Frauen besitzen ein kompliziertes Verhältnis zu Make-up. Zu viel, und man wird auf der Straße für Freiwild gehalten. Doch kaum traut frau sich mal ohne Abdeckcreme vor die Haustür, wird sie für müde oder kränklich erklärt. Noch komplizierter wird es, wenn die Öffentlichkeit über Frauen, die gern Make-up tragen, urteilt. Das haben uns in letzter Zeit gleich zwei prominente Beispiele gelehrt, die durch die Presse gegangen sind und für Wirbel gesorgt haben. Auf der einen Seite überraschte die international gefeierte Popsängerin Alicia Keys mit der Ansage, künftig komplett auf Schminke verzichten zu wollen. Auf der anderen Seite wurde die international gefeierte Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie vor kurzem zum Werbeg
begesicht einer globalen Kosmetikmarke ernannt. Seit November ist die gebürtige Nigerianerin das Gesicht der Kosmetik-und-Hautpflege-Marke No7 der britischen Drogeriekette Boots.Hobby ist nicht gleich HobbyDie Aufregung war groß. Eine Intellektuelle und noch dazu bekennende Feministin, die Werbung macht für Make-up! Das passt nicht in unser Weltbild von der gefallsüchtigen Schminktussi, das Adichie in einem kürzlich gegebenen Interview charmant außer Kraft setzte: „Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal machen würde. Aber ich möchte auch die Botschaft vertreten, dass Frauen, die Make-up mögen, trotzdem wichtige und ernste Sachen in ihrem Leben machen können. Dass das beides zusammen existieren kann, dass Frauen vielfältig sind. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir endlich die lächerliche Vorstellung verwerfen, eine ernstzunehmende Frau dürfe sich nicht um ihr Aussehen kümmern.“Es ist fast so, als hätten Keys und Adichie die Rollen getauscht. Von Ersterer erwartet man geradezu, dass sie sich den Standards einer Industrie unterwirft, die dafür bekannt ist, nicht gerade zimperlich mit Frauen umzugehen, von Letzterer, dass sie aufgrund ihres Intellekts naserümpfend drübersteht. Dass diese Annahme ziemlicher Quatsch ist, machte Adichie bereits 2013 in ihrem inzwischen millionenfach angeklickten TED-Talk We Should All Be Feminists klar. In diesem bezeichnete sie sich selbst als „glückliche, afrikanische Feministin, die Männer nicht hasst, Lipgloss mag und gern High Heels trägt“.Trotzdem wird im Alltag auffälliges Make-up bis auf wenige Ausnahmen – wie etwa rote Kussmünder – nach wie vor eher kritisch beäugt. Gefragt ist aktuell ein eher natürlicher „Nude-Look“, der so aussieht, als wäre man gar nicht geschminkt. Der sogenannte No-Make-up-Look, der in Wahrheit so viel schwieriger zu bewerkstelligen ist, als es nach außen den Anschein hat. Deshalb schlägt Make-up-Addicts wie Kim Kardashian, die morgens allein schon für ihr Make-up volle zwei Stunden braucht, regelmäßig in sozialen Foren so viel Hass entgegen, während Alicia Keys von der Presse dafür gefeiert wurde, künftig auf Make-up verzichten zu wollen.Die Botschaft dahinter ist klar: Wer sich intensiv mit der Verschönerung des eigenen Ichs beschäftigt, gilt als oberflächlich und stupide. Dafür reicht schon ein Blick in die Kommentarspalten diverser Beauty-Tutorials auf Youtube oder Snapchat: Weiblich codierte Tätigkeiten werden nicht nur dort noch immer als minderwertig betrachtet, während Männer nicht über ihre Hobbys definiert werden und sich stundenlang über Fußball unterhalten dürfen, ohne dass man ihnen unterstellt, sie hätten keine Ahnung von wichtigen Dingen wie Politik.Doch woher kommt diese Haltung, die durchaus auch unter Frauen selbst verbreitet ist? Jahrelang galt das Tragen von Make-up als Zeitverschwendung und anti-feministisch. Dabei hatte ein rot angemalter Mund durchaus mal politische Signalwirkung, zum Beispiel als die Suffragetten während ihrer Protestmärsche Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit knallroten Lippen durch die Straßen New Yorks zogen und für das Frauenwahlrecht demonstrierten. Damals stand der Lippenstift als ein Symbol für die Befreiung der Frauen, nicht für deren Unterdrückung. Von diesem revolutionären Gestus ist nach einem halben Jahrhundert nicht mehr viel übrig.Seitdem