Uns bleibt nur die Flucht nach vorne

Zukunft der Grünen Sieben Thesen zum Beginn einer der vielleicht schwierigsten Phasen der Grünen in ihrer Geschichte

Nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen hat sich in der Bundsrepublik auf unbestimmte Zeit ein Fünf-Parteien-System etabliert. Schon werden die Grünen, hierin die alte FDP beerbend, als Scharnierpartei zur Mehrheitsbeschaffung in einer derzeit noch blockierten Republik gesehen. Die Partei wird sich dem kaum entziehen können – und steht so vor einer strategischen und inhaltlichen Zerreißprobe.

1. Das eigenständige Profil und die programmatische Unterscheidbarkeit von allen anderen Parteien haben oberste Priorität (Hier am Beispiel der Sozial- und Arbeitspolitik): Auch wenn die Grünen nach wie vor ein großes gemeinsames Wählerpotential mit der SPD aufweisen, so kann sich für die Partei die programmatische Abhängigkeit von einer ziel- und konzeptionslosen Sozialdemokratie als gefährlich erweisen. Die gefühlten oder rhetorischen Linksrucke bei der SPD überdecken nur Mühsam die Tatsache, dass sich die Sozialdemokratie noch nicht im Kopf und erstrecht nicht im Herzen vom überkommenen industriegesellschaftlichen Wohlfahrtsmodell samt der Mystifizierung von Lohnarbeit und Vollbeschäftigung am ersten Arbeitsmarkt verabschiedet hat. Den Preis, den die Sozialdemokratie für diesen Holzweg zu zahlen bereit ist, wurde im Schröder-Blair-Papier benannt: „Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit“. Lösen sich die Grünen nicht von diesem Dogma und den entsprechenden Fehlsteuerungen seit der Agenda2010, droht ihnen an der Seite der SPD die Dauerkrise. Zugleich kann dies nicht bedeuten, sich in dieser Frage der CDU oder FDP anzunähern (Kombilöhne, Sozialstaatsabbau). Das programmatische Potential für ein klar unterscheidbares Profil in der Sozial- und Arbeitspolitik im Rahmen der Globalisierung und des ökonomischen Umbruchs hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft schlummert bei den Grünen seit Jahrzehnten: Die Entkoppelung von (Grund-)Einkommen und (Lohn-)Arbeit. Zur Zeit allerdings wird es zugunsten einer vermeintlich notwendigen „Anschlussfähigkeit“ (siehe These 4) an die anderen Parteien (noch) unterdrückt.

2. Die Grünen müssen sich innerparteilich vom Zwei-Lager-Denken „Fundis“/„Realos“ endgültig verabschieden: Das einstige Unterscheidungskriterium Regierungswillen versus Fundamentalopposition ist längst obsolet. So nennen sich die einstigen Flügel auch heute „Linke“ und „Reformer“. Doch werden selbst in Reformerkreisen heute linke Politikansätze vertreten und bei den Linken reformistische Projekte. Die Wahrheit der Partei in der Nach-Fischer-Ära ist längst eine andere. Sie besteht in der Notwendigkeit einer (erneuten) Zusammenführung der in der Partei vertretenen Grundströmungen: Linke, (Wert-)Konservative und (Menschen- und Bürgerrechts-)Liberale und dies unter gänzlich neuen gesellschaftlichen Bedingungen. Hierin unterscheidet sich die neue Aufgabe der Grünen im Grunde nicht von der alten, denn auch die Grundsäulen der Partei – ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei – waren ein Kompromiss, der die politischen Grundströmungen in der aufgewühlten Gründungsphase zusammengeführt hat. Dennoch wird ein neuer Kompromiss nicht weniger schwierig vonstatten gehen als der alte, denn die gesellschaftliche Hegemonie des Neoliberalismus (vor allem in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik) und des Neokonservativismus (vor allem in der Außenpolitik) ist auch an den Grünen nicht spurlos vorüber gegangen. Diese beruhen aber auf ideologischen und kaum kompromissfähigen Grundeinstellungen. Und nicht jeder Neoliberale bei den Grünen ist wie Oswald Metzger gewillt, die Partei in Richtung Union zu verlassen, nicht jeder Neokonservative versteht bisher die Bedeutung seiner Niederlage vom Göttinger Sonderparteitag. Die zur Überlebensfähigkeit notwendige Neuaufstellung, die einst mit dem Weggang der nicht kompromissfähigen dogmatischen Ökosozialisten erfolgte, steht der Partei heute in veränderter Form wieder bevor. Dem endgültigen Grenzen setzen nach links muss nun ein ebensolches Grenzen setzen nach rechts folgen. Geschieht dies nicht, droht angesichts sich abzeichnender neuer Regierungsbündnisse (siehe These 4) die Spaltung der Partei.

3. Die Grünen brauchen neue politische Projekte, die die Strömungen in der Partei zusammenführen und die zugleich neue Wählerschichten erschließen:

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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