Unheilige Familie

VERSUMPFUNG, VERSALZUNG, VERGIFTUNG Die "Grüne Revolution" und gigantische Staudamm-Projekte können verschwistert sein

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert liegt die Notwendigkeit auf der Hand, neue Ansätze für die Bewässerungswirtschaft zu finden. 60 Prozent unserer Bewässerungsfläche sind weniger als 50 Jahre in Gebrauch, doch ein Großteil davon ist gefährdet - die Bedrohung wächst mit beunruhigender Geschwindigkeit. Einer von fünf Hektar bewässerten Landes ist durch Salz geschädigt, jene heimliche Geißel, die bereits den antiken mesopotamischen Zivilisationen zum Verhängnis wurde. Mehr und mehr Flüsse trocknen Teile des Jahres aus, und der Abzug von Wasser für wuchernde Städte und Industrielandschaften trifft die Landwirtschaft empfindlich ...", heißt es im Jahresreport 2000 des Washingtoner Worldwatch-Instituts. Besonders eindringlich klingt dabei die Warnung vor einer Fortführung der intensiv bewässerten Agrarwirtschaft, da weltweit ein dramatisches Sinken der Grundwasserspiegel zu beobachten sei. In den USA haben sich bereits ganze Regionen von der Bewässerungslandwirtschaft verabschieden müssen. Längst sind Projekte beschlossen, die den geschädigten Naturkreisläufen wieder Wasser zuführen sollen. Farmer sind zu Wasserverkäufern an Städte und Industrien geworden - doch wie konnte es eigentlich zu derart akutem Wassermangel kommen?

Vor etwa 30 Jahren begann der zweifelhafte Siegeszug einer von multinationalen Forschungszentren konzipierten Strategie, die mit dem offiziellen Anspruch auftrat, die Ernährungsprobleme der Menschheit lösen zu wollen, die Hochzeit für den Slogan von der "Grünen Revolution".

Sie vollzog sich über eine Verbreitung von schädlingsanfälligen, hybriden, uniformen "Hochertragssorten" in der Agrarwirtschaft - Sorten, die einen enormen Nährstoff- und Wasserbedarf haben. Innerhalb weniger Jahre wurde dadurch die natürlich gewachsene und durch Zucht entstandene Artenvielfalt in der Landwirtschaft vernichtet, die in Jahrtausenden optimal angepasste Sorten hervorgebracht hatte. Die "Grüne Revolution" sorgte für Verarmung, Landverlust, Bodenerosion, Hungersnöte und Trinkwassernotstand in zahllosen Gebieten der Welt. Von beispielsweise einst 400.000 bekannten Reissorten wurden in Indien während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch mehr als 30.000 Sorten angebaut. Gegen Ende des Jahrhunderts waren noch etwa 30 Hybrid-Sorten im Einsatz. Ein dramatischer Verlust, der ungeheure Risiken wie riesige Ernteausfälle durch Krankheitserreger und ungünstige äußere Umstände herauf beschwört.

Ein strategisch angelegtes Ziel der "Grünen Revolution" bestand darin, die unabhängig, meist auf Subsistenzbasis wirtschaftenden Bauern der "Dritten Welt" an den Bezug bestimmter Saatgutsorten, Düngemittel und Pestizide durch multinational operierende Konzerne sowie an künstliche Bewässerung zu binden, was wiederum industrielle Großaufträge nicht zuletzt für Staudämme nach sich zog.

Die "Grüne Revolution" führte zur Desertifikation und damit zum Kollaps von Böden, andererseits jedoch zur Versumpfung, Versalzung und Vergiftung bewässerter Flächen. Mit anderen Worten: Die Großprojekte der "Grünen Revolution" und die Forcierung gigantischer Staudammprojekte stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Sie zerstören regionale Wirtschaftskreisläufe, verhindern Eigenversorgung, zerreißen Völker und vernichten Kulturen. Sie haben selbst wohlhabende Bauern über Nacht verarmen lassen. Im Prinzip gefährden sie die Trinkwasserversorgung und Ernährung der gesamten Weltbevölkerung. Der einzige Weg aus dieser alle gefährdenden Krise ist die Besinnung auf überschaubare und naturverträglichere Methoden der Landbearbeitung, wie sie die Adivasi seit Jahrtausenden praktizieren und wie sie in den Industrieländern mit der ökologischen Landwirtschaft Einzug gehalten haben. Ohne Respekt vor den Land- und Selbstbestimmungsrechten indigener Völker bleibt das jedoch Illusion.

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