Unter Druck

Interview Drei Frauen, drei Generationen: Lebensentwürfe, die früher als normal galten, werden heute in Frage gestellt. Wie können wir damit umgehen?
Ausgabe 10/2018

Wie hat sich das Leben von Frauen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert? Wie selbstverständlich ist für sie das Wahlrecht? Und worin liegen die Tücken der Wahlfreiheit eines Lebensentwurfs? Darüber sprachen wir mit drei Frauen unterschiedlicher Generationen.

der Freitag: Wir feiern dieses Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht. Wann haben Sie zum ersten Mal gewählt? Wie haben Sie das erlebt?

Karin Hausen: Ich habe mit Sicherheit gewählt, als ich mit 21 Jahren wahlberechtigt war. Das war nichts Besonderes, es war mehr „Man muss es tun, weil ...“. Ich verbinde auch heute nichts Besonderes damit.

Und bei Ihnen, Frau Kaminsky? Sie kommen aus der DDR.

Anna Kaminsky: Ich weiß nicht, wann ich vor 1989 das erste Mal gewählt habe. Echte Wahlen waren das ja nicht, damals hieß das „Zettelfalten“. An die Wahl im Mai 1989 aber sehr wohl ...

100 Jahre Frauenwahlrecht

1918, vor einhundert Jahren, durften in Deutschland Frauen das erste Mal an die Wahlurne treten. Grund genug für die Freitag-Redaktion, zum Internationalen Frauentag die Hälfte dieser Ausgabe der Hälfte der Menschheit zu widmen: Frauen. Eine Ausgabe, die das Jubiläum von 100 Jahren Frauenwahlrecht zum Anlass nimmt, um sowohl an den Kampf von Frauen- und Wahlrechtlerinnen in Deutschland, England und der Schweiz zu erinnern als auch den Blick über die Historie hinaus zu weiten. Wir rücken den Druck, dem Frauen heute ausgesetzt sind, in den Fokus:

Wie sie es auch anstellen, irgendetwas daran ist immer falsch. Warum? Weil es kein eindeutiges Frauenbild gibt, so wie noch vor einigen Jahrzehnten? Dafür gibt es jede Menge vorherrschende, meist eindimensionale Zuschreibungen: Weibchen mit Kernkompetenz für Kinder, Küche, Vorgarten. Oder machthungrige Karrierefrauen, denen feminine Eigenschaften abhandengekommen sind.

Haben Frauen eine andere Wahl? Dürfen sie einfach so sein, wie sie nun mal sind: stark, schwach, Mutter, kinderlos, Chefin, Hausfrau? So unterschiedlich also wie das Leben selbst? Und eine Wahl jenseits der fakultativ-obligatorischen Möglichkeit, über den Bundestag, ein Kommunal- oder Landesparlament mitzuentscheiden?

Lesen Sie selbst!

... die Kommunalwahlen, die für DDR-Bürgerinnen und -Bürger Pflicht waren. Nicht ins Wahllokal zu gehen, war schwierig, also wollten viele Menschen ihren Wahlzettel ungültig machen.

Kaminsky: Die Kirche hat damals illegale „Seminare“ angeboten, bei denen man sich informieren konnte, wie man mit „Nein“ wählt. Wir wussten ja nicht, wie das geht.

Julia Korbik: Meine erste Wahl muss eine Kommunalwahl gewesen sein. Auf Bundesebene habe ich erstmals 2002 gewählt. Damals habe ich mich darauf gefreut und wollte ein Happening daraus machen. Aber außer mir hatte niemand Lust dazu.

Frau Hausen, Sie sagten, das Wahlrecht sei selbstverständlich für Sie gewesen. Waren Sie in Ihrer Jugend gleichberechtigt?

Hausen: Wir haben als Jugendliche nicht darüber nachgedacht, was Männer und Frauen tun und lassen sollen. Außerdem hatte ich während meiner Schulzeit nie den Eindruck, dass ich einen schlechten Platz in dieser Gesellschaft hatte. Meine Mutter war davon überzeugt, dass sie die Kinder – zwei Mädchen, zwei Jungen – gleichberechtigt erzieht. Meine Mutter wusste, was sie wollte, aber in der Praxis sah das etwas anders aus.

