Es gibt heutzutage sicherlich keinen Autor bei uns, dem es wie Helmut Färber gelingt, beim Schreiben über Kino einen unverwechselbaren eigenen Blick und eine ebensolche Sprache zu kreieren. „Es ist eigentlich maßlos erstaunlich“, schrieb Färber im Jahre 1965, „dass die deutsche Filmkritik es noch immer für ihre wichtigste Aufgabe hält, die jeweils neuesten Filme zu beurteilen. Denn: sofern sie sich mehr zutraut und abverlangt, als den Betrieb mit einer wirren Folge von Seufzern und Juchzern zu begleiten, Sonderform der Reklame, die gegenwärtig noch beliebte kulturelle Note – sofern sie anderes sein will als ihre Parodie, ist dies Verfahren völlig ungenügend.“ Färber hat seinen Einwand gegen die Aktualitäts
;tsfokussierung und deren Kurzatmigkeit stets berücksichtigt. Sein Filmschreiben ist immer auch Erinnerungsarbeit gewesen, Bewusstmachung des Gespräches, das Filme und Menschen über Zeiten hinweg miteinander führen.Einer größeren Öffentlichkeit dürfte er erstmals als Autor der Filmkritik aufgefallen sein. Diese Zeitschrift, Ende der 1950er Jahre von einem Kreis junger Intellektueller gegründet, war wichtig, als Westdeutschland von einer in jeglicher Hinsicht miefig provinziellen Kulturpolitik geprägt wurde. Dagegen schrieb die Filmkritik an, war widerständig, horizonterweiternd, Vorreiter bei der Vermittlung des internationalen Kinos der Autoren wie der Nouvelle Vague. 1984 musste die Filmkritik ihr Erscheinen einstellen. Als geraume Zeit später ein Essay Färbers in der Frankfurter Rundschau erschien, hieß es in dem von einem ihrer Redakteure verfassten Vorspann, Färber lebe im Verborgenen und schweige. Was ganz falsch war und ist, denn Färber hat bis heute stetig und vernehmlich weitergewirkt in Sachen Film.Berlin, München, WienZu seinen Gebieten gehört: das Edieren von Büchern. Wunderbar erhellend etwa der 1977 erschienene Band über den Zusammenhang zwischen der jahrhundertealten Baukunst und dem noch jungen Film oder seine Bücher über einzelne Werke, mitunter einzelne Sequenzen von Regisseuren wie D. W. Griffith, Kenji Mizoguchi, Yasujiro Ozu. Im zuletzt erschienenen Buch über Jean Renoirs Kurzfilm Partie de campagne (1936) kommt sein „schauendes Eindringen“ (Kracauer) in die Formen von Kinowerken zur vollen Entfaltung: Im ersten Kapitel wird Partie de campagne Einstellung für Einstellung, Dialogsatz für Dialogsatz nacherzählt (mit zahlreichen Abbildungen). So lässt Färber einen Film für sich selbst sprechen und erzeugt beim Leser jene Aufmerksamkeit, die hilft, die Künste des Regisseurs, aber eben auch die der Schauspieler, des Kameramanns, des Drehbuchschreibers, ja der Beleuchter, besser in den Blick zu bekommen. Färbers Sätze sind präzise, aber niemals pedantisch: „Es ist in diesem Offenen, sich Öffnenden renoirscher Schlüsse eine Bewegung, die beruhigt, weitet, und über das Ende der Erzählung des Films weiterschwingt.“Oftmals vergehen zwischen den Erscheinungsdaten dieser Bücher etliche Jahre. Wesentlicher Grund dafür: Färber verwendet derart viel Sorgfalt sowohl auf textliche als auch gestalterische Details, dass die Verlage abwinken und der Filmforscher sie selbst zur Erscheinung bringen muss.Färbers zweites Gebiet: das Lehren an Filmhochschulen in Berlin, München, Wien (in einem seiner Bücher dankt er allen Teilnehmern dieser Seminare, mehr noch: Er macht das Buch als Resultat der Erfahrungen gemeinsamen Sehens, Entdeckens, Lebens mit den Filmen kenntlich).Und schließlich die Literatur. Als man Färber 1994 den Petrarca-Preis, eine literarische Auszeichnung, verlieh, bemerkte der Laudator Peter Handke: „Färbers Sprache handelt vor allem in Paris, in einer ganz neuartigen Gemeinsamkeit von Innen- und Außenräumen, Erde und Unterirdischem, Jetzt und den Jahrtausenden.“ Was Handke mit diesen Worten lobte, sind Skizzen, die ab 1988 fortlaufend unter dem Titel Das Grau und das Jetzt in Akzente und anderen Zeitschriften erschienen sind.Darin hielt Färber seine Erkundungen der Stadtlandschaften von Berlin, Paris, München oder Rom fest. Texte, die weit über das Gebiet des Films hinausdrängen, in denen dieser aber dennoch stets präsent ist. Einmal in der Art, wie Färber die Oberflächenerscheinungen der Dinge wie mit einem Kameraauge ertastet. Zum anderen ist seine Sprache von Cuts durchsetzt, macht so beständig ungesehene, unvermutete Zusammenhänge sichtbar.Für Helmut Färber gibt es eine Riege Filmemacher, die in jeder Hinsicht unzweifelhaft sind, an die man sich halten kann. Yasujiro Ozu gehört dazu, Danièle Huillet und Jean-Marie Straub, Jean Renoir. Auch die kürzlich in einer von ihm für das Münchner Filmmuseum erstellten kleinen Reihe aufgeführten Erich von Stroheim, Manoel de Oliveira und Gerhard Friedl. Doch Färber findet kein Genügen darin, Meister, Stars, gar Ruhm anzubeten. Worum es ihm geht, hat er einmal in folgende Worte gekleidet: „Mehrere Filme von Jean Renoir kurz hintereinander zu sehen, das heißt bei ihm zu Besuch zu sein. Mit ihm und Freunden von ihm zusammenzusitzen; es gibt Rotwein, frisches Brot, Trauben und Renoir erzählt.“ Es mag noch viele andere Auffassungen von den Wesenszügen des Kinos geben, eine schönere als bei Helmut Färber findet man indes nicht. Am 26. April feiert er seinen 80. Geburtstag.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.