A
Aberkennung Weltweit wurde nur zweimal der Welterbestatus entzogen. Der Oman hätte nicht im Naturschutzgebiet Öl fördern dürfen; immerhin ersuchte man selbst die Streichung. Dresden ist der einzige Fall einer echten Aberkennung. Als das Elbtal 2004 zur Kulturlandschaft auserkoren wurde, tobte der Brückenstreit schon seit Jahren. Eine zusätzliche Elbquerung sollte den Verkehr der Zuckerbäckerstadt entlasten. Unter dem hübsch romantischen, heute einschlägigen Namen „Waldschlösschenbrücke“ wurde das Trassenprojekt gestartet, bevor das Erbe-Etikett kam. Einigen – etwa auf eine Tunnellösung – konnten sich die Streitparteien nicht; jetzt durchschneidet ein Betonbogen das Tal. Die Stadt meint, sie kann mit dem Verlust leben. Touristisch hätte der Status sich nicht gelohnt, allein das Barockensemble vermarkte sich wie geschnitten Brot. Immerhin kann man hieraus einiges über die Dickköpfigkeit im Elbauenland lernen. Und wer wusste vorher, dass es eine Fledermaus namens „Kleine Hufeisennase“ gibt? Tobias Prüwer
B
Bad Münster am Stein Eine Fähre, die per Hand an einem Seil über die Nahe gezogen wird. Am anderen Ufer ein uralter, zwischendurch abgebrannter, dann halbwegs rekonstruierter Märchenwaldpark, eine Burgruine auf dem Felsen, darüber ein wunderschön verwinkeltes historisches Kurhaus – das allein würde für die Aufnahme des Städtchens in die Weltkulturerbeliste reichen. Es könnte stellvertretend aufgenommen werden für alle Kurstädtchen, die sich um 1900 herum eine Konzertmuschel gönnten, auf dass der Tanztee ein noch größeres musikalisches Vergnügen werde. Ein bisschen stellvertretend könnte es auch als Mahnung aufgenommen werden, dass der Charme leicht runtergerockter (➝ Elvis) Kurorte mit ihren Pensionen und Villen niemalsnienicht durch den Anbau von Zweckbauten zerstört werden darf. Elke Wittich
C
Córdoba Eine Stadt, Pardon, mauert mit ihrem maurischen Erbe. In Córdoba steht die Mezquita-Catedral, die Moschee-Kathedrale. Von muslimischen Eroberern im 8. Jahrhundert errichtet, untersteht das Gebäude seit der Reconquista der katholischen Kirche. In den Sakralbau baute man extra einen Kirchenraum ein. Der Welterbestatus beruht allerdings auf der maurischen Bogenarchitektur. Um diese kümmere sich das Domkapitel von Córdoba, es hat sich jüngst das Gebäude als Eigentum ins Grundbuch eintragen lassen, nach Meinung der Bürger viel zu wenig. So forderten 400.000 Menschen via Petition, der Staat möge den Tempel übernehmen. Sie sehen einen Kulturkampf am Werk, in dem die Kirche das muslimische Erbe aus dem kollektiven Gedächtnis tilgen will. Tatsächlich heißt die Mezquita öffentlich nur noch Kathedrale. Natürlich spielt auch Geld eine Rolle. Das Domkapitel sicherte sich die Markenrechte – ausgerechnet – am Namen „Mezquita“, lustigerweise im Bereich Alkoholika. Und verklagt nun einen Bierhersteller, sich nicht mehr mit dem Gebäude zu schmücken. Was tut man nicht alles fürs Welterbe. Tobias Prüwer
E
Elvis Ich wäre für Graceland! When I’m walking in Memphis lief kürzlich durch mein MP3-Shuffle-Programm. There’s a pretty little thing waiting for the king down in the Jungle Room. Graceland ist ein grusliger, trauriger Ort voll mit kitschiger King-Magie, dem eisernen Gewinnstreben der cleveren Witwe Priscilla ausgeliefert. Der Landsitz könnte – von der UNESCO auserwählt – aus den Niederungen des US-amerikanischen Kommerzes zu den Höhen der Weltkultur, die der King durchaus mitgeprägt hat, geführt werden. Eine solche Erhebung und Weihe würde vielleicht auch die etwas prekären Beziehungen zwischen den USA und der UNO stärken, der die USA immer Geld schulden. Magda Geisler
