Nein, ich fühle mich von Jan Böhmermanns Ziegenficker-Gedicht nicht beleidigt. Ich sage das, weil ich jetzt öfter danach gefragt werde und deshalb will ich es jetzt hier auch noch mal öffentlich sagen. Meine erste Ziegenfickerin-Zuschrift habe ich vor etwa acht Jahren bekommen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, den Absender anzuzeigen. Ich antwortete und erklärte ihm, dass ich beim Sex Männer bevorzuge. Freundlichkeit ist die höchste Form der Verachtung. Das hätte jemand dem türkischen Staatspräsidenten verraten sollen. Und ja, ich finde seine Reaktion mehr als irritierend. Irgendwie schäme ich mich sogar ein wenig, diesen türkischen Hintergrund zu haben, der gerade monströs in den Vordergrund gerät. Ich hätte nichts dagegen, ihn für einige Zeit einfach einzulagern, bis die ganze Sache vorbei ist.
Ich mache mir ganz andere Sorgen. Viele Leute steigen gerade ungehemmt auf diesen Satire-Zug. Ziegenficker-Gedichte geistern in einem Maße durch das Internet wie früher süße Katzenfotos. Was Böhmermann geschafft hat, ist, dass sich jetzt jeder sicher fühlt, auch eine Runde zu beleidigen. Hey, ist ja alles nur Satire.
Die Türkin in mir sagt, was fällt dem Böhmermann ein, derart bescheuert Öl in die Auseinandersetzung mit dem kruden Demokratieverständnis des Herrn Erdoğan zu gießen? Sein Schenkelklopfer-Gedicht belustigt sowieso nur die, denen alles recht ist, was gegen Muslime im Allgemeinen und Türken im Speziellen geht. Ich bin weder AKP-Fan noch Erdoğan-Unterstützer. Aber so blöd bin ich auch nicht, dass ich nicht merken würde, wie man Recep Tayyip Erdoğan gleichsetzt mit der Türkei und den Türken, obwohl die Hälfte der Bevölkerung gegen ihn ist.
Die Sendung Extra3 hat genau das übrigens zum Anlass genommen, um Erdoğan zur Musik von Nena zu betexten. Das war klug, wahr und ist entlang dessen, was ich empfinde. Darf Satire alles, fragt sich Deutschland. Klar darf sie das. Wenn es Satire ist. Satire bedeutet aber auch Verantwortung. Bei Extra3 wurden Menschenrechtsverletzungen und Verletzung der Pressefreiheit in der Türkei satirisch thematisiert. Es gab einen Erkenntnisgewinn. Mit der Hilfskonstruktion, wir zeigen jetzt mal, was wir nicht sagen dürfen, mag Böhmermann juristisch im Trockenen sein, aber den Mehrwert kann ich dabei nicht erkennen. „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ ist auch eine beliebte Variante, die rechtssicher scheint.
Jan Böhmermanns Gedicht war unausgegoren und darüber hinaus auch dämlich. Die Deutsche in mir sagt, dass man Erdoğan inhaltlich, ideologisch und verfassungsrechtlich kritisieren und entlarven muss. Dass Böhmermann ihm jetzt so in die Hände spielt und Erdoğan sich zu Hause als Opfer inszenieren kann, ist eine Ohrfeige für diejenigen, die seit Jahren gegen seine Willkür kämpfen. Gerade in Anbetracht der Journalisten und Bürgerrechtler, die in Gefängnissen sitzen und einer staatlich kontrollierten Justiz ausgeliefert sind. Natürlich wünsche ich mir, dass Erdoğan keinen der Prozesse gewinnt. Aber, was dann? Freuen wir uns dann alle zusammen, dass wir Türken dann Ziegenficker nennen dürfen? Ganz ironisch natürlich. Mit seinem Maulheldentum hat Böhmermann Erdoğan nur neue Munition für seine Gegner geliefert. Der Elefant im politischen Porzellanladen ist nicht mehr der Teutone mit Weltmachtsfantasie. Es ist der Satiriker, der sich unsensibel den Jubel sichert.
Kommentare 8
egal, wo man geboren wurde: für die regierung, die staats-führung soll man sich nicht schämen.
ärgern: ja, weil man sie noch nicht abgeschafft hat.