Wenn wir bei Tisch allzu lange diskutierten, sagte meine Mutter: „Karin, ich glaube, es muss jetzt abgedeckt werden.“ Dann sagte ich: „Peter, hast du gehört? Mutter meint, du sollst jetzt abdecken.“

Zur Person

Karin Hausen, 79, ist Historikerin und war bis 2003 Professorin für Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. Bekannt wurde sie 1976 mit ihrer Studie zur P olarisierung der Geschlechtscharaktere.

Foto: Presse

Das Wahlrecht ist das eine, die alltägliche Diskriminierung von Frauen etwas anderes. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zur Feministin hat werden lassen?

Korbik: Ich habe über Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir zum Feminismus gefunden, damals war ich ungefähr 18. Dadurch bin ich aber nicht zu einer Feministin geworden, sondern habe festgestellt, dass ich bereits Feministin war. Ich habe bei Beauvoir viele Antworten auf Fragen gefunden, die ich mir schon immer gestellt hatte. Als Simone Beauvoir Das andere Geschlecht veröffentlicht hat, hat sie sich aber gar nicht als Feministin bezeichnet. Für mich war es etwas ganz Positives, Feministin zu sein. Erst Jahre später habe ich gemerkt, dass das nicht alle Leute so sehen.

Und bei Ihnen, Frau Hausen?

Hausen: Ich will das an einem Beispiel erklären: In meiner Kleinstadt war es üblich, dass Jugendliche einen Tanzkurs machten. Später war es für meine Generation ein großes Vergnügen, sich über die Tanzstundenerfahrungen und das Reglement, Männer und Frauen in ihre Positionen einzuweisen, zu unterhalten. Die Herren fordern auf, die Damen haben sitzen zu bleiben. Ich fand das schon damals schrecklich und war zum Abschlussball krank. Dies haben wir als gravierende Diskriminierungserfahrung aufgefasst, ohne das jedoch so benennen zu können.

Spielte der Begriff Feminismus für Sie damals eine Rolle?

Hausen: Der spielte keine Rolle. Ich nannte mich nicht Feministin.

Obwohl Sie die feministische Forschung auf den Weg brachten?

Hausen: Die Frauen aus dem Kaiserreich haben sich nicht Feministinnen genannt und wollten trotzdem die Emanzipation. Der Begriff war ihnen fremd. Ich wollte mir Einflussmöglichkeiten nicht dadurch verstellen, dass ich ein Plakat vor mir hertrage, das in den 1960er Jahren genauso schlimm war, als hätte ich mich als „Marxistin“ bezeichnet.

Kaminsky: In der DDR hatte ich den Eindruck, als Mädchen die gleichen Rechte zu haben wie Jungs. Ich stehe denen in nichts nach. Vielmehr sah ich Vorteile darin, eine Frau zu sein: Ich musste nicht zum Wehrdienst. Mit Feminismus konnte ich nichts anfangen. Das schien mein Leben nicht zu bereichern, wir hatten ohnehin zu viele Ismen und Dogmen.

Hausen: Mich hat das Jahr 1990 sehr beeindruckt. Wir in Westberlin haben gedacht, wir sollten versuchen, zu verdeutlichen, wie sich die Chancen der Frauen in der Wissenschaft entwickeln würden, wenn die Einheit im akademischen Bereich vollzogen ist. Ich habe mich sehr angestrengt, nicht frauenrechtlerisch zu reden und versucht, das andere System zu erklären. Das endete mit einer wilden Beschimpfung der Westfeministinnen durch ostdeutsche Frauen: In der DDR sei alles kameradschaftlicher gewesen. Meine Einwände, dass das neue System Menschen verändere, war für die Ostberlinerinnen offenbar eine Ansage ohne Sinn.

Kam es so, Frau Kaminsky?

Kaminsky: Ich gehörte als junge Frau zu den wenigen Menschen in der DDR, die sich der Arbeitsverpflichtung entzogen haben. Ich bin zu Hause geblieben, musste aber aufpassen, nicht als asozial zu gelten. Ich hatte Glück: Das Büro Brecht-Erben bestätigte mir, dass ich gelegentlich für sie übersetzen würde. Zu Hause habe ich gelesen, mich mit meinem Kind beschäftigt und ab und zu Übersetzungen gemacht. Meine Wahrnehmung an der Uni Leipzig war, dass alle entscheidenden Positionen fast ausschließlich mit Männern besetzt waren. Der Professor war ein Mann und die Frau die wissenschaftliche Assistentin. Von zehn Assistentenstellen waren acht mit Männern besetzt, zwei mit Frauen. Auch in der DDR kamen die Frauen da nicht zum Zuge.

Korbik: Ich glaube, dass Frauen in der DDR eine große Last zu tragen hatten. Bei der Hausarbeit ist viel an den Frauen hängen geblieben. Wenn ich junge Frauen aus der DDR frage, sagen sie allerdings, es habe sie sehr geprägt, dass sie mit einer Mutter aufgewachsen sind, die berufstätig war. Meine Mutter hat dagegen länger ausgesetzt nach meiner Geburt, was in Westdeutschland völlig normal war.

Kaminsky: Frauen in der DDR konnten sich zwar scheiden lassen, aber sie verdienten weniger als Männer, für alleinerziehende Frauen war es hart. Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Man hatte zwar niedrige Mieten, dafür aber eine miese Wohnung. Im Westen hätte der Mann nach einer Scheidung mitzahlen müssen, das gab es im Osten nicht.

Hausen: Der Altersunterschied ist sehr spannend. Ich kannte Frauen, die sehr viel älter waren als ich und sich nicht von ihrem Mann trennen konnten, weil für sie mit der Trennung jegliche Ansprüche auf Kranken- und Rentenversicherung futsch waren und sie selbst aus eigener Erwerbsarbeit überhaupt keine oder viel zu geringe Ansprüche hatten. Es waren mühsame Etappen, nicht erwerbstätige und von ihren Männern abhängige Ehefrauen Stück für Stück mit bestimmten Freiheiten auszustatten. Ich begann 1958 zu studieren und wollte Studienrätin werden. Ich wollte nicht so leben wie meine Mutter, in der Abhängigkeit von einem Mann. Viele meiner damaligen Kommilitoninnen erklärten, ihr Studium diene der Absicherung mit einem Notberuf. Aber in einen Notberuf kann man später, wenn man ihn braucht, nicht einfach wieder einsteigen. Die Neue Frauenbewegung hat seit Ende der 1960er Jahre solche Vorstellungen tiefgreifend verändert.

Korbik: Die Schwestern meiner Oma, die Mitte 80 und deren Männer früh gestorben sind, bekommen jetzt eine eher bescheidene Rente. Sie haben nie in ihrem Beruf gearbeitet. Es ist wichtig, dass Frauen zu Hause bleiben können, wenn sie Kinder haben. Aber wenn man im Job aussetzt, wirkt sich das sofort auf die Rente aus. Das macht mir Angst.

Zur Person

Julia Korbik, 30, hat Politik- und Kommunikationswissenschaften studiert und ist freie Journalistin und Autorin. Sie schreibt vor allem über Popkultur und Politik aus feministischer Sicht. Jüngst erschien ihr Buch Oh, Simone über die Feministin Simone de Beauvoir.

Foto: Horst Galuschka/Imago

Wie diskutiert Ihre Generation dieses Thema?

Korbik: Vielen Frauen in meiner Generation, die gerne länger aussetzen würden, ist bewusst, dass das nicht geht, weil beide Partner verdienen müssen. Die Erwartung ist, dass der Vater ebenfalls in Elternzeit geht. Viele Männer sind dazu bereit, bei vielen Paaren führt das zu Auseinandersetzungen. Ich habe Freundinnen, die deshalb enttäuscht sind. Da wird dann schnell definiert, wessen Job wichtiger ist.

Fällt die junge Generation in überholte Rollenmuster zurück?

Korbik: Es ist eine Generationenfrage, bei der der Osten häufig nicht mitgedacht wird. Man geht immer nur von Westdeutschland aus. Heutzutage ist es nicht mehr selbstverständlich, sein eigenes Häuschen zu haben. Meine Oma hat mir geraten, einen Bausparvertrag abzuschließen, um mir eine Wohnung zu kaufen. Das ist utopisch, ich kann das nicht finanzieren, mein Ziel ist es auch nicht.

Frau Kaminsky, haben Sie Anfeindungen erlebt, weil Sie nicht gearbeitet und ihr Kind nicht in staatliche Kitas gegeben haben?

Kaminsky: Man konnte ja nicht einfach nicht arbeiten gehen, sondern musste zum Amt. Diese entwürdigenden Fragen und die Belehrungen, womit man sein Geld nicht verdienen sollte, nämlich mit Prostitution, waren diskriminierend und verlogen. Ich wurde auch oft gefragt, was ich den ganzen Tag so mache. Es müsse doch langweilig sein.

Es scheint also in beiden Teilen Deutschlands Fluchttendenzen gegeben zu haben: hier raus aus dem Privaten in die Arbeitswelt, dort raus aus der Arbeitswelt.

Hausen: Ich bin nicht aus der Privatheit geflohen. Ich wollte einfach nicht von einem Mann abhängig sein und so viel verdienen, dass ich selbst Kinder ernähren kann, wie schwierig dieses auch immer sein würde

Kaminsky: Sie erscheinen aber doch sehr erfüllt gewesen zu sein?

Hausen: Was bedeutet „erfüllt“? Die Situation, die Sie beschreiben, war für mich immer eine schreckliche Vision: Mutter sitzt auf dem Kind. Das ist mir viel zu eng. Aber ich hätte mein Kind auch nicht in die DDR-Erziehung gegeben. Die große Veränderung ist in der BRD erst durch die Studentenbewegung gekommen, mit der die Frauenbewegung entstand. Die Frauen forderten antiautoritäre, gut ausgestattete Kindertagesstätten, die nicht nur von 9 bis 12, sondern ganztags geöffnet sind. Dieses Programm wird jetzt in Trippelschritten und mit Gesetzen eingelöst.

Korbik: Für meine Oma war es eine Katastrophe, dass wir Schlüsselkinder waren: also Schlüssel in der Schulmappe, weil meine Mutter mittags nicht da war. Für meine Schwester und mich war das gar kein Problem.

Wie alt waren Sie da?

Korbik: zwölf ungefähr. Und meine Oma hat sich Sorgen gemacht, dass das gefährlich sei und das Mittagessen nicht auf dem Tisch steht. Daran merkt man, dass man es nie jedem recht machen kann: Bleibt eine Frau zu Hause, ist das nicht gut. Geht sie arbeiten, kommt die Frage nach dem Kind.

Haben sich Erwartungshaltungen der Gesellschaft verändert?

Korbik: Ich habe den Eindruck, dass man als Frau und Mutter alles können und sein muss: Superfrau, die arbeiten geht und sich gleichzeitig um die Kinder kümmert, die perfekte Ehefrau und so weiter.

Dürfen Frauen arbeiten – oder müssen sie es?

Korbik: Müssen würde ich sagen. Gerade junge Frauen, die mit einem Kind zu Hause bleiben wollen, gelten als traditionell. Das sind aber persönliche Lebensentscheidungen von Frauen, bei denen vieles eine Rolle spielt. Manchmal ist es natürlich keine freie Entscheidung, sondern strukturell bedingt.

Ist das der neue Druck, der auf den Frauen liegt?

Kaminsky: Was bei der Debatte, wann und wie Frauen nach der Geburt ihrer Kinder wieder arbeiten sollten, komplett untergeht, ist das emotionale Bedürfnis, mit dem Kind zusammen zu sein und sich nicht zu früh vom Kind trennen zu wollen. Wenn junge Frauen länger als das zugestandene Jahr Elternzeit mit dem Kind zu Hause bleiben wollen, wird sofort ihre Emanzipation in Frage gestellt. Ich war vier Jahre mit meinem Sohn zu Hause. Bin ich deshalb unemanzipiert?

Zur Person

Anna Kaminsky, 55, stammt aus der DDR und ist promovierte Sprachwissenschaftlerin und seit 2001 Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt Frauen in der DDR (Ch. Links Verlag)

Foto: Bundesstiftung Aufarbeitung

Korbik: Meine Mutter hatte immer Angst, dass ich ihr einen Vorwurf mache, dass sie zu Hause geblieben ist. Dabei würde ich ihre Entscheidung nie in Frage stellen. Ich hatte eine wunderbare Kindheit, und meine Mutter war glücklich, mit uns zu Hause zu sein.

Mittlerweile können Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen, um sie zu nutzen, wenn es in den Karriereplan passt. Steckt darin ein Stück Emanzipation oder folgen Frauen, wenn sie das sogenannte Social Freezing in Anspruch nehmen, nur der Marktlogik?

Hausen: Wir erleben im Moment eine beschleunigte Entwicklung und eine Verschiebung in der Generationenfolge. Sie, Frau Korbik, schauen noch auf Ihre Großeltern. Andere Kinder sind heute irgendwo im globalen System angekommen, und wenn man sie braucht, sind sie nicht verfügbar. Das ist für mich eine Erklärung für den merkwürdigen Rentenblick, den junge Frauen inzwischen haben: Sie können nicht mehr, wie noch ihre Großeltern, auf die Kindergeneration setzen. Das ist eine dramatische Veränderung. Diese Verwerfungen hat es zwar immer schon gegeben, ebenso aufgeschobene Gebärwünsche. Aber die Häufung ist neu.

Mit dem Unterschied, dass die technischen Möglichkeiten früher begrenzt waren ...

Hausen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kind glücklich ist mit Großeltern als Eltern.

Bei den Vätern gab’s das schon immer.

Hausen: Aber nicht als Massenphänomen.

Korbik: Meine Eltern sind 16 Jahre auseinander, und ich hatte immer das Gefühl, ich habe von allen meinen Freundinnen und Freunden den ältesten Vater.

Kaminsky: Als ich nach dem Mauerfall das erste Mal im Westen war, wurde ich völlig entsetzt, erstaunt und bewundernd gefragt: „Du hast schon ein Kind?“ Die universitäre Mittelschicht im Westen und Frauen Mitte oder Ende 30 haben dann erst überlegt, ob sie überhaupt Kinder bekommen wollen. Das fanden wir aus der DDR schräg.

Korbik: Beim Social Freezing bin ich hin- und hergerissen. Warum sollte man einer Frau diesen späten Wunsch verwehren? Trotzdem sehe ich die wirtschaftlichen Interessen dahinter. Ich finde es schwierig, wenn große Konzerne ihren Mitarbeiterinnen anbieten, deren Eier einfrieren zu lassen, damit sie länger als Arbeitskraft zur Verfügung stehen. Der Druck, Kinder zu bekommen, ist heute groß. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Kinder haben möchte. Aber alle anderen um mich herum finden, dass ich das wissen sollte.

Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Korbik: Ich vermeide das Thema, so gut es geht.

Es gibt politische Kräfte, darunter Abtreibungsgegner, die mit einfachen Slogans die Frauenbewegung diffamieren und Frauen auf ihre angestammte Rolle zurückverweisen wollen. Früher hätten wir Frauen wie Alice Weidel oder Beatrix von Storch von der AfD entgegengehalten: „Mein Bauch gehört mir“, „Lohn für Hausarbeit“, „Keine Gewalt gegen Frauen“. Brauchen wir wieder solche Strategien, um dem Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen?

Hausen: Den Erfolg von Slogans kann man nicht vorhersagen. Mich regt bei den Rechtsaußenargumentationen vor allem auf, dass biologistisch erklärt wird, was Männer und Frauen zu tun und zu unterlassen haben, denn dieses sei in den Genen angelegt. Diese Begründung führt zurück in die Urgeschichte, wo für wuchernde Fantasien sehr viel Platz ist, weil gesicherte Erkenntnisse Mangelware sind.

Kaminsky: Der Widerstreit zwischen konservativem und modernem Familienbild ist nicht AfD-spezifisch. Die Einstellungen hängen oft von den Lebensmöglichkeiten ab, die im ländlichen Bayern andere sind als in den Großstädten.

Korbik: Es gibt einen feministischen Backlash, weil rechtspopulistische Parteien eine sehr konservative, frauenfeindliche Haltung einnehmen.

Wie soll man damit umgehen?

Korbik: Ich rede viel mit Menschen, die komplett andere Werte und Meinungen vertreten, ich sehe viel Unsicherheit. Viele Männer fühlen sich bedroht, sie haben den Eindruck, ihnen wird etwas weggenommen durch die Frauenquote oder andere sogenannte Frauenrechte.