F
FC Barcelona Natürlich ist es nichts weniger als ein zutiefst perfides, vollkommen durchtriebenes Verhalten von Barça, seit bald zehn Jahren gemeinsame Sache mit UNESCO und UNICEF zu machen. So lange nämlich schon tragen „die stolzen Katalanen“ die Insignien der Menschen- und Kulturfreundlichkeit auf dem Trikot herum und ernten dafür noch mehr grundlose Sympathie als ohnehin schon. Den ausgestreckten Mittelfinger in Richtung der – jetzt aber wirklich (!) – „stolzen Madridista“, die weder Mittelmeerromantik noch Gaudí-Kitsch aufzuweisen haben, lässt sich Barça allerdings viel kosten, irgendwas mit Spenden in Millionenhöhe. Hoffentlich. Timon Karl Kaleyta
I
Immateriell Greifbares erbt sich recht leicht. Was man an den imposanten Wasserfällen oder historischen Stadtkernen hat, erschließt sich schnell. Doch zeichnen sich Kulturen nicht auch durch ihre Traditionen, spezifisches Wissen und kulturelles Handeln aus? Das hat auch die UNESCO festgestellt und den Schutz des sogenannten immateriellen Kulturerbes beschlossen. Seit 2008 werden drei verschiedene Listen geführt, die dazu dienen, immaterielles Kulturerbe sichtbar zu machen, Möglichkeiten des Schutzes aufzuzeigen sowie auf besonders gefährdete Bräuche hinzuweisen. Auf diesen Listen finden sich beispielsweise der Tango, eine Reinigungszeremonie von Jungen im zentralen Norduganda oder die Mittelmeerküche. Benjamin Knödler
J
Jo-Jo-Effekt Das Welterbe, alles hübsch und schön. Was aber fehlt und worum sich schleunigst gekümmert werden muss: ein Verzeichnis des Welt-Kulinarik-Erbes, in dem alle Länder dieser Erde mit, sagen wir, zehn Gerichten aufgeführt werden, die zwar vielleicht nicht allen Bewohnern dieses Planeten schmecken, die aber nicht verloren gehen und schon gar nicht windigen Rezepteanbietern im Internet überlassen werden dürfen, die am Ende aus reiner Profitgier oder Faulheit schluderig arbeiten und falsche Zutaten und Garzeiten veröffentlichen, weil, muss ja immer alles schnell gehen. Solche Klitschen beschäftigen in aller Regel Fachpersonal, für das böhmische Klöße bloß böhmische Dörfer sind. Was die Welt also braucht: Anleitungen für norwegische Fiskeboller und österreichisches Wiener Schnitzel, gambisches Domoda, indonesisches Babi Pangang und so weiter, natürlich in allen Sprachen, mit detaillierten Zubereitungsanleitungen, Video, natürlich einer Zutaten-Suchfunktion. Nie mehr müsste man sich mit der Frage „Was soll ich nur kochen?“ herumschlagen, man würde einfach bei der UNO vorbeigucken, was die Weltlaune um geschätzt drei Prozent verbessern würde. Elke Wittich
K
Krieg Über 6.000 Häuser aus dem Mittelalter, gebaut aus Lehmziegeln, erweitert und in Stand gehalten bis heute. Hochhäuser sind es, mit weißen Verzierungen und farbigen Glasmosaikfenstern, genannt Qamarias. Das ist ebenso spektakulär, wie es klingt. Die jemenitische Hauptstadt Sanaa ist ein Juwel, und wer kann, sollte sie sich unbedingt persönlich anschauen – wären da nicht die dauernden Krisen und der Krieg, die das kleine Land am südlichen Ende der arabischen Halbinsel seit Jahren beuteln. Bei den jüngsten Bombardierungen hat auch die Altstadt Schaden genommen. Das nimmt die saudische Allianz bei der Bekämpfung der Huthis in Kauf – während die Welt (➝ Lübeck) um die durch den IS bedrohten Kulturgüter im Irak bangt. Sophie Elmenthaler
