nunmehr fett inmitten des ehemals gaull
ullistischen Lagers ausgebreitet haben.Sarkozys Nachfolger François Hollande hatte mit seiner Politik sowohl bei den ihm anfangs zugetanen Volksschichten als auch in seiner Sozialistischen Partei (PS) tiefe Verstörungen verursacht. Der daraus resultierenden Implosion des PS schloss sich 2017 eine nicht minder fundamentale Krise der konservativen Republikaner (Les Républicains/LR) an. Die Partei explodierte, und es entstand die heutige heillose Zersplitterung. Zur Präsidentenwahl im Frühjahr 2017 wurde François Fillon ins Rennen geschickt. Ein erzkatholischer, von peinlichen Skandalen geschwächter Konservativer und Ex-Premierminister. Wie aus dem Nichts hervorgezaubert erschien damals Emmanuel Macron auf der Bühne. Wirtschaft und Medien trauten ihm schnell zu, eine irreversible neoliberale Wende durchzusetzen. Seine Eingreiftruppe war klein, aber er behauptete glaubhaft, links und rechts in Übereinstimmung bringen zu können, was in einer sozial zerrissenen Gesellschaft als unabdingbar galt. In den Stürmen der Globalisierung konnte der eindeutig rechts gelabelte Fillon den gewohnten Bestand seiner bourgeoisen Klientel nicht mehr garantieren.Nachdem Emmanuel Macron in der Stichwahl am 7. Mai 2017 mit fast 75 Prozent gegen die ultrarechte Marine Le Pen gesiegt hatte, warfen sich viele Sozialdemokraten und Konservative in das Fahrwasser der neuen Macht, die kaum eine Hausmacht und keinerlei eigene politische Basis besaß. So waren Macron erfahrene Kader mehr als willkommen, was dazu führte, dass sich die alten Blöcke rechts und links weiter ausdünnten. Aus dem rechten Pool wählte er seine beiden Premierminister Édouard Philippe und Jean Castex. Der verbliebene Corpus der Republikaner splitterte weiter: Einige gründeten neue Unterströmungen, manche wandten sich nach ganz rechts. Zwar mit dem Marktextremismus der Regierung durchaus einverstanden, blieb doch ein nebulöser Rest, der sich weigerte, seinen streng katholisch durchdrungenen Wertkonservatismus aufzugeben. Untergründig arbeitete eine konservative kulturelle Resilienz, die sich gegen die gesellschaftlichen „Exzesse“ der Regierung Macron stemmte. Möglicherweise ist die wundersame Vermehrung der wahlberechtigten 79.181 Mitglieder der LR im Jahr 2017 auf 148.862 Mitglieder bei der Entscheidung über den Präsidentschaftkandidaten im Spätherbst 2021 eben dieser Sehnsucht nach einem von gleichgeschlechtlicher Ehe und anderen „Ungehörigkeiten“ unbelästigten Leben zuzuschreiben.Auch die Regional- und Stadtfürsten, abgeschnitten von Macht und Ehre, waren frustriert. Es ging ihnen ein weiteres Licht auf: Wenn das Volk fortgesetzt so wählt oder auch nicht wählt (die Zahl der Nichtwähler ist in diesem Land sehr hoch), dann wird auch in den Provinzen die rechte Hausmacht weiter erodieren. Man geriete in Gefahr, seines ehemals als Naturrecht wahrgenommenen Machtanspruchs vollends verlustig zu gehen.Im Geist einer Reconquista, die zu alter Herrlichkeit zurückkehren lässt, formierte man sich im Vorfeld der Wahlen 2022 also neu. Nur unter welches Banner können sich die Konservativen noch stellen? Wo bleibt Raum für eigene Politik? Macron ist der überzeugendste Neoliberale, Le Pen die überzeugendste reaktionäre Platzhalterin, und der (derzeit noch) Medienhype Éric Zemmour hysterisiert zusätzlich.Immigration und SicherheitSo fiel die Entscheidung zugunsten der fatalen Strategie, sich gegenseitig im Reaktionären zu überbieten und zwei Themen obsessiv in den Fokus zu nehmen: Immigration und Sicherheit, beide natürlich immer in einen kausalen Zusammenhang gebracht. Fünf rechte Präsidentenbewerber entstiegen zunächst dem aufgeheizten Hexenkessel. In ihren TV-Debatten wurde klar, dass die unüberwindliche Mauer zwischen rechts und rechtsextrem, die Chirac als letzter konservativer Präsident mit Bravour aufrechterhalten hatte, auf