Unsensibel den Jubel gesichert

Die Doytçe Mit seinem Maulheldentum hat Böhmermann Erdoğan neue Munition für seine Gegner geliefert
Ausgabe 16/2016
Darf Satire alles? Klar darf sie das. Wenn es Satire ist
Darf Satire alles? Klar darf sie das. Wenn es Satire ist

Bild: Mathis Wienand/ Getty Images

Nein, ich fühle mich von Jan Böhmermanns Ziegenficker-Gedicht nicht beleidigt. Ich sage das, weil ich jetzt öfter danach gefragt werde und deshalb will ich es jetzt hier auch noch mal öffentlich sagen. Meine erste Ziegenfickerin-Zuschrift habe ich vor etwa acht Jahren bekommen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, den Absender anzuzeigen. Ich antwortete und erklärte ihm, dass ich beim Sex Männer bevorzuge. Freundlichkeit ist die höchste Form der Verachtung. Das hätte jemand dem türkischen Staatspräsidenten verraten sollen. Und ja, ich finde seine Reaktion mehr als irritierend. Irgendwie schäme ich mich sogar ein wenig, diesen türkischen Hintergrund zu haben, der gerade monströs in den Vordergrund gerät. Ich hätte nichts dagegen, ihn für einige Zeit einfach einzulagern, bis die ganze Sache vorbei ist.

Ich mache mir ganz andere Sorgen. Viele Leute steigen gerade ungehemmt auf diesen Satire-Zug. Ziegenficker-Gedichte geistern in einem Maße durch das Internet wie früher süße Katzenfotos. Was Böhmermann geschafft hat, ist, dass sich jetzt jeder sicher fühlt, auch eine Runde zu beleidigen. Hey, ist ja alles nur Satire.

Die Türkin in mir sagt, was fällt dem Böhmermann ein, derart bescheuert Öl in die Auseinandersetzung mit dem kruden Demokratieverständnis des Herrn Erdoğan zu gießen? Sein Schenkelklopfer-Gedicht belustigt sowieso nur die, denen alles recht ist, was gegen Muslime im Allgemeinen und Türken im Speziellen geht. Ich bin weder AKP-Fan noch Erdoğan-Unterstützer. Aber so blöd bin ich auch nicht, dass ich nicht merken würde, wie man Recep Tayyip Erdoğan gleichsetzt mit der Türkei und den Türken, obwohl die Hälfte der Bevölkerung gegen ihn ist.

Die Sendung Extra3 hat genau das übrigens zum Anlass genommen, um Erdoğan zur Musik von Nena zu betexten. Das war klug, wahr und ist entlang dessen, was ich empfinde. Darf Satire alles, fragt sich Deutschland. Klar darf sie das. Wenn es Satire ist. Satire bedeutet aber auch Verantwortung. Bei Extra3 wurden Menschenrechtsverletzungen und Verletzung der Pressefreiheit in der Türkei satirisch thematisiert. Es gab einen Erkenntnisgewinn. Mit der Hilfskonstruktion, wir zeigen jetzt mal, was wir nicht sagen dürfen, mag Böhmermann juristisch im Trockenen sein, aber den Mehrwert kann ich dabei nicht erkennen. „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ ist auch eine beliebte Variante, die rechtssicher scheint.

Jan Böhmermanns Gedicht war unausgegoren und darüber hinaus auch dämlich. Die Deutsche in mir sagt, dass man Erdoğan inhaltlich, ideologisch und verfassungsrechtlich kritisieren und entlarven muss. Dass Böhmermann ihm jetzt so in die Hände spielt und Erdoğan sich zu Hause als Opfer inszenieren kann, ist eine Ohrfeige für diejenigen, die seit Jahren gegen seine Willkür kämpfen. Gerade in Anbetracht der Journalisten und Bürgerrechtler, die in Gefängnissen sitzen und einer staatlich kontrollierten Justiz ausgeliefert sind. Natürlich wünsche ich mir, dass Erdoğan keinen der Prozesse gewinnt. Aber, was dann? Freuen wir uns dann alle zusammen, dass wir Türken dann Ziegenficker nennen dürfen? Ganz ironisch natürlich. Mit seinem Maulheldentum hat Böhmermann Erdoğan nur neue Munition für seine Gegner geliefert. Der Elefant im politischen Porzellanladen ist nicht mehr der Teutone mit Weltmachtsfantasie. Es ist der Satiriker, der sich unsensibel den Jubel sichert.

Hatice Akyün ist deutsche Schriftstellerin mit türkischen Wurzeln. Als Die Doytçe schreibt sie für den Freitag regelmäßig über ihr Leben mit zwei Kulturen

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden