Als die sozialistischen Regime Osteuropas und der DDR untergingen, schienen auch alle Vorstellungen einer Organisation des wirtschaftlichen Lebens jenseits des Marktes endgültig erledigt. Doch heute, gerade einmal 20 Jahre danach, bestimmen längst tot geglaubte Begriffe wieder die Diskussion. Während die FDP ein Gesetz, das in letzter Konsequenz die Verstaatlichung der Hypo Real Estate ermöglicht, als „Schlag gegen die Wirtschaftsordnung“ bezeichnet und die Unternehmerverbände mit weiten Teilen der CDU kategorisch erklären, es dürfe auf keinen Fall zur Beteiligung des Staates an Unternehmen der Realwirtschaft kommen, schließt DGB-Chef Michael Sommer auch das Mittel der Enteignung nicht aus, wenn anders ein Unternehmen wie Opel nicht zu retten sein sollte.
Staatliche Beteiligungen an Unternehmen bis hin zu Betrieben in vollständigem staatlichen Besitz haben in Deutschland auch über Bahn und Post hinaus eine längere Tradition, als es auf den ersten Blick erscheint. Ihre Anfänge finden sich 1867 bei der Königlich-preußischen Werft in Kiel, die Kriegsschiffe baute und um die herum zahlreiche weitere Betriebe einer staatlichen Rüstungsindustrie entstanden.
Aber auch im Bergbau hielt der Staat ausgedehnten Besitz, der die Kriegsmarine kostengünstiger als die Privatzechen mit Brennstoff versorgen sollte. 1919 umfassten alleine die Werkstätten des Heeres 62.000 Beschäftigte. Im selben Jahr fusionierten die nach dem Versailler Vertrag nun auf Friedensproduktion umgestellten ehemaligen Rüstungsbetriebe des Staates und firmierten fortan als Deutsche Werke, die hauptsächlich Handelsschiffe, aber auch Autos und Maschinen für die Textil-indus-trie bauten. 1923 gingen sie in die als Holding für den reichseigenen Besitz geschaffene Vereinigten Industrieunternehmungen AG (Viag) über.
Spätestens seit sich eine Gruppe von Büchsenmachern 1885 und 1892 in Petitionen an den Reichstag gegen die ihnen sehr unliebsame staatliche Konkurrenz der Militärbüchsenmacher gewandt hatte, stießen staatliche Betriebe auf den hartnäckigen, sich jahrzehntelang hinziehenden Widerstand der Privatwirtschaft, die sich um bedeutende Möglichkeiten der Profite gebracht sahen. Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte das Kapital, über den Hebel der Reparationsfrage eine Privatisierung der sich in staatlichem Besitz befindenden Betriebe zu erreichen. 1921 bot der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) der Reichsregierung einen Kredit an, mit dessen Hilfe Zahlungen ans ehemals feindliche Ausland geleistet werden sollten. Die Bedingungen: „Befreiung des Wirtschaftslebens von allen die freie Betätigung und Entwicklung schädigenden Fesseln.“ Für öffentliche Betriebe sei eine privatwirtschaftliche Form zu finden.
Provokante Forderungen
Dass das Zehntausende die Arbeit kosten würde, daran ließen die Industriellen keinen Zweifel. Um deren Schicksal sollte sich dann doch wieder der Staat kümmern – etwa durch „große Siedlungstätigkeit“, wie es nebulös in den Dokumenten heißt.
1923 bot die Industrie erneut Repara-tionsgarantien an. Die Reichsbetriebe sollten im Gegenzug „nach privatwirtschaft-lichen Grundsätzen regeneriert und dauerhaft betrieben“ werden, mit dem Ziel, jährlich 600 Millionen bis eine Milliarde Mark aus ihnen herauszuwirtschaften. Außerdem forderte sie neben der Durchbrechung des erst 1918 durchgesetzten Achtstundentages „grundsätzliches Fernhalten des Staates von der privaten Gütererzeugung und -verteilung“.
Die Gewerkschaften, insbesondere der sozialdemokratisch geführte ADGB, sahen in diesem Begehren „eine Provokation der ganzen arbeitenden Bevölkerung“ und forderten stattdessen, die Reichsbetriebe zugunsten von mehr Mitbestimmung aus bürokratischer Bevormundung zu entlassen. Eine Privatisierung dieser Betriebe sei für sie ausgeschlossen. Sie lehnten es ab, dass „lediglich Profitstreben der Antriebsmotor der Wirtschaft sein“ solle.
