Unmoralisch, immerhin

Bühne In Bremen wird Joachim Lottmanns Roman „Endlich Kokain“ etwas schlapp inszeniert
Ausgabe 18/2015

Als die anderen Kinder Sex und Drogen ausprobieren, schnell und gefährlich leben, vor allem: leben, da liest er und schreibt Briefe. Studium, Verbeamtung, ungeliebte Arbeit, Ehe und Scheidung folgen und setzen dem Leben des Stephan Braum ein Ende, bevor es recht beginnt. Und dick wird er darüber – bis er die Kokaindiät entdeckt.

Wie sich jemand sein Leben zurückerobert und dabei den – alternativlosen – Ruin riskiert, erzählt Joachim Lottmanns im vergangenen Jahr erschienener Roman Endlich Kokain. Pedro Martins Beja hat ihn nun in Bremen für die Bühne eingerichtet, und Lottmann selbst reiste an, um dem Ereignis beizuwohnen. Beja treibt einigen Aufwand: Eine halbdurchsichtige Wand trennt Publikum und Szene, auf mehrere Leinwände werden Gesichter in Großaufnahme projiziert, die Hamburger Band Zucker dreht sich um sich selbst und spielt eigens komponierte Songfragmente zwischen rotzigem Pop und schnoddrigem Wave.

Lottmanns Roman spart ja auch an nichts. Exzess, allerlei Prominenz, ein bis zur Kenntlichkeit verzerrtes Bild des Kunstmarkts – da sollte ein mindestens unterhaltsamer Abend drin sein. Dass es dabei erst einmal ganz postdramatisch zugeht, der Text in seiner Prosa belassen wird, wechselweise vorgetragen von einem in kinky Latexkleider gewandeten Trio, ist nicht besonders eindrücklich, doch verschmerzbar. Es herrscht ja auch im Leben Braums lähmender Stillstand. Matthieu Svetchine gibt den Protagonisten, ein apathisches Häuflein Mensch auf einem Stuhl, der Kamera verdanken wir tiefe Einsicht in seine gequälten Züge.

Es geschieht allerdings auch nicht sehr viel mehr, als er – endlich Kokain! – einen Weg aus seiner Lebenskrise gefunden hat. „Steh auf, du bist frei!“, raunt es neutestamentarisch. Und Braum kann mit einem Mal tanzen, flirten, Sex haben, verzückt gestehen: „Ich habe jetzt echte Freunde.“ Einer von ihnen ist der Kunststar Hölzl. Als der ins Koma fällt, nutzt Braum die Gelegenheit und beginnt nicht nur, Hölzl-Werke zu verkaufen, sondern arbeitet an neuen Hölzls. Was der nach seinem Erwachen gerne hinnimmt. Hauptsache, die Kohle stimmt.

Weiße Luftballons

Aber wo das Leben derart in Bewegung gerät, verirrt sich die Inszenierung im anspielungsreichen Bühnenraum. Und wo Lottmann mit Drive lustvoll auf dem Klischee surft, die Ausschweifung feiert, lässt Beja seinen Hauptdarsteller ziemlich allein. Das mag der Egomanie des Koksers entsprechen, aber die gut zwei Stunden werden darüber lang. Gewiss, es gibt gegen Ende noch einen ganz stoisch ins Werk gesetzten Bildwechsel: In einem Kuscheltierparadies sortiert Jiři Černý als Hölzl Stofftiere. Anschließend setzt Svetchine dort in einem langen Monolog zu einer atemlosen Schilderung der eskalierenden Orgie an, die Hölzl in seiner Hotelsuite feiert, bis er, Braum, schließlich in die Frühlingsluft hinaustritt und es weiße Luftballons regnet. Ein Happy End immerhin, dazu angenehm unmoralisch – und das Publikum fühlt erleichtert mit. Endlich aus.

Eher freundlich gerät der Premierenapplaus, der vor allem Svetchine gilt. Lottmann mag sich nicht äußern über den Abend. Er werde selbst darüber schreiben, natürlich unter Pseudonym. Eine typische Lottmann-Pointe, wie sie Bejas etwas zäher Inszenierung auch gut gestanden hätte.

Info

Endlich Kokain Regie: Pedro Martins Beja Theater Bremen, nächste Vorstellungen: 11. und 28. Mai, 20 Uhr

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