Festen Schrittes betrat die schönste Frau der Welt mein Büro, die verwaiste Ostfiliale der MITFAHRZENTRALE NORD. »Ich biete Ihnen eine Mitfahrgelegenheit nach München!«, zerschnitt ihre Stimme die bis eben einschläfernde Stille dieses Ortes. »Was kann ich von den Leuten verlangen!«
»Dass sie sich anständig benehmen«, versuchte ich einen kleinen Scherz, doch sie schüttelte den Kopf und klopfte mit ihrem Ringfinger auf meinen Schreibtisch. »Ich will wissen, wie viel Geld ich verlangen kann«, sprach sie in das von ihrem Fingernagel erzeugte Stakkato.
»21 Euro pro Person«, wechselte ich zum dienstlichen Ton, doch auch damit kam ich ihr keinen Deut näher, im Gegenteil. Ihren hübsch geschwungenen Lippen entfu
enen Lippen entfuhr ein zutiefst angewidertes: »Waaas?«»21 Euro, pro Person«, wiederholte ich langsam und so deutlich ich konnte.»Ich hab Sie schon verstanden«, murrte sie, »wieso nur so wenig?«Ich wollte ansetzen, ihr mit meinem Wissen über Kilometerpauschalen, Festpreise und Allgemeine Geschäftsbedingungen zu imponieren, doch sie ließ mich nicht.»Das lohnt sich nicht für mich!« fuhr sie mir schroff dazwischen. »Und dann soll ich womöglich wegen jedem einzelnen Mitfahrer zu Ihnen kommen, was?«Ich schüttelte den Kopf: »Sie müssen nur einmal zu mir kommen, und auch das nicht wirklich.«»Nein?«»Nein, die Inanspruchnahme unserer Dienstleistung beruht auf rein freiwilliger Basis«, brachte ich sie zum ersten Mal dazu, mich nicht gleich wieder anzublaffen.»Wie meinen Sie das?«, fragte sie beinahe höflich.»Ich meine, dass sie nicht verpflichtet sind, mir Ihre Fahrt nach München anzubieten. Ich habe sie weder gezwungen, noch gebeten, zu mir zu kommen.« Das hatte ich nicht böse gemeint, es war nichts als die Wahrheit, doch auch die schien ihr nicht im Mindesten zu schmecken.»Nun werden Sie nicht auch noch frech!«, wurde ihre Stimme eine Spur giftiger. »Ich arbeite für eine namhafte regionale Tageszeitung, und wenn Sie sich mir gegenüber nicht schnellstens eines anderen Tons befleißigen, schreibe ich einen Artikel über Ihre sauberen Praktiken, an dem Sie Ihr ganzes Leben zu knabbern haben! «»Ich soll Ihren Auftrag stornieren?«, fragte ich.Ihr »Nein!« drang mir durch Mark und Bein. »Wir machen das jetzt so wie es bei Ihnen üblich ist«, schimpfte sie, »aber eine Frechheit bleibt es trotzdem, das wissen Sie hoffentlich?«Um sie nicht weiter zu reizen, entschied ich mich für ein verschämtes Nicken, doch meine Demut brachte sie erst richtig in Fahrt:»Ich habe wahrlich Besseres zu tun, als mich mit Ihren unanständigen Forderungen rumzuärgern! Sie haben ja keine Ahnung, was ich alles zu erledigen habe!«»Was haben Sie denn zu erledigen?«, fragte ich, worauf die schönste Frau der Welt einen tiefen Seufzer ausstieß, sich durchs Haar fuhr und ihre Hand auf meinen Schreibtisch sinken ließ, nur einen Finger breit von meiner entfernt.»Ich muss heute noch eine Reihe von Wohnungen renovieren«, sagte sie und sah mir so tief in die Augen, wie es schon lange keine Frau mehr getan hatte. »Ich will sie weitervermieten, natürlich renoviert, Sie wissen, wie das läuft. Außerdem gibt es noch zirka tausend Anrufe, die darauf warten, dass ich sie tätige, und, als wäre das nicht genug, muss ich mir auch noch einen neuen Fummel kaufen. Ich bin Vertreterin für gynäkologische Stilmöbel, europaweit. Das bedeutet, ich muss immer nach dem neuesten Schrei gekleidet sein, und die Moden wechseln heute ja schneller als die Wochentage. Warum starren Sie mir eigentlich ständig in den Ausschnitt?«»Och, das mache ich nur so, aus Spaß«, druckste ich und wurde rot. »Aber ich höre Ihnen zu dabei, Sie sprachen gerade über Ihre Tätigkeit als europaweite ...«»Lassen wir das!«, winkte sie ab. »Sind doch alles perverse Wichser, mit denen Frau es in meiner Branche zu tun bekommt.«Mir fiel nichts anderes ein, als wieder zu nicken. Diesmal nickten wir zusammen. Dann sah sie mir wieder so tief in die Augen: »Nur das mit der Renovierung kommt mir gerade total ungelegen, wissen Sie?