Hausen: Warum finden die das bedrohlich? Wie hat es eine Gesellschaft eigentlich geschafft, dass Männer selbstverständlich annehmen, sich nicht um Kinder kümmern zu müssen? Einen Säugling in den Arm zu nehmen, den Kinderwagen zu schieben, wurde lange Zeit als Entmännlichung erlebt. Das ist aber überhaupt nicht in der Natur angelegt. Wenn Männer Erziehungsurlaub nehmen, kann es heute nur deshalb noch verheerende Auswirkungen auf das Männlichkeitsbild haben, wenn der Vater als sogenannter Ernährer der Familie in der Regel immer noch ausgestattet ist mit einem deutlich höheren Erwerbseinkommen als die Mutter des Kindes.

Korbik: Gesellschaften verändern sich eben sehr langsam. Die Emanzipationsschritte, die wir jetzt erleben, sind in viel kürzerer Zeit passiert, als das früher der Fall war. Ich glaube, vielen Männern und Frauen geht das zu schnell.

Hausen: Das sind Spielformen zwischen Ohnmächtigen und Mächtigen. Die funktionieren ganz gut. Die Ohnmächtigen können sehr viel Macht ausüben. Aber es ist schwierig, entgegen eingefahrenen Spielregeln plötzlich ein ganz anderes Spiel zu beginnen.

Kaminsky: Aber wie repräsentativ sind diese Machtkonstellationen überhaupt? Ich habe oft den Eindruck, dass es sich um Zerrbilder handelt und individuelle Erfahrungswelten verallgemeinert werden. Jedes Beispiel kann mit einem Gegenbeispiel widerlegt werden. Und die AfD hat nur 14 Prozent bundesweit. Was sie propagiert, wurde auch von anderen Parteien schon propagiert. Warum empfinden wir das als Bedrohung?

Vielleicht weil sich nun sichtbar präsentiert, was die ganze Zeit da war, was aber nicht zur Kenntnis genommen wurde.

Hausen: Wenn Frauen aufholen wollen, müssen männliche Privilegien fallen.

Es gibt aber immer noch die Erwartung, dass ein Mann eine höhere Position beanspruchen kann.

Kaminsky: Aber heute doch nicht mehr.

Hausen: Frauen können nur scheitern, wenn man von ihnen verlangt, es besser zu machen als die Männer. Das ist eine gezielt eingesetzte Legende, um Frauen an der Spitze zu verhindern.

Kaminsky: Frauen haben die gleichen Defizite wie Männer und sind ebenso anfällig für Machtmissbrauch.

Hausen: Selbstverständlich hat man sich daran gewöhnt, dass Frauen öffentlich reden können. Dadurch ist aber nicht sichergestellt, dass Frauen gehört werden.

Korbik: Es muss diese berühmte kritische Masse von 30 Prozent Frauen geben, damit eine nicht allein ist und sich traut, das Wort zu ergreifen. Das heißt nicht, dass Frauen immer einer Meinung sind und sich verschwestern.

Kaminsky: Es ist kein Wert an sich, auf einer bestimmten Position eine Frau zu haben.

Korbik: Führungspositionen setzen heutzutage bestimmte Verhaltensweisen voraus, daher müssen sich Frauen, die aufsteigen, wie Männer verhalten. Das ist furchtbar. Die Kultur muss sich verändern, damit überhaupt mehr Frauen Führungspositionen wollen.

In den vergangenen 30 Jahren hat sich doch schon etwas verändert.

Korbik: Ich glaube, dass der Gleichberechtigungsgedanke heute mehr Mainstream ist, als er das noch vor ein paar Jahren war, feministische Ideen sind zugänglicher. Aber dagegen gibt es Widerstände. Schon allein, dass solche Ideen mehr Raum bekommen, ist für viele Leute ein Riesenproblem.

Kaminsky: Das glaube ich nicht. Gleichberechtigung ist ein anerkanntes Prinzip. Ich sehe den Backlash nicht. Was ich aber mit Freude sehe: dass sich junge Frauen entscheiden, wie lange sie beispielsweise zu Hause bleiben wollen.

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