Aufbruch Lamentieren hilft weder gegen Rechtsruck noch GroKo. Also starten Linke aus verschiedenen Spektren eine Plattform, die mehr sein will als Partei
„Wir wollen das Soziale zum Kernthema machen“, sagt Marco Bülow
Foto: Markus Heine/Imago
Oskar Lafontaine war der Erste gewesen, aber Katja Kipping rief immerhin schneller als Sahra Wagenknecht zu einer „Sammlungsbewegung“: Es war der Tag nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen im November, Kipping stand im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin und sprach über einen „Aufbruch von ganz unterschiedlichen Kräften“, den es jetzt brauche, einer „fortschrittlichen Sammlungsbewegung“, einem Gegenüber zu dem, wie „zutiefst aggressiv rechts FDP und Teile der Union“ agierten. Sie habe mit „Sammlungsbewegung“ etwas anderes im Sinn als Lafontaine, ergänzte Kipping noch; dem ginge es nur um ein personenzentriertes Modell wie Jean-Luc Mélenchons La France insoumise in Frankreich.
Dreieinhalb Monate später h
iv rechts FDP und Teile der Union“ agierten. Sie habe mit „Sammlungsbewegung“ etwas anderes im Sinn als Lafontaine, ergänzte Kipping noch; dem ginge es nur um ein personenzentriertes Modell wie Jean-Luc Mélenchons La France insoumise in Frankreich.Dreieinhalb Monate später hat das Land eine Regierung in Aussicht, zur großen Erleichterung vieler Privilegierter. Auf der anderen Seite, der der Gegner einer Großen Koalition, differenziert sich das Feld für neue linke Sammlungsbewegungen weiter aus; fünf Ansätze formieren sich. Am Mittwoch hat der jüngste in Berlin das Licht der Welt erblickt, einer der Initiatoren ist der Sozialdemokrat und Bundestagsabgeordnete Marco Bülow.Die „Progressive Soziale Plattform“ will „sozialdemokratische Mitglieder, Engagierte, die unter anderen PrämissenMitglieder werden würden, Sympathisant*innen der sozialen Idee, Menschen, die sich eine wirklich progressive, soziale Regierung wünschen, statt einen Dauerkompromiss zu akzeptieren“, zusammenführen. 5.000 Menschen sollen den Gründungsaufruf unterstützen, um dem Ganzen eine Form zu geben. Die inhaltliche Substanz ist klar: „Wir wollen das Soziale zum Kernthema machen“, sagt Bülow: Bessere Arbeitsbedingungen etwa in der Pflege, bezahlbare Wohnungen und faire Steuern sieht der Gründungsaufruf vor, um „ausufernder Ungleichheit“ und der „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“ entgegenzuwirken. Zudem will die Plattform gegen die Aushöhlung von Grundrechten, „ob beim Asyl oder der Privatsphäre“, kämpfen, sich für Gleichberechtigung unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, Behinderung, ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung einsetzen und auf Abrüstungsinitiativen und Entspannungspolitik statt „Doppelmoral bei Kampfeinsätzen und Waffenlieferungen“ setzen.Heiner Flassbeck ist dabei15 Frauen und 15 Männer haben zunächst unterschrieben, darunter die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, Lea Brunn von Demokratie in Bewegung, der Aktivist Raul Krauthausen, Ex-SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, Michael Müller von den Naturfreunden, die Sprecherin der Neuen Deutschen Organisationen Ferda Ataman, die langjährige Gewerkschafterin, Sozialdemokratin und Reinigungskraft Susanne Neumann, der Organisator der NoGroKo-Kampagne Steve Hudson und die Hartz-IV-Kritikerin Inge Hannemann, bis Juli 2017 Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft für die Linke. Mitunterzeichner ist auch der Ökonom Heiner Flassbeck, einst Oskar Lafontaines Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.Placeholder infobox-1Lafontaine selbst sagte dem Freitag: „Ich begrüße diese Initiative. Wir brauchen eine Sammlungsbewegung der politischen Linken, die sich parteiübergreifend aufstellen muss.