Unddasistauchgutso, proletarisches

Berliner Abende Es ist warm in Berlin, am letzten Augustwochenende - manche behaupten sogar »heiß« -, bis tief in die Nacht. Die Bienenstöcke summen in wepsigen ...

Es ist warm in Berlin, am letzten Augustwochenende - manche behaupten sogar »heiß« -, bis tief in die Nacht. Die Bienenstöcke summen in wepsigen Frequenzen, und durch die Simon-Dach- und die Wühlischstraße - vorletztes neuestes Szene- und Konsumrevier in Friedrichshain - taumeln die Schwärme als wäre heute letzter Begattungsflug.

In die Tür einer neuen Bar tritt eine stattliche Erscheinung in kurzen Tropenhosen und wedelt sich mit einem spanischen Fächer Luft zu. Aus dem Raum hinter der Tür stürzt ein Herr im schlichten weißen Hemd, sparsam mit Piercings geschmückt und mutigen Farbecken über Auge und Stirn. Er verteilt Aschenbecher auf den Biertischen vor der Bar, um sich dann an den Puls der fächelnden Schwuchtel zu werfen. Ein neues Parfum, ein neuer Lockstoff. Eine kleine Erregung. Aber der Herr im weißen Hemd muss zurück. Er arbeitet hier. Er ist der Chef. Er ist jetzt weder verfüg- noch verführbar. Er hat alle Hände voll zu tun. Er eröffnet heute offiziell. Die Idee haut voll rein. Über die Durchführung wird zu reden sein. Schlaff hängt eine winzige Regenbogenfahne jetzt auch hier im Quartier. Eine Marktlücke wurde geschlossen. Ab 19 Uhr Party und Büfett, Freibier ab 21 Uhr. Dann DJ Darryl aus NYC: Das Wowereiz ist eröffnet, die »Wowereizbar«!

So viele Cocktails auf den mit Büroklammern zur Karte gefügten DIN-A 4 Blättern auch locken mögen - hier draußen wird Bier getrunken. Drinnen wird noch gar nicht getrunken. Wo bleiben die Herrschaften, bzw. Weibsbilder? Die ursprünglich sinnvolle Geschäftigkeit des Chefs wandelt sich zur Panik. Die Kerzen flackern, rote Lichter blinken vergebliche Botschaften. Rot die Wände, rot die Rosen. Tief geschlechtsrot die an die Wände genagelten Flokatis, dergleichen auch über billiges Resopal oder sperrmüllverdächtiges Naturholz geworfen sind. Etwas halbseiden das Ganze. So gar nicht weltläufig wombathaft Wowereiz. Und dennoch: Dieser in leichten Witz gehüllte Dank, der von hier aus Richtung Kandidat verströmt! Wie anders wird doch über den solcherart Geehrten zu reden sein, als über den Konkurrenten, dessen lose, rassismussatten Sprüche aus nicht allzu ferner Jugend, gerade in der Hauptstadt gewogen werden. Eröffnete jetzt einer ein »Steffels«, welche Kundschaft söffe sich da an den Rand?

Hier immerhin noch keine. Es ist schon dunkel. Ein großes Herz ist in einen roten Vorhang geschnitten. Dahinter die Kerzen (flackernd). Kaum noch zu sehen in den zwei kleinen Schaukästen, links neben der Eingangstür die beiden männlichen Puppen - Ken nachempfunden - mit nackten Oberkörpern in aufregend gelben Boxer-Shorts, und rechts, die beiden Frauenpuppen - Barbie nachempfunden - in sittsamen Kleidern, beide Paare gelagert in blutroten Federn von der Boa.

Friedrichshainer Hard-Core-Lesben klirren ignorant vorbei. Gemischte Touristengruppen aus dem Schwäbischen lesen »Freibier« und lassen sich sofort nieder. DJ Darryl ( NYC ) löst die Musik vom Band ab, Klatschmärsche von YMCA - Groups, Leichenswing. Aber besser wird es auch nicht. Endlich tröpfeln ein paar Herren. Freundliche Glatzen in Schläppchen, luftige, kniekurze Hosen aus leichtem Schlafanzugstoff, Turnhemdchen. Wenn das Wowereiz sieht! Gemütliche Bäuche ohne Fassung. Klone schier. Kein Lack, kein Leder. Nichts Gesalbtes. Wie heiß muss es denn noch werden? Hier verkehren offenbar die netten Prolo-Schwulen von nebenan. Oder ist es die SPD-Selbsthilfe-Bezirksgruppe? Nur einmal geht ein leichtes Zittern durch den Bierschaum, als ein Herr in Anzug und Weste mit gleichwohl bis zur Wade gekürzten Beinkleidern, sonnenverwöhnt und reich geschmückt sich niederlässt, um auf den Liebsten zu warten. Denn siehe, er trägt ungewöhnlich edle Schläppchen, aus echtem Juchtenleder gefertigt. Modisch eine Delikatesse. Das muss ihm der Neid lassen.

Sonst bröckelt es so dahin. Die Schwaben beginnen das Büfett zu putzen. Harte Eier, Buletten, mehrere Quadratmeter aneinandergekuschelte Hähnchenschenkel mit Papierrosettenschmuck. Selbst wenn wir letzteres als einen Tribut an die Kessler-Zwillinge zu ihrem 60. interpretieren und durchgehen lassen wollten - da haben wir aus diesen Kreisen büfettmäßig doch anderes gehört und erwartet. Und dann die Toilette: ein Rumpelding wie eine Abstellkammer. Da macht jede Kebab-Bude mehr her! Hier muss verdammt noch mal gearbeitet werden. Im Sinne des großen Wowereiz, der jetzt über sich plakatieren lässt: »Berlin hat seinen eigenen Rhythmus. Und er hat das richtige Taktgefühl.«

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