Und dran bist du

Wechselmodell Ist Erziehung zu gleichen Teilen wirklich gerecht? Eine Mutter und ein Vater argumentieren
Ausgabe 13/2019
Und dran bist du

Illustration: der Freitag

Sinnvoll eingeschränkt

Kinder bedeuten für viele Mütter ein Armutsrisiko. So nüchtern muss man es betrachten. Weil Frauen häufig auch Jahre nach der Geburt des Kindes nicht oder nur in Teilzeit arbeiten. Weil viele Alleinerziehende keinen oder zu wenig Unterhalt erhalten. Das derzeit praktizierte Residenzmodell verschärft die Probleme vieler Frauen nach der Trennung.

Das Residenzmodell, bei dem das Kind nach der Trennung seiner Eltern vorrangig bei der Mutter lebt und den Vater – zumeist alle zwei Wochenenden – besucht, folgt der Logik, wonach die Mutter in der Hauptsache für die Betreuung der Kinder zuständig ist, während der Vater die Familie materiell versorgt: Weil er die Kinder nur ab und zu am Wochenende betreut, kann er weiter Vollzeit arbeiten. Oder umgekehrt: Weil er Vollzeit arbeitet, kann er sich nicht häufiger um seine Kinder kümmern.

Dieses Modell passt nicht zu den Lebensrealitäten, in denen Frauen – ob sie wollen oder nicht – für ihren Lebensunterhalt und ihre Rentenansprüche Vollzeit arbeiten müssen. Im Jahr 2008 strich die schwarz-gelbe Koalition den Unterhalt für die Ex-Ehegatten zusammen: Drei Jahre nach der Scheidung erlischt der Anspruch auf Ehegattenunterhalt. Eigenverantwortung sollte so gestärkt werden. Dumm nur, wenn man eigenverantwortlich Kinder großziehen muss. Die Reform strafte die betreuenden Ex-Ehepartner, in der Regel die Mütter, doppelt.

Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der Mütter arbeiten wollen und müssen, in der der Vater in aller Regel aber nicht die Betreuung zu gleichen Teilen übernehmen muss. So erzeugt das Residenzmodell eine unfaire Schieflage. Das Modell kann ohnehin nicht mehr funktionieren, wenn die Mehrzahl der Väter ihren Kindern und Ex-Partnerinnen keine finanziellen oder immateriellen Verpflichtungen schuldig sein will.

Immer wieder wird die in Deutschland besonders große Lohnungleichheitslücke zwischen den Geschlechtern mit der Teilzeitarbeit von Frauen gerechtfertigt – als ob eine Frau, die ihre Arbeitszeit reduziert und Kinder Vollzeit versorgt, weniger leistet als ein Mann, der Vollzeit arbeitet. Würden mehr Eltern ein Wechselmodell praktizieren, die Sorge also 50/50 aufteilen, würde sich die Situation von Müttern in der Arbeitswelt schlagartig verbessern: Väter müssten plötzlich zwischen Job und Kita-Schließzeit jonglieren, früher von der Arbeit gehen, wenn das Kind krank ist, eventuell Arbeitszeit reduzieren. Vollkommen illusorisch? Welche Chefin macht da denn mit? Aber genau das ist ja das Problem der Frauen!

Braucht es da nicht einen zusätzlichen Anreiz, wie ihn Familienministerin Giffey vorschlägt? Ihr Vorstoß sieht vor, Väter, die ein Wechselmodell leben, finanziell zu entlasten. Das aber hat einen Haken: Für die getrennte Mutter entstehen im Wechselmodell nicht weniger Kosten als im Residenzmodell – ein Kinderzimmer verursacht Kosten, egal, ob es nur die Hälfte der Zeit genutzt wird. Aber natürlich entstehen dem Trennungsvater im Wechselmodell ebenso höhere Kosten für Kinderzimmer, Essen und so weiter. Die Lösung wäre, die Väter beispielsweise steuerlich stärker zu entlasten oder für Eltern, die solidarisch und unter größerer Belastung für beide die Sorge fürs Kind zu gleichen Teilen tragen, andere finanzielle Entlastungssysteme zu schaffen, die nicht bei einem Elternteil kürzen, um den anderen zu entlasten.

Nicht zuletzt wären aber auch Arbeitgeber in der Pflicht, flexiblere Arbeitszeitmodelle anzubieten. Illusorisch? Fachkräfte fehlen in vielen Bereichen, das bringt viele Arbeitgeber jetzt schon dazu, flexiblere Arbeitszeitmodelle für Wunscharbeitnehmer anzubieten. Zur Not muss ein gesetzlicher Zwang her, so sehr die große Koalition solche konkreten Maßnahmen auch scheut. Die Arbeitsmarkt- und Familienpolitik muss endlich bei den Realitäten des 21. Jahrhunderts ankommen.

Ein Wechselmodell sollte in jeder Hinsicht belohnt werden, auch deshalb, weil es für die Ex-Partner bedeutet, dass sie sich trotz Trennung freundschaftlich und respektvoll austauschen und miteinander kooperieren müssen. Es würde auch bedeuten, dass es nicht möglich ist, dass ein Ex-Partner Hunderte Kilometer vom anderen entfernt lebt. Das Wechselmodell schränkt also, zum Wohle der Kinder, Mobilität und Flexibilität ein. Väter würden dabei aber auch gewinnen. Sie könnten eine enge Beziehung zu ihren Kindern aufrechterhalten, statt ein Grußonkel zu sein, der alle zwei Wochen einen kleinen Ausflug in den Park mit Eiscreme und Teddybärenkauf ermöglicht. Nun müsste nur noch der Widerstand einiger Mütter überwunden werden: Ihre Kinder nur für zwei Wochen im Monat zu sehen, fiele manchen sicher sehr schwer.