Demonstrantinnen der sich damals formierenden zweiten Frauenbewegung bei der Wahl zur Miss America im September 1968 in New Jersey BHs, High Heels, aber auch Kosmetikartikel wie falsche Wimpern oder Lippenstifte als Zeichen ihres Protests gegen das Schönheitsdiktat in eine Mülltonne warfen, hält sich der Mythos der BH-verbrennenden Feministin – und das scheinbar unausrottbare Vorurteil, dass Frauen sich nur aus Gefallsucht schminken würden.Aus damaliger Sicht erscheint die Argumentation schlüssig: Lippenstift, Nagellack oder häusliche Tätigkeiten wie Nähen und Kochen standen für die Aktivistinnen der 70er Jahre symbolisch für die Unterdrückung und Abwertung von Frauen, die aufgebrezelt daheim auf ihren Ehemann warten mussten. Erst im Zuge der dritten Welle zu Beginn der 90er Jahre lockerte sich das Verhältnis von Feministinnen zu Make-up wieder. Typisch weibliche Freizeitbeschäftigungen, die zuvor als mädchenhaft verspottet wurden, erfuhren eine positive Umdeutung und wurden nicht länger als Zeichen von Schwäche, sondern als Ausdruck weiblichen Selbstbewusstseins betrachtet.Die Akteurinnen der dritten Welle, die damals oft als „Lipstick-Feministinnen“ belächelt wurden, räumten mit der Misogynie in den eigenen Reihen auf, von der auch Beth Ditto ein Lied singen kann. Die Gossip-Sängerin und feministische Queer-Ikone erklärte neulich der US-Vogue ihr Verhältnis zur Schminke. „Als Teenager habe ich gegen die Idee von Make-up angekämpft. Später habe ich die Riot-Grrrl-Bewegung kennengelernt. Diese Frauen haben sich einfach Teile von betont weiblicher Mode genommen und sie in einen neuen Kontext gestellt. Das hat mich dazu gebracht, Make-up, rasierte Beine und Kleider nicht mehr als feindliche Accessoires zu betrachten. Sie sind keine Imperative der Weiblichkeit, sondern Teile von Kostümierungen, die Menschen jeden Geschlechts tragen können, wenn sie mögen, oder eben nicht.“Abseits der MasseDass Schminke weit mehr als nur ein weiteres Tool zur Selbstoptimierung des eigenen Geschlechts sein kann, lässt sich aktuell auch im Netz beobachten. Dort greifen in letzter Zeit immer mehr emanzipierte Frauen (und manchmal auch Männer wie der Blogger Beauty Boy) zu Pinsel und Puder. Junge Frauen wie die 23-jährige Wahl-New-Yorkerin Arabelle Sicardi, die für Webseiten wie Buzzfeed über abseitige Mode- und Beauty-Themen, die der Mainstream nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde, bloggt („So sieht die Beauty-Routine eines chronisch Kranken aus“). Sicardi bezeichnet sich selbst als Queer-Feministin und hebt sich mit ihren bunt gefärbten Haaren und schrillen Outfits auch optisch wohltuend von der gleichförmigen Blogger-Masse ab.Ihr Essay Beauty Is Broken wurde von der Huffington Post im vergangenen Jahr zu den wichtigsten Texten der People of Color 2015 gewählt. Sicardi ist außerdem lange Zeit für das 2011 von Tavi Gevinson gegründete Magazin Rookie als Autorin tätig gewesen, das in Sachen Diversität und Progressivität seinen erwachsenen Vorbildern oftmals um eine Nasenlänge voraus ist. Und sie rief das Hashtag #feministmakeupping ins Leben, unter dem sie die Kosmetikindustrie und ihre fragwürdigen Beauty-Trends sehr kritisch unter die Lupe nahm.Für Frauen wie Sicardi ist das Beauty-Universum faszinierend und abschreckend zugleich – und damit der Modeindustrie nicht unähnlich. Doch während man dort für die meisten aktuellen Modetrends eine Size-Zero-Figur benötigt, können Frauen deutlich leichter an Beauty-Trends partizipieren und sich mit dem richtigen Lippenstift oder Lidschatten in eine Femme fatale oder ein glamouröses Alien verwandeln. Aber bitte in Zukunft, ohne dafür von der Gesellschaft gleich ein schlechtes Gewissen eingetrichtert zu bekommen.Ein bisschen Glitzer ist in diesen schwierigen Zeiten völlig okay, findet auch die nie um Worte verlegene Chimamanda Adichie: „Ich glaube, Amerika ist jetzt wirklich ein seltsames Land geworden. Aber ich glaube auch, dass Frauen immer noch wissen wollen, welche Feuchtigkeitscreme im Winter am besten funktioniert.“Placeholder authorbio-1
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