Der Freitag: Herr Noglik, Sie sind in der DDR aufgewachsen und waren 16 Jahre alt, als die Berliner Jazztage 1964 starteten.
Bert Noglik: Ich habe das damals über das Radio mitbekommen. Jazz hat mich sehr früh fasziniert. Ich bin in Leipzig aufgewachsen, habe aber Westsender gehört und dort immer nach Jazzsendungen gesucht. Den Anstoß gab mein Cousin, der einige Jahre älter war und in Westberlin lebte. Er schwärmte von den großen Jazzkonzerten, die er zum Beispiel im Berliner Sportpalast besuchte. 1961 schenkte er mir ein Taschenbuch, das er doppelt hatte: Das Jazzbuch von Joachim-Ernst Berendt. Ich fand das hochinteressant.
Joachim-Ernst Berendt, der Gründer des Festivals, hat die Jazztage in der Mauerstadt als eine Art Schaufenster für die Freih
t Berendt, der Gründer des Festivals, hat die Jazztage in der Mauerstadt als eine Art Schaufenster für die Freiheit des Westens verstanden. Nahmen Sie und Ihre Freunde das in Leipzig so wahr?Ich habe zwar die Atmosphäre des Kalten Kriegs sehr bewusst erlebt. Aber so ideologisch habe ich die Jazztage nicht wahrgenommen. Für mich war die westliche Kultur insgesamt etwas Leuchtendes, eine Alternative zum Alltag in der DDR.Wie lebten Sie Ihre Jazzleidenschaft aus?Was internationalen Jazz anbelangt, war für uns im Osten das Festival Jazz Jamboree in Warschau eine wichtige Orientierungsgröße – weil wir dort hinfahren, die Musik live erleben und Jazzfreunde aus dem Westen treffen konnten. In Warschau spielten viele der großen Amerikaner, Miles Davis oder Wayne Shorter, aber auch Bands aus Osteuropa und der DDR.Welche Auftritte haben Sie in Erinnerung?Synopsis, das spätere Zentralquartett, hatten 1973 in Warschau ihren internationalen Durchbruch. Beeindruckt hat uns auch das Ganelin Trio aus Litauen. Das war sensationell: Auf einmal kam aus diesem Land, von dem wir dachten, es gebe dort nichts Fortschrittliches, eine Band, die unglaublich frisch, sehr frei und mit großem Elan spielte. Die Berliner Jazztage hingegen habe ich nur aus der Ferne mitbekommen. In den 70ern gab es dann Fernsehübertragungen aus der Berliner Philharmonie, die hat man sich etwas wehmütig, aber mit großer Aufmerksamkeit angeschaut.Als der Veranstalter des Jazz Jamboree zum ersten Mal zu den Jazztagen nach Berlin fuhr, sprach er von einem Traum, der damit in Erfüllung gegangen sei. Ging Ihnen das auch so?Ich möchte das Jazzfest nicht überfrachten. Der Traum war ja, überhaupt in den Westen reisen zu können.Ab wann konnten Sie das Jazzfest besuchen?Erstmals 1989. Ich hatte zuvor mehrfach Reiseanträge gestellt, die immer abgelehnt wurden. Der Moment, in dem ich in Berlin eintraf, war hochbrisant. Ich hatte eine Verabredung im Hotel „Stadt Berlin“ am Alexanderplatz und bin so plötzlich in die große Demonstration am 4. November gestolpert. In dieser Situation dann die Grenzkontrolle zu passieren und mit der S-Bahn nach Westberlin zu fahren, war von großer Aufregung, gesteigerter Wahrnehmung und unglaublichem Staunen begleitet. Diese Atmosphäre hat mich enorm beeindruckt und aufgewühlt – letztlich viel stärker noch als das, was ich beim Jazzfest im Einzelnen hören konnte.Kann so ein Festival heute noch Trends aufspüren oder gar auslösen, wie es die Jazztage in ihren Anfangszeiten zumindest für Deutschland leisteten?Ich glaube nicht. Man kann Impulse aus unterschiedlichen Szenen verstärken und so zu deren Wahrnehmung beitragen. Wir bewegen uns in einer außerordentlich pluralistischen Jazzlandschaft, in der es inmitten einer Vielzahl parallel existierender Trends den einen, vorherrschenden nicht mehr gibt.Das Bemühen, Verbindungen von der Vergangenheit in die Gegenwart herzustellen, zieht sich durch alle drei Festivals unter Ihrer Leitung. In diesem Jahr widmen Sie zwei Programme dem Saxofonisten Eric Dolphy, der keine drei Monate vor dem ersten Jazzfest in Berlin starb. Sie spannen einen Bogen von diesem Klassiker der Jazzmoderne hin zu zwei Generationen von Musikern, die sich auf sehr zeitgenössische Art mit dessen Position befassen.Die Dialektik von Tradition, Moderne und Avantgarde finde ich inspirierend. Ich wollte das Jubiläumsfestival nicht nur rückblickend konzipieren. Wenn es mir gelingt, etwas von den inneren Zusammenhängen des Jazz als Jahrhundertphänomen aufzuzeigen, bin ich sehr froh. Dazu zählt das Potenzial des Jazz, aus sich selbst heraus – und natürlich in der Mischung mit anderen, aktuellen Einflüssen – neue Entwicklungen in Gang zu setzen.Placeholder infobox-1Wenn wir in diesem Jahr die Fats Waller Dance Party anschauen und Mostly Other People Do The Killing, die sich auf den Jazz der 20er und frühen 30er Jahre beziehen, auf Louis Armstrong und King Oliver, dann schauen wir zurück auf ein ganzes jazzmusikalisches Jahrhundert und zugleich nach vorn mit dem Elan und den frischen Ideen der Bands.Ist bei solchen Versuchen, sich explizit auf ältere Stile zu beziehen, nicht die Gefahr groß, in eine ironische, in der Postmoderne wurzelnde Form von Klamauk abzurutschen?Die Gefahr besteht immer, gerade bei Musikern, die mit Witz und Intelligenz spielen. Aber wenn ein Bandmitglied von Mostly Other People Do The Killing behauptet, sie betrieben ihre Musik mit postmoderner Ironie, dann muss ich widersprechen. Da ist sehr viel Respekt im Spiel. Allerdings auch eine kleine Dialektik von Respekt und Respektlosigkeit, die diese Musik enorm spannend macht.Das Gespräch führte Stefan HentzPlaceholder infobox-2