ärgern tu ich mich auch, weil ich als satire-begeisterter
die b-leidigungen von b-männern
aus dem geliebten allerlei-topf
herausfischen muß. oder:
bei tisch sagte meine hoch-angesehene tante öfters statt:
das schmeckt nicht: das hat keinen geschmack.
Was Böhmermann geschafft hat, ist, dass sich jetzt jeder sicher fühlt, auch eine Runde zu beleidigen. Hey, ist ja alles nur Satire.
Das ist auch meine Befüchtung, dass - im richtigen Passepartout - alles doch noch gesagt werden dürfen wird und das dann "mutige"Satire heißt .
Und - wenn auch viele sagen, es sei doch um Merkel und Erdogan gegangen, so denke ich eher. Das Thema war immer:
Böhmermi, Böhmerma, Böhmermann.
Es gibt Dinge und Zusammenhänge, die man nur versteht, wenn man Abstand nimmt - oder gar von oben überschaut. Erhebt man sich ein wenig über den Lärm der Böhmerei, wird sie ganz klein ... und leiser, und dann kann man auch darüber lachen, ein wenig jedenfalls. (Nicht spöttisch, nur ein wenig heiter - beinahe ein wenig überheblich - aber nur fast.) Etwas mehr schon darüber, daß der gerahmte Text einen so unproportional großen Sturm hervorrief. Und dann über die, die diesen Sturm befeuerten, weil sie etwas Gerahmtes nicht von etwas Realem unterscheiden konnten. Dann gab's natürlich noch die Streitwilligen, die's nicht unterscheiden wollten. Desto schlimmer für sie.
Jeder, der sich diesen Schuh anzog und meinte, alle Umstehenden für den ganz gemeinen, niedrig gesinnten Schuhmacher halten zu können, ruft dann allerdings mein Mitleid hervor. Was soll man von jemandem halten, der mir zuruft: "Ha, jetzt sehe ich es ganz genau - Du hast mich schon immer für einen Ziegenficker gehalten!" und dann sogleich alle Deutschen für von ihm Vermutetes in Haftung nimmt? Diese und viele andere Unverständige rufen bei mir ein stummes Stoßgebet zu den guten himmlischen Mächten hervor: "Schickt Hirn vom Himmel!" und versuche durch einen ehrlichen freundlichen Blick den Eindruck hervorzurufen, daß ich Betreffende/n durchaus nicht mißachte. Denn wer sagt denn, daß ich nicht auch ein Quentchen von dem Hirn gut brauchen kann - und ich mir dessen bewußt bin? Im Übrigen: Die wenigen Ziegenficker, die es vielleicht gibt, gibt's hier nicht - und wenn doch - wie sollte ich sie erkennen? Und wollte ich das? Nein.
Begegnet mir in diesem summenden Haufen jedoch ein freundlich-friedlich besonnen Blickender, der weder sich noch schlechte Karikaturen im Rahmen allzu ernst nimmt, und stattdessen verzeihend und entspannt auf Böhmermann und seine vermeintlichen Opfer blickt, so denke ich (und freue mich darüber), daß wir, die Menschheit, am Ende gegen den Wahn vielleicht doch noch eine Chance hat.
Und was ist das, was Gauck als Realpolitiker-Zynismus bietet?
"Gauck pochte auf verbindliche europäische Vereinbarungen für die Aufnahme von Flüchtlingen. Notwendig sei eine faire Entscheidung darüber, wer welche Flüchtlinge aufnehme. «Wir brauchen legale Zugangswege, wenn wir unsere Grenzen schützen, für diejenigen, die ein Anrecht haben, bei uns Asyl zu erhalten oder für diejenigen, die wir haben wollen, weil sie uns helfen.» Zugleich gehöre es auch zur Sicherung der Grenzen, dass Menschen abgewiesen würden. Dies müsse aber in menschlicher Weise erfolgen. «Das ist ja dann etwas anderes, als wenn wir praktisch wegschauen, wenn Leute elendig im Meer ertrinken», sagte Gauck."
Praktisch aussortieren und wegschicken ist auch anders als Wegschauen. Das kann ihm aber nicht passieren, er schaut erst gar nicht hin!
Und noch ein Schmankerl des "sensiblen" Pastors Gauck:
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/04/25/gauck-deals-auch-mit-staaten-die-menschenrechte-anders-
Seltsam. Las ich nicht kürzlich erst, es sei das Kennzeichen der "Linken", dass sie in Zusammenhängen denke? Wenn das so ist: Warum setzt dieses Denken bei der leidigen Böhmermann-Debatte dann so vollständig aus?