Beide Vorstöße der Industrie scheiterten am Widerstand der bis Ende 1923 an der Regierung beteiligten SPD, die in den Reichswerken Stützpunkte für die eigenen gemeinwirtschaftlichen Vorstellungen sah. Danach flammte der Streit gelegentlich wieder auf. So debattierte der Reichstag am 19. März 1925 die Frage, ob die Deutschen Werke aus Haushaltsmitteln subventioniert werden sollten.
Während die SPD sie bejahte und für die „Erhaltung des Reichsguts für die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer“ eintrat, lehnten es bürgerliche Abgeordnete zum Beispiel von der indus-trienahen Deutschen Volkspartei (DVP) ab, „in ein Fass ohne Boden aus Reichsmitteln neue Kredite hineinzuwerfen“. Da ging es um ganze 10 Millionen Mark. Dass die Ruhrindustriellen gerade 700 Millionen erhalten hatten, störte sie natürlich nicht.
Zur Privatisierung der Deutschen Werke beziehungsweise der Viag ist es in der Weimarer Republik nicht gekommen. Auch während der Nazizeit blieben sie in staatlicher Hand und spielten eine bedeutende Rolle in Aufrüstung und Kriegswirtschaft. Erst ab 1986 wurde der Viag-Konzern über die Börse schrittweise an Private veräußert und fusionierte im Jahr 2000 mit der Veba zum Eon-Konzern.
Sozialisierung gescheitert
So heftig die Auseinandersetzung um die Staatsbetriebe in der Weimarer Republik mitunter auch war – die Bestrebungen der Kräfte links von der SPD waren mit Abwehr der Privatisierung nicht erschöpft. Indus-tri-eller Besitz in der Hand des letztlich doch im Wesentlichen vom Kapital dominierten bürgerlichen Staates war nicht ihr Ziel. Sie fochten für die Sozialisierung, die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln als entscheidenden Schritt hin zu einer sozialistischen Gesellschaft.
In der ersten Phase der Revolution von 1918/19 schien sie zum Greifen nah. So beauftragte der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte am 20. Dezember 1918 die von Mehrheitssozialdemokraten und links von ihnen stehenden Unabhängigen Sozialdemokraten gebildete Regierung, „mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen“. Auch die ab Ende Dezember allein regierende MSPD versprach, „die Sozialisierung im Sinne des Rätekongresses in die Hand zu nehmen“.
Vereinzelt gingen Arbeiter die Aufgabe direkt an, etwa in der Berliner Firma Piechatzek, in der nach Lohnstreitigkeiten ein Arbeiterausschuss die Leitung übernahm, die Büroräume besetzte, die Prokuristen unter Bewachung stellte und den Inhaber des Betriebes verwies. Der sozialdemokratische Vorwärts kommentierte das als „spartakistischen Jugendstreich“. Ernster zu nehmen war da die Entwicklung im Ruhrgebiet, wo im Januar eine repräsentative Konferenz der Bergleute beschloss, gestützt auf ein System betrieblicher Räte die Sozialisierung des Kohlenbergbaus selbst voranzutreiben.
Eine von der Regierung eingesetzte, in erster Linie aus Wissenschaftlern bestehende Sozialisierungskommission war da bereits einige Wochen im Amt. Ihr war aber offensichtlich die Funktion zugedacht, die Untätigkeit der Mehrheits-SPD zu kaschieren. Wie Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann in der Revolution die Verständigung mit Armee und Bürokratie des kaiserlichen Staates suchten, so strebten sie auch die Zusammenarbeit mit dem Unternehmertum an. Eingriffe in das Privateigentum passten da überhaupt nicht ins Konzept. Dementsprechend lehnten sie Mitte Januar 1919 die Sozialisierung des Kohlebergbaus ab. Die Bewegung der Bergleute des Ruhrreviers ging unter dem Eindruck zweier vergeblicher Generalstreiks unter. Nach dem Kapp-Putsch 1920 lebte die Sozialisierungsforderung noch einmal auf, um 1921 endgültig von der Tagesordnung der Weimarer Republik zu verschwinden.