« Ihre Finger berührten sacht die meinen. Wie gefühlvoll sie doch sein konnte! »Und bis morgen muss alles fertig sein«, seufzte sie, dass es zerrte in meiner Brust. Sollte ich es riskieren, ihr meine Hilfsbereitschaft anzubieten und sie mit meinem Angebot zu verschrecken? Ich sollte!»Würden Sie mir erlauben, Ihnen beim Renovieren zu helfen?« Ich war erleichtert, dass es endlich heraus war. Ihre Augen wurden ganz klein: »Das würden Sie tun?« Ich nickte, und ihre Lippen formten sich zu einer Schnute. Während ich noch überlegte, ob das jetzt ein Kuss- oder ein Schmollmund war, griff sie in ihr goldenes Umhängetäschchen und holte ein rosafarbenes Blatt Papier hervor: »Ich habe Ihnen hier aufgelistet, was Sie alles besorgen müssen. Am besten fahren Sie umgehend in den nächsten Baumarkt. Sie sind doch motorisiert?«Ihr misstrauischer Unterton war mir nicht entgangen. Meine Hände hatten sich vor Schreck in meine Hosentaschen verkrochen, worin eine von ihnen etwas Hartes fühlte. Der Transporterschlüssel meines Chefs! Ich hatte versäumt, ihm den Wagen zurückzugegeben.«»Aber ja«, erwiderte ich schnell, »Ich bin motorisiert.«»Das ist gut«, sagte die schönste Frau der Welt und hob ihren Zeigefinger: »Kaufen Sie mir nicht zu teuer ein. Das Geld müssen Sie erst einmal vorschießen. Ich hab jetzt nicht so viel dabei, und dass ich Ihnen meine Karte anvertraue - so weit sind wir noch nicht, hm?«»Nein, so weit sind wir noch nicht«, erwiderte ich traurig.Aber vielleicht bald, verhieß mir ihr Blick: »Wenn Sie alles besorgt haben, fahren Sie die aufgeführten Adressen an und legen los! Vielleicht verschaffe ich Ihnen nachher eine Kleinigkeit zu essen. Hier, Sie Herzensdieb, die Wohnungsschlüssel!«Ein dicker Schlüsselbund senkte sich kalt in meine ausgestreckte Hand. Die schönste Frau der Welt schenkte mir einen letzten verheißungsvollen Augenaufschlag, machte auf dem Absatz kehrt und war eben im Begriff, aus meinem Büro zu schweben.»Und das würden Sie wirklich tun, mir etwas zu essen besorgen meine ich?«, brachte ich sie im letzten Augenblick zum Stehen.»Natürlich würde ich das tun«, entgegnete mir ihr schmollender Mund. Mit eleganten Schritten kehrte sie an meinen Schreibtisch zurück und legte wieder ihre Hände neben meine.»Vielleicht geb´ ich Ihnen nachher sogar Gelegenheit, mich ein wenig zu - unterhalten.«Mit einem unerhört ruchlosen Blick beugte sie sich über den Tisch, ganz nahe zu mir und vollführte direkt vor meinen Augen eine eindeutige Handbewegung.Hatte ich richtig gesehen, oder war das Ganze ein Streich meiner durcheinandergeratenen Sinne? Ihr noch immer ruchloser Blick schien das von meinen Augen Aufgeschnappte zu bestätigen, doch ich brauchte Gewissheit:»Heißt das, dass Sie ernsthaft daran interessiert sind, in Zukunft öfter über meine Zeit zu verfügen?«, flüsterte ich, atemlos und mit heißen Lippen.»Ja, verdammt«, erwiderte sie ungeduldig, »spüren Sie das nicht?«Ich spürte. Und wie ich spürte! Ohne Zweifel hätte ich mein Büro Büro sein lassen, hätte das Auto meines Chefs gestohlen und wäre unverzüglich daran gegangen, für die schönste Frau alle Wohnungen dieser Welt zu tapezieren, wenn mein Blick nicht genau in diesem Augenblick zu der großen, runden Wanduhr gewandert wäre.»Tut mir Leid«, bedauerte ich mit einem resignierten Achselzucken. »Ich muss jetzt Feierabend machen, aber morgen bin ich wieder hier, und wir können es noch einmal versuchen, in Ordnung?«Die schönste Frau der Welt tötete mich mit einem kurzen, stechenden Blick, entriss mir das Schlüsselbund wie Diebesgut und verließ mein Büro mit dem Stolz einer zu Unrecht entthronten Königin. Ich packte meine Stullenbüchse ein, fuhr den Computer herunter, dachte an den Abend in meiner Männer-WG und wartete schon ein ganz klein wenig auf morgen.
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