FREITAG: Zum Aufgabenspektrum des Untersuchungsausschusses soll unter anderem gehören, was zwei BND-Agenten im Frühjahr 2003 in Bagdad getrieben haben. Welchen Eindruck haben Sie, nachdem Sie an deren Befragung durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) teilgenommen haben?
HANS-CHRISTIAN STRÖBELE: Meine Mitwirkung im Parlamentarischen Kontrollgremium unterliegt bekanntlich den gesetzlichen Geheimhaltungspflichten. Die Abgeordneten dürfen keine Akten aus dem PKG mit hinausnehmen, keine Notizen zum Akteninhalt oder von den Befragungen der Beteiligten machen. Deswegen musste ich eine gewisse Gedächtnisleistung vollbringen und nach den Sitzungen aus dem Kopf niederschreiben, was etwa die beiden BND-Leute gesagt haben. So kam mein Minderheitenvotum zur Arbeit des PKG zustande. Mittlerweile musste die Bundesregierung selbst einräumen, was sie am Anfang dementiert hat: dass tatsächlich militärisch relevante Informationen von den Agenten in Bagdad nach Pullach und von dort in ausgewählten Fällen an die US-Dienste übermittelt wurden - und nicht nur Non-Targets, also Informationen über zivile Ziele, die nicht angegriffen werden dürfen.
BND-Chef Ernst Uhrlau hat Ihnen vorgeworfen, in Ihrem Minderheitenvotum falsche Fakten präsentiert zu haben. Zu Recht?
Der BND soll eigens eine Arbeitsgruppe eingesetzt haben, die sich mit meinem Minderheitenvotum beschäftigte. Auf dieser Grundlage hat Herr Uhrlau einen dreiseitigen Brief an das PKG verfasst. 95 Prozent der von mir dargestellten Fakten werden darin nicht in Frage gestellt - offensichtlich sind sie richtig. Beanstandungen hat Herr Uhrlau an drei Punkten: Mein Bericht erwähnt einen BND-Mitarbeiter, der die Informationen aus Bagdad an die US-Stellen weiterleitete, und der von der Weisung der Bundesregierung, kriegsrelevante Informationen dürften nicht an die USA gegeben werden, nichts gehört haben wollte. Herr Uhrlau weist darauf hin, dass dieser Mitarbeiter zwar nach Bagdad, nicht aber mit der US-Seite Kontakt hielt. Da hat er Recht. Der von mir genannte Mitarbeiter telefonierte mit den BND-Leuten in Bagdad einerseits und einem bei US-Stellen tätigen BND-Verbindungsmann andererseits.
Zum zweiten moniert Herr Uhrlau, dass ich bezogen auf den 28. März 2003 über zwei BND-Meldungen aus Bagdad geschrieben hatte, die mit Zielkoordinaten an die US-Amerikaner gingen. Ich weiß genau, dass dies für den Informationsfluss von Bagdad in die BND-Zentrale in Pullach gilt; ich kann die Weitergabe von dort an US-Stellen unter Einschluss der Zielkoordinaten allerdings nicht belegen. Bei weiteren acht Meldungen ist das aber unstrittig.
Die dritte Kritik Uhrlaus bezieht sich auf die Bombardierung eines irakischen Offiziersclubs am 28. März 2003. Die BND-Agenten seien erst danach vor Ort gewesen und hätten damit nichts zu tun, meint er. Das mag schon stimmen, aber die BND-Leute sprachen in ihrer Meldung von einem erneuten Auftauchen von Offizieren und militärischen Kräfte an dieser Stelle. Und dass genau dort drei Tage später zum zweiten Mal bombardiert wurde, könnte sehr wohl auf ihre Hinweise zurückgehen.
Wie bewerten Sie die Enthüllung der "New York Times", wonach der BND auch Saddams Verteidigungsplan für Bagdad an die US-Armee weitergegeben habe?
Für eine sachkundige Bewertung brauchen wir Zugang zu dem Report des US-Oberkommandos, auf den sich der Artikel stützt. Es ist laut Presseberichten eine Art Rückblick auf die militärischen Erfolge im Irak-Krieg, dient der Offiziersausbildung und wurde in Buchform veröffentlicht, unterliegt aber bislang der Geheimhaltung.
