Unter Geräten

Sportplatz Sie lesen! Eng und kurz sind ihre Oberteile und Gymnastikhosen. Starr und konzentriert ist der Blick auf die aufgeschlagenen Seiten. Ja, Bücher ...

Sie lesen! Eng und kurz sind ihre Oberteile und Gymnastikhosen. Starr und konzentriert ist der Blick auf die aufgeschlagenen Seiten. Ja, Bücher liegen vor ihnen auf den Ergometer-Displays und sie zittern leise. Denn die Frauen bewegen sich ganz nebenbei, und mit ihnen die Maschinen: Stepgeräte, Laufbänder, Fahrräder.

Eins wissen wir natürlich schon von Iuvenal: "mens sana in corpore sano" (ein gesunder Verstand liegt im gesunden Körper). Aber ist Bewegung denn heute absolute Nebensache im Frauenfitnessstudio? Geht es hier etwa nicht um Kalorien- sondern um Textvernichtung?! Sicher, es stimmt, man kann schon einige Seiten weghauen in den 25 Minuten auf einem Laufband mit dem Programm "Die Alpen". Endlich schafft man den Günther Grass bis zum letzten Kapitel, und es gibt kein Entrinnen. Denn wer sich schon mal mit Buch auf Laufband oder Stepper gestellt hat, weiß: Das begonnene Programm läuft bis zum bitteren Ende. Aufhören ist gegen die Fitnessehre und peinlich. Es bleibt als eine Alternative zum Lesen zum Beispiel: die Augen zumachen. Das führt allerdings auf vibrierendem Untergrund zu Gleichgewichtsstörungen. Meine Trainerin Marta riet deshalb beim Probe-Training: "Du läufst unregelmäßig, festhalten."

Bloß nicht auffallen, war damals mein Ziel, aber es ging daneben. Ich hatte an alles mögliche gedacht, um mich als Sportlerin zu verkleiden: An angemessene (bauchfreie) Oberbekleidung, an die gekühlte Evian-Wasserflasche für die Pausen zwischendurch, an einen unbeteiligten Blick und Selbstverständlichkeit beim Abschreiten der Geräte. Um auch einen figurbetonten Lebensstil zu simulieren, habe ich sogar vor dem Training an der Fitnesstheke einen kleinen Obstsalat ohne Quark und Banane zu mir genommen. Alles umsonst, meine Verkleidung ist aufgeflogen, denn etwas Entscheidendes hatte ich nicht dabei: ein Buch.

Und welche Bücher sie lesen, die Frauen auf den Ergometern! Die besonders fitten findet man mit Sortiments- und Verlagskunde auf dem Crosswalker, der mit den Armen zu bedienen ist. Sie hören nebenbei Musik und pfeifen gelassen vor sich hin. Auch andere Genres sind vertreten: Auf dem Fahrrad die Sentimental-Poetische mit Australien-Roman (Jedes Herz hat seine Welt), die Humorvolle auf dem Stepper (Wenn ich ein Mann wäre, würd´ ich mich heiraten), genauso wie die Nachdenkliche auf dem Laufband: Wenn Frauen zu sehr lieben. Die heimliche Sucht, gebraucht zu werden.

Aber wie liest man den neuen Bestseller an den anderen Geräten, beispielsweise wenn man mit geradem Rücken sitzend eine Eisenstange hinter die Schultern zieht und dabei im Spiegel überprüft, ob die Unterschenkeln zu den Oberschenkeln im 90-Grad-Winkel stehen? Wie funktioniert das Schmökern auf dem Boden am Abdominal-Bauchmuskeltrainer? Was beim Gesäßtraining auf der Folterbank bäuchlings liegend noch ohne weiteres geht (Buch auf den Boden), wird mit der Eisenstange zwischen den Händen und wippend zwischen gepolsterten Abdominal-Stäben problematisch.

Macht aber nichts, denn das Fitnessstudio hat sich eine Alternative zum Lesen ausgedacht. Keine Frau muss sich langweilen bei drei Durchgängen à 25 mal Kopf in Richtung Knie am Bauchtrainer. Ein solches Gerät ist geradezu optimal für Trainierende mit einem Sinn für Informationen. Weltpolitische Ereignisse lassen sich live vom Boden aus verfolgen, denn Trainingsstunde für Trainingsstunde flimmern alle Kabelprogramme kostenlos über Bildschirme an den Wänden. Zu hören sind sie allerdings nur per Kopfhörer, schließlich müssen sich die anderen Damen auf ihre Lektüre konzentrieren können.

Konzentrieren? Kein Problem eigentlich für die Profis vom Schlage der Sortiments- und Verlagskunde-Leserin. Die sind schon so lange dabei, dass Lesen alleine nicht mehr reicht. Umblättern, fernsehen, pfeifen, das alles geht schon gleichzeitig. Nebenbei unterhalten sie sich noch. Und das spielend. Ob auf dem Crosswalker oder bei der "Tour d´ Italia" auf dem künstlichen Fahrrad. Und das Treten vergessen sie - nebenbei bemerkt - auch nicht.

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