ganzer Front eingebrochen war. Paradoxerweise hielten alle fünf Kandidaten den alten Heiligen hoch: Charles de Gaulle. Doch der müsste schon länger im Dunkel seines Grabes rotieren.Unter diesen Umständen nominierten die LR-Mitglieder schließlich ihren Favoriten für das höchste Staatsamt. Der Außenseiter Philippe Juvin (57) blieb schnell auf der Strecke. Er hatte darauf gesetzt, als Mediziner könne er in den Zeiten von Covid punkten. Der ehemalige EU-Kommissar und Brexit-Verhandlungsführer, Michel Barnier (70), galt einige Zeit als gesetzt, blickte er doch auf eine lange Karriere als Senator und mehrfacher Minister zurück. Seine vermeintliche Seriosität konnte aber die fehlende Energie und bürokratische Langeweile, die er ausstrahlt, nicht überdecken. Zumal er jetzt plötzlich den Positionen widersprach, die er in Brüssel hart vertreten hatte. Das einst eherne Primat des europäischen Rechts vor dem Nationalrecht galt ihm nun als nichtig, sogar Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des Gerichtshofs für Menschenrechte betreffend. Dies wollte er – auch auf die Gefahr hin, weitere EU-Ausstiege auszulösen – nunmehr vertreten. Barniers Konkurrent Xavier Bertrand (56) hatte zwischenzeitlich die LR verlassen. Nachdem ihm klar wurde, dass sein Alleingang eine Sackgasse war, kehrte er reumütig zurück. Er ist derzeit Präsident der industriell verwüsteten Region des Hohen Nordens und galt als zweiter Favorit. Er setzte sich besonders als „sozialer Gaullist“ in Szene. Als mehrfacher Arbeits- und Gesundheitsminister pflegte er die Vision einer Gerechtigkeit von rechts und das Mantra von der Vermeidung sozialer Unruhen (der Gottseibeiuns der Gelbwesten!).Zum Erstaunen aller wurden andere zum Sieger des parteiinternen Entscheids. Die einzige Kandidatin, Valérie Pécresse (54), setzte sich zum Schluss mit einem Anteil von 60 Prozent der Stimmen vor Eric Ciotti (56) durch, dem Abgeordneten aus dem reichen Departement Alpes-Maritimes an der Côte d’Azur. Ciotti repräsentiert ohne Zweifel den ganz rechten Flügel der Partei und vertritt bedenkenlos die wichtigsten Marker der Rechtsextremisten wie die Aufgabe des Prinzips, wonach alle in Frankreich Geborenen Franzosen sind, bisher eine sehr heilige Kuh der Republik. Er will darüber hinaus die Einführung eines nationalen und europäischen Rechtsprivilegs in Sachen Arbeitsplatz, Sozialleistungen sowie Wohnrecht und schlägt sogar die Installierung eines „französischen Guantanamo“ vor. Für den Fall, dass sich Macron und Zemmour im zweiten Wahlgang gegenüberstehen sollten, würde er, so Ciotti, den Zweiten wählen, den man als ehrbar bezeichnen müsse.Nun zieht die so gar nicht mehr altehrwürdige Rechtspartei mit Valérie Pécresse in den Wahlkampf. Sie ist Regionalpräsidentin des Pariser Großraumes und war Ministerin unter Sarkozy. Auch sie ruderte nach einem überstürzten Parteiaustritt und der Gründung der Splitterpartei „Frei!“ reumütig zurück. Man sollte sich nicht täuschen: Pécresse ist eine Hardcore-Neoliberale. Sie schrieb sich selbst „zwei Drittel Merkel und ein Drittel Thatcher“ zu. Sie vertritt die sogenannte „doppelte Strafe“ für Ausländer, die nach dem Abbüßen einer Strafe eine nachfolgende Ausweisung vorsieht. Von ihr stammt der unglaubliche Vorschlag, Straftäter aus „schwierigen“ Stadtquartieren generell zu härteren Strafen zu verurteilen, womit ungerührt der geltende Raum eines Rechtsstaates verlassen wird.Ihr Sieg bei den Vorwahlen spricht dafür, dass die „besseren“ Kreise der Pariser Gesellschaft, die sich immer den Konservativen aus der Provinz überlegen fühlten, gewonnen haben. Dass Pécresse bei der Präsidentenwahl triumphiert, ist unwahrscheinlich. Eine weitere Beschädigung der LR wird die Folge sein und die Gefahr einer regelrechten Implosion auch der klassischen Rechten Frankreichs heraufbeschwören.
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