Offensichtlich ist doch aber, dass da etwas nicht stimmt: Die beiden BND-Männer kamen Mitte Februar nach Bagdad, ein weiterer mit dem Decknamen "Gardist" kam Ende Februar nach Qatar - aber der Plan soll schon am 3. Februar an das dortige US-Oberkommando übergeben worden sein. Von den dreien kann es also keiner gewesen sein.
Es heißt in dem Dokument angeblich, der Plan sei "february 03" übergeben worden. Das kann man aber in zweierlei Weise lesen, entweder als "3. Februar" oder als "Februar 2003". Im letzteren Falle wären die drei genannten BND-Leute nicht entlastet. In jedem Fall bin ich aber sehr skeptisch, was die in einigen Zeitungen veröffentliche Planskizze aus der angeblich verratenen irakischen Verteidigungsplanung angeht. Militärfachleute haben mir bestätigt, dass die Zeichnung etwas unterkomplex ist.
Angesichts solcher Ungereimtheiten kommt einem schon der Verdacht, dass amerikanische Quellen auch bestimmte Vorwürfe kampagnenmäßig lancieren. Wenn ja, warum?
Gezielte Indiskretionen aus den USA sind offensichtlich. Sämtliche Enthüllungen, die seit Dezember über die Entführungsfälle, Folterflüge und über den BND in Bagdad gemacht wurden, kamen ursprünglich aus US-Medien. So hat die Washington Post zwei Tage vor dem Besuch von US-Ministerin Rice und der Ankunft Angela Merkels in Washington darüber geschrieben, dass der damalige Innenminister Schily zwei Tage nach Freilassung des Neu-Ulmers Khaled Al Masri Ende Mai 2004 eine Unterredung mit US-Botschafter Coats hatte. Dieser bestätigte die unrechtmäßige Festnahme El Masris und gab eine Entschuldigung ab.
Oder ein anderes Beispiel: Die Tätigkeit der BND-Leute in Bagdad wurde zunächst im Januar im ARD-Magazin Panorama berichtet, aber auf der Grundlage einer Aussage eines ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters. Demnach sollen die Deutschen Zieldaten für einen Angriff der US-Luftwaffe auf ein Gebäude geliefert haben, in dem Saddam Hussein vermutet wurde - ein Punkt, der bisher glaubhaft bestritten wird.
Der Untersuchungsausschuss wird sich auch mit der Rolle des ehemaligen Bundesaußenministers beschäftigen müssen. Haben Sie Joschka Fischer gefragt, warum er sich höchstpersönlich mit den beiden Bagdader BND-Agenten getroffen hat?
Das war erst im Dezember 2003, also lange nach dem Krieg. Er war zu einem Besuch in der jordanischen Hauptstadt Amman, und sie kamen dort durch, nach Abschluss ihrer Mission und auf dem Weg nach Hause. Man traf sich in der deutschen Botschaft bei einem Empfang, das war offensichtlich mehr Zufall als geplant.
Sie haben gesagt und geschrieben, über den BND hätten die US-Amerikaner kriegsrelevante Informationen aus Bagdad bekommen. Handelten die beteiligten deutschen Agenten auf eigene Rechnung oder auf Weisung der Bundesregierung?
Die Informationen waren kriegsrelevant, nicht kriegsentscheidend, das will ich schon betonen. Die an der Informationsweitergabe beteiligten BND-Mitarbeiter kannten nach eigenen Angaben die ganz eindeutige Weisung der Bundesregierung, keine kriegsrelevanten Daten weiterzugeben. Die Auftrags- und Weisungslage war allerdings nicht schriftlich niedergelegt worden. Mitarbeiter des BND sind, so meine vorläufige These, außer Kontrolle geraten.
Oder wurde ganz bewusst von der politischen Führung ein Schlupfloch für schmutzige Operationen geschaffen, die nicht der offiziellen Linie "Nein zum Krieg" entsprachen?
Das ist eine Unterstellung, die durch nichts belegt wird. Wie weit das Mitwissen der politischen Spitze reichte - das muss der Untersuchungsausschuss klären.
Das Gespräch führte Jürgen Elsässer
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