Unstürzbar

linksbündig Zum 60. Geburtstag von Muhammad Ali

Was soll das Abfeiern historischer Daten und anderer Jubiläen in bestimmten Dezimalabständen? Nur selten haben doch die Zeitungen Raum genug, um tatsächlich das zu betreiben, wozu dieses Genre angeblich mal erfunden wurde: Vergessenes zurück ins Gedächtnis zu rufen. Zumal die Kulturindustrie und ihre engsten Verbündeten, die Medien, im letzten Jahrhundert eine solche Masse an Berühmtheiten und Ereignissen selbst generiert haben, dass die Auswahl, wem und was zu gedenken sei, immer schwerer fällt. So werden meist diejenigen gewürdigt, die sich gerade dadurch auszeichnen, keineswegs vergessen zu sein. Wie zum Beispiel Muhammad Ali.

Erst vor zwei Jahren ist Ali von mehreren Zeitschriften zum Sportler des Jahrhunderts gekürt worden. Damals wurde am Rande angemerkt, wie ungerecht es sei, dass Ali in den Ranglisten so weit oben steht und zum Beispiel ein anderer großer Boxer wie Joe Frazier, in sportlicher Hinsicht doch nur ein ganz klein bisschen weniger groß, so viel weiter unten. Der Gedenkrummel fühlt sich eben selten der Gerechtigkeit verpflichtet, wird doch vor allem Identitätsstiftung betrieben: In der rituellen Beschwörung ihres Star-Pantheons versichert sich die westliche Welt ihrer Zusammengehörigkeit und grundlegenden Werte. Einer davon ist allerdings die Austauschbarkeit von allem und jedem, weshalb genauso rituell die Idole wieder gestürzt werden.

Pünktlich - das heißt also um einiges im Vorfeld - zu Alis 60. Geburtstag meldete sich denn auch ein Mark Kram mit der Absicht, die Legende "Ali" zu zerstören. Im Vergleich zu seinem Buch, so die forsche Ankündigung, werde der biografische Film Ali, der bald in die Kinos kommt, aussehen "wie ein kommunistischer Propagandastreifen der Stalinära". Ali sei zwar ein toller Boxer gewesen, gibt Kram zu, aber ansonsten - und Legenden bestehen bekanntlich aus diesem "ansonsten" - ein Heuchler, ein Manipulator und gleichzeitig eine Marionette, ein pathologischer Frauenheld, ein schlechter Vater und privat gar ein sehr ängstlicher Mann. Und darüber hinaus will Kram Ali auch noch die Autorschaft an seinen berühmtesten Sentenzen absprechen. Den Geschichte-machenden Ausspruch, er habe schließlich keinen Krach mit dem Vietcong, soll ihm von den Black-Muslims eingeflüstert worden sein.

Doch was können solche Vorwürfe einem Idol anhaben, das derartig nachhaltige Wirkungen erzeugt: Selbst junge weiße Europäerinnen ohne jedes Interesse am Boxsport konnten sich 1996 mit der Schilderung von Alis Auftritt bei der Olympia-Eröffnung in Atlanta gegenseitig zum Weinen bringen. Wie er mit zittrigem Arm das olympische Feuer entzündete, der Mechanismus zuerst nicht richtig anspringen wollte, was aber nicht auf sein Zittern, sondern einen technischen Defekt zurückzuführen war - wer konnte da die Tränen der Ergriffenheit zurückhalten!

Dabei hätten sie über Ali wahrscheinlich wenig mehr zu sagen gewusst, als dass er in ihrer frühen Kindheit durch seine demonstrative Großmäuligkeit ein Vorbild für schlechtes Benehmen abgab. Dazu gehört auch seine Wehrdienstverweigerung und der Übertritt zum Islam; Schritte, die ihn zunächst zur Ikone der sogenannten Gegenkultur machten, einer schließlichen Umarmung durch die all-american nation aber nicht im Wege standen.

In seinem so gelehrten wie gefühlvollen Buch über den Stil des Boxers Ali schildert Jan Philipp Reemtsma ihn als Projektionsideal des "dissoziierten" Individuums, das sich im Umgang mit Maschinen und Oberflächen auf ein Rädchen im Getriebe reduziert fühlt. Schaut man sich alte Aufnahmen von Alis "Ich bin der Größte"-Tiraden an, kann man es im Selbststudium nachvollziehen: Wie die großen Sprüche einen zuerst zum erleichternden Lachen herausfordern (der Bruch mit dem Bescheidenheitsgebot), wie man anschließend in Bestrafungswünsche und -ängste gleichzeitig verfällt (Das darf/Das kann nicht gut gehen) und wie man in der endlosen Wiederholung den Größenwahn dieses einen Individuums zu genießen beginnt, weil er verwirklicht, was man sich selbst nicht traut.

So verkörpert Ali unter allen Idolen eines mit der Hoffnung darauf, dass es sich nicht stürzen lässt, weil es ganz auf Selbstbehauptung gebaut ist - was andere sagen, zählt einfach nicht. Seiner zu gedenken macht nicht nur deshalb Spaß, weil er ein Monument der sechziger und siebziger Jahre ist, sondern weil das "dissoziierte Individuum", also wir alle unserseits Eingang in seine Biografie gefunden haben: Die Welt verging vor Bewunderung für ihn, steht da.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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