Unter die Erde

Kommentar Verbot der »Körperwelten«-Ausstellung in München

Es gibt konservative Entscheidungen, die wirklich Freude machen. Dass der Münchener Stadtrat die »Körperwelten«-Ausstellung verbietet unter Androhung von Zwangsbestattung der plastinierten Leichen, ist ein schöner Coup. Wunderbar möchte man sagen, und, wenn es den Toten gegenüber nicht unziemlich wäre, noch hinzufügen: der Schrott gehört unter die Erde. Denn neben moralischen Einwänden gegen Günther von Hagens Leichenschau gibt es auch ästhetische: die Ausstellung ist Kitsch, eine hybride Schau auf der geschmacklichen Schwundstufe nekrophiler Makrameearbeit.

Als »Faszination des Echten« verkauft sich die Show, die Leichen aber sehen nicht echt aus. Die Sensation besteht darin, dass sie echt sein sollen. Von Hagens Spiel mit echt und künstlich reklamiert für sich einen aufklärerischen Anspruch. Für einen anatomischen Einblick ist aber weder nötig, dass eine Leiche »echt« ist, noch dass sich das Muskelgewebe eines Läufers wie ein flatterndes Gewand aufspreizt oder dass ein Ganzkörperskalpierter seine Haut überm Arm trägt. Im Gegensatz zu dem, was Präparatoren früherer Zeiten auf Jahrmärkten an Missbildungen und anderen Wundern der Natur dem geneigten Publikum vorführten, lässt von Hagens seine Exponate nicht unberührt und er stellt sie nicht - wie wissenschaftliche Präparate - in einen abstrakten Kontext. Er drapiert seine Leichen auf fahrlässig niedrigem Aussageniveau zu neuen Arrangements.

Solch dekoratives Surplus firmiert dann unter »künstlerischem« Anspruch. Kunst-Aktionen aber - seien es die Passionsspiele eines Hermann Nitsch oder eine Büste aus gefrorenem Blut in der britischen Ausstellung Sensation - setzen den Körper (und meist den eigenen) als ultimatives Mittel ein, um ein Schockmoment herzustellen, in dem sich so etwas wie »Erkenntnis« ereignet. Mit dieser Form von Kunst hat »Körperwelten« so wenig zu tun, wie der Filzhut aus von Hagens einen Beuys macht; Kunst hat einen doppelten Boden, von Hagens hat keinen, er setzt das »echt« und »künstlich« jeweils an der falschen Stelle ein und verkauft seine gehäuteten Lieblinge als Muster für Mouse-Pads und Rucksäcke. Dass sie weder Kunst noch Wissenschaft ist, macht das in einem tieferen Sinne Anrüchige der »Körperwelten«-Ausstellung aus.

Wie praktisch also, dass Bayern moralische Standards hat, auch wenn es nicht die unseren sind. Immerhin wäre doch zu fragen, warum ein manischer Pathologe ungestraft und zu kommerziellen Zwecken Berge von Leichen auseinander fleddern darf? Die Plastinate aber geben - wie wahr - eine triste Vorstellung davon, welch kurzer Rest von der Idee des ewigen Lebens uns übrig geblieben ist.

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