Untauglicher Geheimcode

Ich glaube, dass unser Leben nach Gesetzen funktioniert. Natürlich meine ich damit nicht die Naturgesetze, die äußeren Gesetze, die niemand in Frage ...

Ich glaube, dass unser Leben nach Gesetzen funktioniert. Natürlich meine ich damit nicht die Naturgesetze, die äußeren Gesetze, die niemand in Frage stellen wird, sondern eher etwas wie innere Gesetze, Gesetze, die nur bestimmte Personengruppen betreffen, wie es beispielsweise Eltern von Kleinkindern sind. Hier gibt es viele Gesetze, die leider immer gleich und unmittelbar wirken, z.B. dass ein Kleinkind erkrankt, wenn die Mutter einen wichtigen Text beenden muss oder mit einer Freundin vereinbart, am nächsten Dienstag ins Kino zu gehen. In diesem Fall erkrankt das Kind heftig und in jedem Fall sofort. Der Mutter bleibt dann nichts anderes übrig, als alle Pläne über den Haufen zu werfen, ihrer Redakteurin oder der Freundin abzusagen und sich mit dem Kind in einen völlig überfüllten Warteraum des nächsten Kinderarztes zu begeben, der ihr nach vier Stunden Wartezeit sagt, dass sich die Krankheit voraussichtlich drei Wochen hinziehen wird. »In dieser Zeit«, wird der Kinderarzt hinzufügen, »ist es unabdingbar, alle Medikamente einzunehmen, die Tropfen am Abend, das Antibiotikum dreimal am Tag sowie den Hustensaft und die Nasentropfen zwischendurch, nicht zu vergessen die Fieberzäpfchen«, und außerdem wäre es nicht schlecht, wenn die Mutter das Kind ausnahmsweise nach Strich und Faden verwöhne. In den folgenden drei Wochen liegt das Kind dann im Bett, quengelt den ganzen Tag, hustet erbärmlich und denkt sich in seiner Qual Tausende Beschäftigungsmöglichkeiten für die Mutter aus, Dinosaurierspiele beispielsweise, bei denen man vorher Papierdinosaurier ausschneiden und zusammenkleben muss und hinterher das Bettzeug komplett wechseln und die gesamte Wohnung von Papierschnipseln befreien, während zwischendurch das Teewasser in der Küche drohend pfeift, das Kind zum Klo begleitet werden muss und der Zwieback ausgegangen ist, den das Kind wegen seiner Schonkost dringend braucht. Aber angesichts eines leidenden Kindes tut man das ja gern. Ich brauche bestimmt nicht zu erklären, dass man in dieser Zeit das Kinoprogramm, den Inhalt des Textes, den man schreiben wollte und überhaupt sämtliche Koordinaten der Außenwelt vergisst.

Bei alledem beklagt man sich nicht. Als Mutter eines Kleinkindes lernt man, genügsam zu sein, sich den ehern wirkenden Gesetzen zu beugen. Aber einmal habe ich schon überlegt, ob ich sie nicht doch hintergehen kann. Zum Beispiel könnte ich mit meiner Freundin einen Geheimcode vereinbaren, nach welchem der Satz »Wollen wir am Dienstag mit den Kindern auf den Spielplatz gehen?«, am besten im Beisein der Kinder gesprochen, eigentlich bedeutet, dass ein guter Film im Kino läuft, den man sich unbedingt gemeinsam ansehen muss. Ich habe es noch nicht versucht, aber ich sollte es dringend ausprobieren, noch bevor das Kinoprogramm wechselt oder im Kindergarten ein neuer Fall von Scharlach angekündigt wird. Allerdings ahne ich schon, dass diese Idee unsinnig ist. Gesetze wirken, egal welchen Geheimcode man einer Freundin zuflüstert, auf den Blitz folgt der Donner, den man nicht mit solchen Heimlichkeiten hintergeht, und wenn ich jetzt diesen Text zu Ende bringe, während meine Kinder gesund und ruhig im Kindergarten spielen, ist das nur die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt, weiter nichts. Oder aber auch nicht. Denn es bleibt noch die Möglichkeit, dass die Redakteurin, nachdem ich meinen Text ohne sonderliche Störungen beenden durfte, mir nach seiner Lektüre bescheidet, dass er eigentlich nicht wichtig ist ...

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