Marlen Hobrack ist freie Autorin und lebt mitihrem Kind in Dresden

Erfolgreich ausgebeutet

Justizministerin Katarina Barley schwärmte kürzlich in einer Spiegel-Titelstory von den Vorzügen des Wechselmodells. Barley, die selbst mit ihrem Ex-Mann die abwechselnde Kindererziehung praktiziert, will Eltern das Modell nicht vorschreiben, sprach sich aber für Reformen aus. Noch im Februar befand eine Mehrheit der psychologischen und juristischen Expertinnen und Experten in einer Anhörung im Rechtsausschuss, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Wechselmodell dem Kindeswohl zuträglich ist. Trotzdem findet die „paritätische Doppelresidenz“, wie die Kindererziehung zu gleichen Teilen genannt wird, immer wieder Befürworter. Die FDP möchte das Modell sogar als Regelfall etablieren.

Das Kindeswohl wird als Argument dabei oft nur vorgeschoben. Vielmehr wird die Debatte ideologisch geführt. Das ist ganz besonders bei den sogenannten Männerrechtlern der Fall, die Druck auf die Parteien ausüben. Sie wissen, dass Väterpolitik eine Türöffnerfunktion für ihre generellen Anliegen erfüllt. Obwohl die Agitation der Männerrechtslobby unter dem Deckmantel vermeintlicher Wissenschaftlichkeit und ihre Verbindungen zu reaktionären Akteuren ebenfalls ein linkes Thema wären, soll an dieser Stelle ein anderer wichtiger Aspekt betrachtet werden, der meist unter den Küchentisch fällt: die ökonomische Basis des Wechselmodells.

Da es trotz aller gender troubles und totaler Flexibilisierung des Individuums immer noch Frauen sind, die schwanger werden und Kinder zur Welt bringen, und das überwiegend in einer wie auch immer gearteten Beziehung mit einem Mann, betrachten wir eine Durchschnittsfamilie aus einer Frau, einem Mann und ein bis zwei Kindern. Zu jedem Zeitpunkt besteht für ein Paar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es sich trennt. Je älter die Kinder werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern getrennt leben. Wann sind die ökonomischen Auswirkungen von Elternschaft am größten? In den ersten Lebensjahren eines Kindes. Da ist der Pflege- und Erziehungsaufwand maximal und es gibt in den meisten Städten am wenigsten Möglichkeiten zur außerfamiliären Betreuung.

Diese Reproduktionsarbeit leisten zum überwiegenden Teil die Frauen, wovon etwa die einbetonierte Statistik zur Inanspruchnahme von Elternzeit zeugt. Bei ihnen kommen außerdem die Folgen von Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit hinzu. Die direkt geleistete Reproduktionsarbeit ist überwiegend unvergütet, die Erwerbstätigkeit der Frau in dieser Zeit vermindert und die Erwerbsbiografie nachhaltig geschädigt. Anders herum formuliert: Je älter ein Kind wird, desto geringer wird der Pflegeaufwand, desto mehr außerfamiliäre Betreuungsmöglichkeiten gibt es, desto geringer ist der Einkommensausfall und desto weniger neu eintretende, nachhaltig negative Effekte für die Erwerbsbiografie existieren.

Die Folge daraus: Mit zunehmendem Alter des Kindes lohnt es sich für ein Elternteil (in aller Regel: den Vater) nicht mehr, die Reproduktionsarbeit an den anderen Elternteil (in aller Regel: die Mutter) auszulagern. Das ist spätestens dann der Fall, wenn die Unterhaltszahlungen mehr belasten als die im Zeitverlauf immer weniger aufwendige Erziehung. Durch den Ausbau des Ganztagsschulangebots im letzten Jahrzehnt hat sich dieser Zeitpunkt tendenziell vorverlagert. Entsprechend stark ist der Druck der Männerrechtslobby auf die verschiedenen Parteien angestiegen.

Denn: Warum noch Unterhalt an die Frau blechen, wenn man selber beruflich einigermaßen abgesichert ist und der nervige „Weiberkram“ – Windeln wechseln, Kotze wegwischen, nachts aufstehen, Krabbelgruppe mit uninspirierten Konversationen besuchen, Kleinkinderwutanfällen pädagogisch wertvoll begegnen und so weiter – vorüber ist? Warum noch zahlen an diejenige, die diese Reproduktionsarbeit geleistet hat? Insbesondere, wenn man, wie so viele Männer, in den Jahren der Trennung eine neue Partnerin gefunden hat oder es sich leisten kann, eine prekär beschäftigte Dienstleisterin anzustellen, die sich um alte Kinder ebenso kümmert wie um etwaige neue?

Viele Partnerschaften zerbrechen nach der kritischen Kindererziehungsphase. Das Wechselmodell löst diesen Zustand kollektiv zugunsten der Männer auf, die ihre Ex-Frauen erfolgreich reproduktiv ausgebeutet haben. Zudem kann der Staat weitere Einsparungen vornehmen, wenn er nicht mehr für Unterhaltsausfälle einspringen muss. Wer hier von „Gleichberechtigung“ redet, geht der neoliberalen Ideologie auf den Leim – total flexibilisierte Kinder inklusive. Die weitgehende Teilnahmslosigkeit vieler postmoderner Feministinnen diesbezüglich spricht Bände. Ein Feminismus, der materialistisch sein will – und den wollen derzeit viele –, muss das Patriarchat im Kern als Ausbeutungsverhältnis begreifen.

Sebastian Bauer lebt mit seinen beiden Kindern bei Mainz, wo er als Lehrer und wissenschaftliche Hilfskraft arbeitet

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