Unser Scheusal

Wörtches Crime Watch N° 148 Geopolitik und toughe Agentinnen: In der neuesten Folge seiner Krimi-Kolumne bespricht Thomas Wörtche Greg Ruckas bemerkenswerten Polit-Thriller "Ein Job in Taschkent".

Tara Chace ist Agentin des britischen Geheimdienstes SIS. Eine Topkraft, „Minder One“ genannt. Sie ist im operativen Einsatz, sie erledigt das, was ihre Vorgesetzten aus realpolitischen Gründen erledigt haben wollen. Das ist nie schön, meistens blutig. Wenn sich die (bündnis-)politische Großwetterlage dreht, dann ändern sich auch blitzschnell die Vorzeichen von Freund und Feind. Das kann auch passieren, wenn es innenpolitische Verwerfungen gibt, Machtkämpfe innerhalb der Regierung, die auf die Personalpolitik der Geheimdienste Einfluss haben.

So etwas passiert Chace, als sie in Usbekistan eine ziemlich alberne Operation durchziehen soll, um einen anscheinend weniger scheusaligen Diktatorensohn gegen seine machtgierige Schwester als Nachfolger des amtierenden Scheusals zu positionieren. Die Operation, die tückischer ist als Chace und die Leser erwarten, endet im Gemetzel. Chace selbst wird arg angezählt und gefoltert. Wieder genesen, macht sie sich auf, um ihren privaten Rachefeldzug durchzuziehen, nicht ahnend, dass auch andere ihre Privatsuppe an diesem neuralgischen Punkt der Welt kochen: An der Grenze zu Afghanistan, zu Tadschikistan, mittendrin im Schlamassel der verfahrenen Großmachtpolitik.

Tara Chace ist die Heldin des amerikanischen Romanciers und Comic-Szenaristen Greg Rucka und hat in dem aktuellen ­Roman Ein Job in Taschkent ihren zweiten, Auftritt, der weitaus gelungener ist als im Erstling Dschihad. Rucka hat die Figur der effektiven Agentin, eine Art moderne, ­ultraharte Modesty Blaise ohne versöhnliche Aspekte, als Action-Heldin aus den Schablonen der Lara-Croft-Ästhetik herausgeholt und in die Realpolitik unserer Tage hinein montiert. Das funktioniert prächtig, weil hoher Unterhaltungswert, eine starke Frauenfigur und politische Klarsicht hier erfreulich zusammenspielen.

Und weil Rucka an eine wichtige Tradition des Polit-Thrillers anknüpft: Realpolitik ist ein opportunistisches, manchmal auch verräterisches Geschäft. Seit John le Carrés Spion, der aus der Kälte kam (1963) wird diese Tatsache immer wieder im Medium des Polit-Thrillers diskutiert. Die machiavellistische Politik opfert, wenn nötig, ihre eigenen Leute, um geringster Vorteile willen. Daran schließt sich, wie hier bei Rucka, eine meist böse Analyse, eine satirische ­Attacke oder eine harsche Kritik der Verlogenheit westlicher Politik an. Weil Usbekistan ein geostrategisch wichtiges Stückchen Erde ist, muss auch die Linie der Bush-­Regierung exekutiert werden – wir arbeiten mit jeder Art von Scheusal zusammen, Hauptsache es ist „unser“ Scheusal.

Seit le Carrés Zeiten haben Polit-Thriller immer wieder gegen solchen Wahnsinn angeschrieben – eine Linie, die sich bis in die derzeitige Renaissance des nach dem Kalten Krieg nur vermeintlich abgewickelten Genres durchzieht. Und die mit Greg Rucka jetzt einen Autor hat, der aus dem immer gefährdeten und bedrohten Helden eine Heldin macht, ohne in die Damsel-in-distress-Falle zu laufen. Tara Chace agiert höchst robust, gewalttätig und sexuell autonom – Eigenschaften, die sie auch mit ein paar Figuren aus Greg Ruckas Comic-Universum teilt. Ein Universum starker Frauen aus männlicher Perspektive. Das ist bemerkenswert.


Ein Job in Taschkent (Private Wars, 2005) Greg Rucka. Roman. Deutsch von Philipp Stern. dtv, München 2009, 428 S., 9,95

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