Kann man machen: Die Natur als raffinierte Chiffre der Kultur
Foto: Christopher Furlong/Getty Images
Letztjährig, in trüber Winterszeit, hatte ich meine Vorfreude auf die Wiederkehr des immer anders Gleichen durch ein schönes Buch über Blumen und vor allem ihre bezaubernden Namen finden können. Nun ist es wieder so weit. Der Winter und mit ihm der Geschenkzwang naht. Unterdessen hat sich Rosemarie Gebauer gewissermaßen von den Blumen hochgearbeitet und den Sträuchern und Bäumen gewidmet.
Zeigt einmal mehr: Namen sind keineswegs Schall und Rauch. Diesmal macht das naturgemäß schön gemachte Büchlein es einem zunächst ziemlich schwer, weil es sich erst einmal an die lateinischen Haus- und nicht an die deutschen Vornamen hält. Wer würde zum Beispiel ad hoc unter Juniperus communis Wacholder vermuten – und also Fra
rmuten – und also Frau Kranewitt, Machandelboom, Queckholder, Jeneverboom, jenen märchenerprobten, Gin und dergleichen spendenden Nadelhölzernen? Oder nehmen wir Rosa canina, Hagebutte oder Hatschepatsch. Wohingegen Viscum album, als weißbeerige Mistel, geradezu eine vielfaltsverarmseligte, der sprachsozialen Fürsorge hyperbedürftige Existenz zu pflegen scheint. Wiewohl sie sich doch, bedrohlich für die AfD, epiphytisch einschmarotzt und als Aufguss den Kreislauf normalisieren und beim jahreszeitlichen Küssen behilflich sein soll. Es ist eine Lust, von solcher Vielfalt zu lesen – und über Wissen zu staunen, das einem, zumal als Städter, nicht unmittelbar nutzt. Es in der Welt zu wissen, tröstet desto mehr! Leute, kauft das für den Weihnachtstisch (interessanter als der Bestsellerie von Herrn Wohlleben ist es allemal).Womit wir beim Wald wären. Nicht dem, der dem Förster Peter Wohlleben die Tränen ins sentimentale Aug’ und den Ablass in die Schatulle spült, sondern dem mythischen, dem der Jungs (Damen waren da leider ziemlich rar), die den Förstern und Jagdbeamteten ein Graus waren, Räuber, Waldgänger, Holzdiebe, Wilderer, Deserteure, überhaupt Vogelfreie und damit Volkshelden. Fein illustriert, praktisch, quadratisch, gut, werden sie alle dort, wenn nicht verewigt, so doch bedacht: der Konstanzer Hans wie der Hannikel, Schinderhannes himself, Rhönpaulus, der treffsichere Klostermann, der legendäre Daneil, Hasen-Ahlers, und wie sie alle heißen. Dass der Norden weniger vertreten ist als der Süden und Osten – wer mag darüber richten? Jedenfalls so ein recht’s, fein’s Bücherl für den Selbstbegabungstisch!Nun können wir uns nicht immer nur in der freien Natur herumtreiben, sondern müssen als kultivierte Menschen auch zur Kenntnis nehmen, dass es noch kultiviertere gab, denen die Natur zur raffinierten Chiffre der Kultur wurde. Und das kann man an der Malerei in den preußischen Schlössern erproben und besiegeln. Andernorts möglicherweise noch mehr. Aber nun gibt es einmal dieses wunderbare, von Rudolf G. Scharmann klug geschriebene und fein gemachte Buch über Blumenkunst und Pflanzensymbolik im Preußischen, das zu lesen und zu beschauen tatsächlich eine Lust ist. Manche Illustration hätte man sich gleichwohl großzügiger gewünscht, aber vom Barock bis zum kaiserlichen Blumendekor unter der Schirmherrschaft von Auguste Viktoria gibt es ordentlich viel zu bestaunen und zu lernen. Selbst für eingeschworene Antiroyalisten und Zierratsfeinde – und das auch noch zu einem geradezu volkstümlichen Preis!Beredt und engagiert erzählt Eva Eberwein von der Vorgeschichte ihres jetzigen Hauses und Gartens, das Hermann Hesse gehört hatte. Der hatte es sich 1904 in Gaienhofen, in aller Abgeschiedenheit, aber mit Blick auf den Bodensee zu- und angelegt. Ein Haus, gebaut im Schweizer Reformstil, ein Typus, bei dem man unweigerlich „Heimat“ denkt, dazu ein Garten, zeittypisch reformerisch gemischt aus Selbstversorgung und Schönheitsgenuss, Wohlüberlegtheit und milder Wildnis. Die Hausherrin hat als Kind ihre Ferien bei einer Tante in Gaienhofen verbracht; so was prägt fürs Leben. Sie bekam später mit, wie das Haus unter den Nachbewohnern verfiel: „Hässliches zog ein: ein schrecklicher Allerwelts-Metallbriefkasten auf altem Molassesandstein am Haus. Etwas Liebloses und Abweisendes quoll nicht nur aus dem Haus, sondern auch aus dem Dschungel, welcher sich hinter der Hecke zu einem undurchdringlichen Dickicht verfilzt hatte.“ Als Managerin hatte sie das Geld, Haus und Grundstück zu erwerben. Anschaulich berichtet sie vom Weg zum heutigen Zustand ebenso wie vom detektivisch erforschten Damals zu Hesses Zeiten. Man bekommt ein Ziehen in der Herzgegend, nicht nur wegen der jahreszeitlichen Differenz zum Dezember: vor allem wegen der Idyllik, die aus jedem Detail einen anlächelt, ohne in die Nähe von Kitsch zu geraten. Selbst mir, der ich zum Hesse meiner Jugend großen Abstand genommen habe, der ich, wenn ich mal wieder irgendwo seine Stufen vor Augen kriege, am liebsten diese hinunterstürzen würde, wird unglaublich wundersam sentimental ums Gemüt.Placeholder infobox-1
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