Tara Chace ist Agentin des britischen Geheimdienstes SIS. Eine Topkraft, „Minder One“ genannt. Sie ist im operativen Einsatz, sie erledigt das, was ihre Vorgesetzten aus realpolitischen Gründen erledigt haben wollen. Das ist nie schön, meistens blutig. Wenn sich die (bündnis-)politische Großwetterlage dreht, dann ändern sich auch blitzschnell die Vorzeichen von Freund und Feind. Das kann auch passieren, wenn es innenpolitische Verwerfungen gibt, Machtkämpfe innerhalb der Regierung, die auf die Personalpolitik der Geheimdienste Einfluss haben.
So etwas passiert Chace, als sie in Usbekistan eine ziemlich alberne Operation durchziehen soll, um einen anscheinend weniger scheusaligen Diktatorensohn gegen seine machtgierige Schwester als Nachfolger des amtierenden Scheusals zu positionieren. Die Operation, die tückischer ist als Chace und die Leser erwarten, endet im Gemetzel. Chace selbst wird arg angezählt und gefoltert. Wieder genesen, macht sie sich auf, um ihren privaten Rachefeldzug durchzuziehen, nicht ahnend, dass auch andere ihre Privatsuppe an diesem neuralgischen Punkt der Welt kochen: An der Grenze zu Afghanistan, zu Tadschikistan, mittendrin im Schlamassel der verfahrenen Großmachtpolitik.
Tara Chace ist die Heldin des amerikanischen Romanciers und Comic-Szenaristen Greg Rucka und hat in dem aktuellen Roman Ein Job in Taschkent ihren zweiten, Auftritt, der weitaus gelungener ist als im Erstling Dschihad. Rucka hat die Figur der effektiven Agentin, eine Art moderne, ultraharte Modesty Blaise ohne versöhnliche Aspekte, als Action-Heldin aus den Schablonen der Lara-Croft-Ästhetik herausgeholt und in die Realpolitik unserer Tage hinein montiert. Das funktioniert prächtig, weil hoher Unterhaltungswert, eine starke Frauenfigur und politische Klarsicht hier erfreulich zusammenspielen.
Und weil Rucka an eine wichtige Tradition des Polit-Thrillers anknüpft: Realpolitik ist ein opportunistisches, manchmal auch verräterisches Geschäft. Seit John le Carrés Spion, der aus der Kälte kam (1963) wird diese Tatsache immer wieder im Medium des Polit-Thrillers diskutiert. Die machiavellistische Politik opfert, wenn nötig, ihre eigenen Leute, um geringster Vorteile willen. Daran schließt sich, wie hier bei Rucka, eine meist böse Analyse, eine satirische Attacke oder eine harsche Kritik der Verlogenheit westlicher Politik an. Weil Usbekistan ein geostrategisch wichtiges Stückchen Erde ist, muss auch die Linie der Bush-Regierung exekutiert werden – wir arbeiten mit jeder Art von Scheusal zusammen, Hauptsache es ist „unser“ Scheusal.
Seit le Carrés Zeiten haben Polit-Thriller immer wieder gegen solchen Wahnsinn angeschrieben – eine Linie, die sich bis in die derzeitige Renaissance des nach dem Kalten Krieg nur vermeintlich abgewickelten Genres durchzieht. Und die mit Greg Rucka jetzt einen Autor hat, der aus dem immer gefährdeten und bedrohten Helden eine Heldin macht, ohne in die Damsel-in-distress-Falle zu laufen. Tara Chace agiert höchst robust, gewalttätig und sexuell autonom – Eigenschaften, die sie auch mit ein paar Figuren aus Greg Ruckas Comic-Universum teilt. Ein Universum starker Frauen aus männlicher Perspektive. Das ist bemerkenswert.
Ein Job in Taschkent (Private Wars, 2005) Greg Rucka. Roman. Deutsch von Philipp Stern. dtv, München 2009, 428 S., 9,95
Kommentare 2
Sehr schöne Rezi (auch wenn ich einige Ansichten nicht ganz teile), mit einem leider doch recht erheblichen Schnitzer (und ich meine nicht das seltsam verirrte Komma):
"Tara Chace ist die Heldin des amerikanischen Romanciers und Comic-Szenaristen Greg Rucka und hat in dem aktuellen Roman Ein Job in Taschkent ihren zweiten, Auftritt, "
Tatsächlich ist es bereits der zehnte Auftritt von Tara Chace, auch wenn dtv. das in seinem Klappentext verschweigt. Chace wurde von Rucka als Hauptheldin der Thrillerserie "Queen Country" erfunden (die von mir übersetzt wurde). Von der Serie liegen insgesamt acht Bücher vor. Die Sache ist etwas komplex: die Bände 1 - 8 von "Queen Country" sowie der Roman "Dschihad" sind zwar jeder für sich eigenständig, bilden aber im Grunde einen durchgängigen Handlungsbogen, der sich mit dem langsamen psychischen Zerfall von Tara Chace an den Alltäglichkeiten des modernen Agentengeschäftes beschäftigt. Dabei spielt "Dschihad" zwischen Band 7 und Band 8 von "Queen Country".
Der vorliegende Roman "Ein Job in Taschkent" kann dagegen eher als eine Art Nachklapp/ Epilog gesehen werden, spielt er doch zwei Jahre nach den ersten insgesamt neun Büchern.
Informationen zu "Queen Country" beim Verlag:
moderntales.de/queen-and-country
Hier lässt sich in Band 8 hineinschauen:
mycomics.de/digital/crime/queen-country-operation-red-panda-bd-8.html
Mit freundlichen Grüßen,
Stefan Pannor/ www.pannor.de
Die zehn Auftritte von Tara Chace beziehen sich auf ihre Comic-Persona, hier wurde der 2. Roman besprochen, der auf dt. vorliegt, also der 2. Auftritt der Roman-Persona von Tara Chace auf dem deutschen Buchmarkt. Für meine Argumentation an dieser Stelle, soweit sie diesen Roman betrifft ist das auch ausreichend, mehr brauche hier für diesen Aspekt nicht. Denn die Crime Watch ist eine Kolumne für die Print-Ausgabe mit 3.500 Zeichen Limit. Wie das komplex so ist, mit Tara Chace und anderen Frauen aus "Ruckas Universum", kann man vielleicht bald unter einem anderen Fokus nachlesen; zumal ich den guten Greg Rucka in meiner Metro-Herausgeberzeit mit seinem Prosawerk auf dem Tisch hatte, aber aus diversen Gründen nicht "gemacht" habe. Aber natürlich freut mich Ihre philologische Akkuratesse, lieber Herr Pannor, und ich bitte für meine abgekürzte Darstellung um Verständnis ...
Beste Grüße
TW