Unser aller Friede

Anschlag in Kabul Wofür eigentlich stehen deutsche Soldaten in Afghanistan?

Das alte Europa wird auf die Bedürfnisse eines neuen Imperialismus eingeschworen, der erfolgsversessen genug ist, dass ihn die eigenen Leichen nicht stolpern machen. So kann Verteidigungsminister Struck (SPD) kaum wirklich an die Sicherheit "seiner" Soldaten in Afghanistan, im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, in Usbekistan, Kuwait, Dschibuti, Kenia und Georgien, im Indischen Ozean und im Mittelmeer gedacht haben, als er nach dem Anschlag in Kabul die Erklärungen der dortigen Regierung übernahm. Alles deutet auf einen Anschlag von al Qaida, sagte Verteidigungsminister Mohammed Fahim. Alles deutet auf einen Anschlag von al Qaida, wiederholte Struck.

Man versichert sich des gemeinsamen Feinds. Man hält als Schutzmacht und Mündel die aufeinander ausgestellten Versicherungspolicen hoch und schließt die Reihen. Man betreibt ein politisches Nullsummenspiel und rechnet schon mit dem nächsten Attentat. Struck hätte auch fragen können, warum es "diesen Gegner" noch gibt. Warum offenbar niemand mehr nach dem einstigen Taleban-Führer Mullah Omar sucht. Warum Osama bin Laden Videos produziert. Warum überall in Afghanistan Warlords unbehelligt ihre Hausarmeen unterhalten. Warum Mudschaheddin-Führer Gulbuddin Hekmatyar vom Vorstoß auf Kabul redet. Für einen deutschen Verteidigungsminister mögen diese Fragen heikel sein, für die Soldaten im ISAF-Bestand sind sie existenziell.

Der neue Imperialismus hat sich mit dem terroristischen Mob eine Kreatur geschaffen, auf die er um seiner selbst willen angewiesen ist - der Eine spiegelt sich im Anderen, um erkennbar zu sein. So ist ein neuer, nicht aussichtsloser Anti-Imperialismus entstanden, der als Gegner schwach, als Kombattant brutal, als Kronzeuge einer Neuen Weltordnung aber stark ist.

Dem Anschlag von Kabul am 7. Juni ging das Frühjahrstreffen der NATO-Außenminister am 3. Juni in Madrid voraus, das ein "gemeinsames Engagement der Allianz in Afghanistan und im Irak" beschlossen hatte und für August ein eigenes Hauptquartiers in Kabul ankündigte, welches den Oberbefehl der ISAF-Truppen übernimmt. Dies wurde nachdrücklich mit der "Out-of-Area-Doktrin" begründet, zu jeder Zeit und an jedem Ort weltweit zu intervenieren, wenn es die "gemeinsame Sicherheit" verlangt. Auf Afghanistan bezogen findet sich damit der nach dem 11. September 2001 erklärte Bündnisfall extensiver als je zuvor ausgelegt. Die NATO wechselt von partieller Assistenz der USA zu vollwertiger Aktion, um das Operationsfeld über Kabul hinaus ausdehnen zu können. Nicht zufällig ist seit Wochen von einer möglichen Dislozierung der Bundeswehr in den Raum Herat - an der Grenze zu Iran - die Rede. Welche Tragweite eine solche Präsenz hätte, sollten die USA ihren militärischen Druck auf Teheran erhöhen, steht außer Frage.

Die Beschlüsse von Madrid deuten darauf hin, dass und wie die NATO - unter aktiver deutscher Beteiligung - zur imperialen Nachhut avanciert, die überall dort gefragt ist, wo "gescheiterte Staaten" (Die Welt) abgeschafft und auf unbestimmte Zeit durch Protektorate ersetzt werden wie im Kosovo, in Afghanistan, im Irak. Die Allianz darf Territorien absichern, denen das Selbstbestimmungsrecht entzogen ist, um sie einem Besatzungsregime zu unterwerfen. Das Völkerrecht hält dafür (noch) den Begriff Okkupation bereit und Widerstand dagegen für legitim. Womit wir wieder beim Fall Afghanistan wären.

Wofür stehen dort die deutschen Soldaten? Die Ziele des neuen Imperialismus sind von solcher Beschaffenheit, dass dafür kaum jemand als Einzelperson sein Leben hergeben würde. Sie haben "unsere Freiheit" gesichert, wird den Toten hinterher gerufen. Das mag zutreffen, ist die Freiheit eines globalen Krieges gemeint, sich reproduzieren und vervielfältigen zu können. Aus sich selbst, aus der Schlachtordnung mit dem Terror heraus. Und unser aller Friede? "Was wird aus dem Loch, wenn der Käs gefressen ist", fragt der Feldprediger in Brechts Mutter Courage, als es darum geht, wie man dem damaligen Krieg, dem immerhin Dreißigjährigen, "aus dem Dreck" helfen soll.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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