Als ob es nur um das Gedicht ginge, von dem die Studienräte in allen Foren zu sagen wissen, dass es schlicht gedichtet und im Versmaß fehlerhaft sei. Schon, dass dieses Gedicht in einen Kontext eingebettet ist, der daraus ein Lehrstück über die Grenzen von Satire macht, wird gerne vergessen oder klein geredet. Aber der Zusammenhang ist ja noch viel größer, in die Vergangenheit wie in die Zukunft:
In die Vergangenheit: Ist etwa schon vergessen, was voranging? Dass Ayιp Erdoğan einen Botschafter einbestellte (!) wegen eines harmlosen Satireliedchens? Und dass die Bundesregierung zu diesem Affront schwieg? Dass also Böhmermanns Beitrag die logische Antwort auf diese Überreaktion auf der einen und Unterreaktion auf der anderen Seite war? Wer die ganze Debatte auf den Ziegenficker reduziert, tut so, als hätte es die Vorgeschichte nie gegeben.
Zukunft: Die Folgen geben Böhmermann Recht. Das gemütliche deutsche Feuilleton, das sich damit abgefunden hat, in allem Wortreichtum wirkungslos zu sein, ist vor lauter Neid vielleicht blind dafür. Aber Böhmermann hat das geschafft, wozu Satire eigentlich da ist: Er hat die Mächtigen geärgert. Er hat weh getan. Er hat Wirkung gezeigt. Er hat mit einem schlechten Gedicht die Obrigkeitshörigkeit und Feigheit der deutschen Regierung entlarvt. All das geschafft zu haben - allein das schon gibt ihm nachträglich Recht.
Nachsatz: Aber dass die deutsche Linke - vor Akyün ja schon Augstein und Albrecht Müller auf den NDS - diese Zusammenhänge ausblenden und lieber Merkel für ihre feige Entscheidung zur Strafverfolgung bejubeln - das erinnert mich mal wieder daran, dass man als Anarchist der Linken nie vollständig trauen darf. Am Ende glaubt sie halt doch an Recht und Ordnung.
Interessanterweise wurde in England ein Wettbewerb ausgelobt, das beleidigendste Erdogan Gedicht zu verfassen: http://blogs.spectator.co.uk/2016/04/introducing-the-president-erdogan-offensive-poetry-competition/
Wenn es kein anderes Mittel gibt, diesen Kerl anzugehen, ja dann eben mit solchen Mitteln. Herrlich die Vorstellung der Gerichtsverfahren, in denen evtl. Beweisanträge gestellt werden, waren es Verunglimpfungen übelster Art oder gar Tatsachenbehauptungen, wer weiß denn was über die Sexualpraktiken des Herrn Erdogan? Vielleicht wurden dem Böhmermann ja intime Details zugetragen...Da können sich noch ganz unglaubliche Entwicklungen ergeben, Erdogan wird auf Jahre hinaus keine Freude mehr haben, die deutsche Justiz wird gnadenlos aufklären es werden herrliche Zeiten für Kabarett und Satire anbrechen...nur, wann kommt ein Gedicht auf den remote-control-killer Obama, auf Merkel, auf eine andere der vielen dämlichen Figuren die die Regierungen der Welt bevölkern?
Ich glaube, die Autorin nimmt das ganze zu persönlich und sieht einiges wie die, die sie kritisiert.
Manche Deutsche sagen: Die Türken. Sie sagt: Wir Türken.
Es geht um etwas ganz anderes. Böhmermann hat keine Munition geliefert. Er hat gezeigt, daß jemand daraus Munition machen kann und andere ihn gewähren lassen. Aufgezeigt wurde die Schwäche der EU, der deutschen Regierung. Die Heuchelei.
Im Gegensatz zur sonstigen Satire hat er es geschafft, die Realpolitik in seine Satire einzubinden. Wann hat schon einmal die internationale Politik bei einer Satiresendung mitgespielt?
Er hat vielen den Spiegel vorgehalten und die wahren Sachverhalte offengelegt bzw. die Politik hat sich selbst entlarvt.
Ob das beabsichtigt war ist eher zweitrangig. Es hat funktioniert.