“ Im Zentrum müsse stehen, „denen, die in der Vergangenheit so viele Enttäuschungen erlebt haben, glaubwürdig zu vermitteln, sich wirklich für sie einzusetzen“. Ihr Vertrauen in die Politik könne man „mit der Durchsetzung eines Mindestlohns von 12 Euro oder eines Rentenniveaus wie in Österreich, wo Rentner im Schnitt 800 Euro im Monat mehr haben als bei uns“, wiedergewinnen. Was seine und Wagenknechts Überlegungen zu einer Sammlungsbewegung angeht, sagte Oskar Lafontaine: „Wir sind in Gesprächen und verfolgen weiter die Entwicklungen.“Am wenigsten dürfte die beiden dabei die Entwicklung der Grünen interessieren – dabei haben gerade sie vor fast 40 Jahren als Bewegungspartei angefangen und wähnen sich nun ebenso als potenzielle Erben sozialdemokratischer Restbestände. Die Grünen stellen im Bundestag die kleinste Oppositionsfraktion, ihre Realo-Spitze aus Annalena Baerbock und Robert Habeck träumt aber von einer Bindungskraft, die über die gut verdienende und ökologisch motivierte Klientel hinausreicht. Für ihren Aufschlag, Ökologie mit der sozialen Frage verbinden und „die digitale, postmoderne Welt zivilisieren“ sowie ein neues Sozialstaatsverständnis entwickeln zu wollen, wählten Baerbock und Habeck die eher von FDP-Anhängern gelesene Welt.„An ihre ursprüngliche Rolle anknüpfen – die der Vorhut“, das gaben Baerbock und Habeck dabei als Ziel für die Grünen aus; eine im Vergleich mit der Vergangenheit stärkere oppositionelle Zusammenarbeit mit der Linken steht hingegen nicht in Rede. „Nationale Abschottung“ sei keine Lösung, schreiben die beiden, sondern das Festhalten an Fortschritt und Globalisierung – aber ökologisch wie sozial gestaltet.Es ist die mutmaßliche Trennlinie, an der es scheitern könnte, all die linken Versuche einer Neuaufstellung irgendwann einmal zusammenzuführen. Ist soziale Gerechtigkeit auf absehbare Zeit nur im Rahmen des Nationalstaates zu erreichen oder taugen allein globale Lösungen? Sind „offene Grenzen für alle“ erstrebenswert? Diese Fragen treiben nicht nur, aber mit am deutlichsten die Linke um, mit Wagenknecht auf der einen und Kipping auf der anderen Seite.Umso bemerkenswerter ist, dass die Kontroverse nach dem Mitgliederentscheid der SPD erst einmal in den Hintergrund zu rücken scheint. Am Sonntag hat die Parteispitze allen Kreisvorsitzenden der Linken einen Brief geschickt, den auch Lafontaine im Gespräch anerkennend erwähnt: Kipping, Bernd Riexinger und der kommissarische Bundesgeschäftsführer Harald Wolf ermuntern auf zwei Seiten dazu, „mit bestehenden oder potenziellen Bündnispartnern ins Gespräch zu kommen“ und empfehlen dafür „Einladungen zu Gesprächsforen und die Gründung von Aktionskomitees“, etwa zu Kampagnen in den Bereichen Pflege und Wohnen. Als Partner identifizieren die Verfasser des Briefes „Initiativen und Verbände, kämpferische Gewerkschaftsaktive, Kulturschaffende und Wissenschaftler*innen, linke Grüne und enttäuschte Sozialdemokrat*innen ebenso wie die Linke in Bewegung und im Bundestag“.Fraktionschefin Wagenknecht darf sich also ebenso angesprochen fühlen wie die Plattform mit Marco Bülow. Letzterer hält gemeinsame Aktionen von Sozialdemokraten, Linken, Grünen und Engagierten aus sozialen Bewegungen, vor Jobcentern und Pflegeheimen zum Beispiel, nicht nur für „vorstellbar“, sondern auch für „nötig“. Es müsse darum gehen, rot-rot-grüne Kreise ebenso zu mobilisieren wie zivilgesellschaftlich Aktive, die mit Parteien längst nicht mehr viel anfangen können.
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