L
Lübeck Wir saßen immer vorm Holstentor, Jan und ich. Wir kannten die Dohlen, die da wohnten, wussten, wo es das beste Eis gab. Wir kannten die Schönheit, den Stolz, die Tristesse, das Verdämmernde, das unermesslich Liebenswerte dieser Stadt. Da kamen sie wieder, die Touristen. Aus Japan, Schweden, Hinterfotzing. Blieben stehen, wie immer. Sie zogen, wie immer, den Fünfzigmarkschein heraus: „Parbleu! Auf dem Schein sieht es ja genau so aus wie in echt!!“ Dann rückten sie näher. Grabschten, vorne rechts am Torbogen, unser Holstentor an. Jeder. Immer. Immer dieselbe Stelle. Unser Holstentor war schon ganz abgegrabbelt davon. Wir schüttelten, wie immer, die Köpfe. Warfen den Dohlen unsere Eiswaffeln hin. Wir hatten die Welt gesehen. Die Welt begriff nichts (➝ Krieg). Klaus Ungerer
R
Rote Liste Die UNESCO führt eine Liste mit Kultur- und Naturdenkmälern, deren Bestand und Geltung durch Beschädigung, Zerstörung oder Verschwinden bedroht sind. Auf dieser Liste stehen auch Schätze, die es gar nicht mehr gibt. Oder nur noch ihr negativer Raum. Mit diesem wird in der Kunst ein Bereich bezeichnet, der den Hintergrund, der die Dinge umgibt, beschreibt. Er ist der Raum zwischen den Dingen im Gegensatz zur festen Materie. Die Buddhas von Bamiyan waren einst die größten stehenden Buddhastatuen der Welt, sie wurden im 6. Jahrhundert aus rotem Sandstein gemeißelt. 2001 sprengten die Taliban sie (➝ Krieg). Übrig geblieben sind nur die Nischen, die die Buddhas beherbergten. Elke Allenstein
V
Verteilung Bloß keine Quote! Von einer Rationierung, um die Verteilungsgerechtigkeit auf der Welterbeliste herzustellen, will die UNESCO nichts wissen. Sie setzt auf Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung der Nationen; die Flexi-Quote fürs Welterbe quasi. Seit 20 Jahren feilen die Bürokraten an einer globalen Strategie für eine „ausbalancierte, repräsentative und glaubwürdige“ Verteilung. Doch damals wie heute machen Orte der westlichen Kultur 50 Prozent aller Welterbestätten aus. Trotz Ausweitung der totalen Anzahl blieb die relative Verteilung also gleich. Die UNESCO fordert Zurückhaltung von prominenten Ländern. Das ist putzig, geht es doch weniger um Erhaltung als um die Monetarisierung der Stätten. Allein in Deutschland liebäugelt jede dritte Kommune mit dem Erbesiegel fürs Tourismusmarketing; Dresden allerdings (➝ Aberkennung) kann gut auf das Image verzichten, die Stadt ist schon weltbekannt genug. Gleichheit ist keine Gerechtigkeit: Ist die UNESCO wirklich an der Qualität der Stätten interessiert, hilft kein Gießkannenprinzip. Dann muss man böse Worte wie Eurozentrismus und westliche Dominanzkultur auch mal aussprechen oder härtere Bandagen anlegen – wie eine Quote. Tobias Prüwer
Z
Zeche Mit dem Welterbe verbindet man vor allem antike Tempelanlagen oder eindrückliche Naturstätten. Seit 2001 befindet sich jedoch auch die Essener Industriestätte „Zeche Zollverein“ auf der Liste. Dabei ist die Zeche nicht antik, für den Schutz der Natur steht sie schon gar nicht. Stattdessen ist das große rostrote Fördergerüst das Symbol des Steinkohleabbaus. Doch gerade das ist es: Denn Kohlebergbau und seine positiven und negativen Auswirkungen haben weit mehr als die Industrielandschaft im Ruhrgebiet geprägt. Die Zeche ist Zeugnis großer sozialer Umwälzungen. Dass die Zeche nun zum kulturellen Zentrum geworden ist, macht das nur noch deutlicher. Benjamin Knödler
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