Eine Renaissance erfuhr sie nach dem Zweiten Weltkrieg. „Sozialismus“ galt vielen, zeitweise vielleicht einer Mehrheit, als die zwingende Konsequenz aus dem Faschismus. Ihren Niederschlag fand diese politische Zeitströmung selbst in weiten Teilen der CDU, die sich für einen „christ-lichen Sozialismus“ aussprachen. Das Ahlener Programm von 1947 vermied zwar diesen Begriff, forderte aber gleichwohl die Vergesellschaftung der Montanindustrie. Sozialisierung bedeute, so der Sozial-demokratische Pressedienst im selben Jahr, „nichts anderes als die Befreiung der Wirtschaft von der Herrschaft einer Klasse, deren Mitwirkung an der Entstehung des Krieges im Grunde von niemandem bestritten wird“. Im Unterschied zu 1918/19 erlangte die Sozialisierung namentlich des Bergbaus jetzt sogar Gesetzesform. Am 6. August 1948 fasste der Landtag von Nordrhein-Westfalen mit den Stimmen von SPD und KPD und bei Stimmenthaltung der CDU einen entsprechenden Beschluss. In die Tat umgesetzt wurde das Gesetz allerdings nie, es scheiterte wenige Tage später am Veto der britischen Besatzungsbehörden, die wie die USA als dominierende westliche Besatzungsmacht grundlegende Eingriffe in das Eigentumsrecht nicht duldeten.
Auch aus Protest dagegen riefen die Gewerkschaften der britischen und amerikanischen Besatzungszonen für den 12. November 1948 zum auf 24 Stunden befristeten Streik auf, dem ersten und bisher einzigen Generalstreik im Deutschland der Nachkriegszeit. Sie forderten Wirtschaftslenkung, Überführung der Grundstoffindustrien in Gemeineigentum, Demokratisierung der Wirtschaft und Inkraftsetzung aller in diesem Sinne bereits von den Parlamenten beschlossenen Gesetze. Neun Millionen der knapp zwölf Millionen Arbeitnehmer der Bizone beteiligten sich. Am Scheitern der mit der Sozialisierung angestrebten Neuordnung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Westdeutschland änderte das nichts mehr. Im Osten Deutschlands scheiterte sie unter anderen Vorzeichen, zwar im Namen des So-zialismus, aber durch bürokratische Herrschaft erstickt.
Alte Fragen neu stellen
Jahrzehntelang schienen die nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg so vehement auf-gebrochenen Fragen ein für allemal erledigt. Dass die sozial korrigierte Marktwirt-schaft die beste Wirtschaftsform aller Zeiten sei, das schienen Mitbestimmung und steigender Wohlstand im Zeichen des Wirtschaftswunders zu beweisen, ungeachtet der Tatsache, dass dem Kapital in teils harten Kämpfen abgetrotzt war, was Arbeitnehmer an Zuwachs bei Einkommen oder Rechten verzeichnen konnten. Mit dem sozialen Rollback der Kohl-Jahre und der Agenda 2010 wuchsen begründete Zweifel.
Heute steht die ungezügelte Marktwirtschaft angesichts der Finanzkrise, die sich zur bisher größten Weltwirtschaftskrise ausweitet, vor dem Bankrott. Es ist an der Zeit, alte, erledigt geglaubte Fragen neu zu stellen. Zum Beispiel die, ob den Interessen der Arbeitnehmer mit einer Verstaatlichung gedient ist, die auf eine Inbesitznahme von in die Krise hineingezogenen -Unternehmen durch den weiter von Kapitalinteressen beherrschten Staat reduziert bleibt. Oder ob nicht mindestens eine Erweiterung der Rechte der Betriebsräte durchzusetzen ist, etwa im Sinne des hessischen Betriebsrätegesetzes vom Mai 1948. Das formulierte in einigen seiner Paragrafen Elemente einer über die bloße Mitbestimmung hinausweisenden betrieblichen Arbeiterkontrolle, wurde aber wie das nordrhein-westfälische Gesetz über die Sozialisierung des Kohlebergbaus ebenfalls von der Besatzungsmacht verboten. Damals hätten die Besatzer wohl nicht im Traum damit gerechnet, dass sie 60 Jahre später zu den Vorreitern der Bankenverstaatlichung gehören würden.
Der Historiker und Journalist Ulrich Breitbach lebt und arbeitet im Ruhrgebiet. Sein besonderes Interesse gilt der Geschichte sozialer Bewegungen sowie sozialpolitischen Themen
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.