Unter Narren

Karneval Sicherheit geht in Deutschland vor. Auch wenn sie gar nicht gefährdet ist?
Ausgabe 06/2016
Karneval feiern mit Horst Seehofer
Karneval feiern mit Horst Seehofer

Foto: Sascha Steinbach/Getty Images

Den Deutschen kann man alles erzählen. Zum Beispiel über das Geld. Es soll abgeschafft werden. In Schritten natürlich. Erst sollen hohe Beträge nur noch per Überweisung den Besitzer wechseln. Dann soll Bargeld überhaupt aus dem Zahlungsverkehr verschwinden. Der lautstarke Widerstand, der sich sogleich gegen solche Pläne vernehmbar machte, scheint ihre Ernsthaftigkeit zu bestätigen. Oder vielleicht doch nicht? Routinierte Verschwörungstheoretiker geben zu bedenken, dass diese Gedankenspiele nur deshalb jetzt als Pläne bekannt gemacht werden, damit sie neuen Empörungsstoff liefern, Gelegenheit, sich aufzuregen, ein Antidot gegen die Permanenz des Flüchtlingsthemas.

Das ist so abwegig nicht. Den Deutschen kann man alles erzählen. Zum Beispiel über das Wetter. Über die gerade zurückliegenden tollen Tage sollte das Wetter ganz stürmisch werden. Zumal für den Rosenmontag – am Rhein der beliebteste Festtag zwischen Weihnachten und Ostern – wurden für die Hochburgen des Karnevals Windstärken von acht bis zehn angekündigt. Das hätte in besseren Zeiten als Bonmot eines Büttenredners für stürmischen Beifall in jeder Festsitzung gesorgt. Jetzt aber, da es Meteorologen äußerten, wurde es ernst genommen. An vielen Orten sagten die Karnevalisten ihre lange und aufwendig vorbereiteten Umzüge ab, so in Mainz und Düsseldorf. Nur die Kölner ließen sich nicht beirren.

In Köln freuten sich die Jecken auf den Straßen über den blauen Himmel. Die Fernsehreporterin warf bei jeder Zuschaltung zur Live-Übertragung des Zuges Konfetti in die Luft, um zu demonstrieren, dass die winzigen Papierschnipsel senkrecht herunterfielen. Also: Kein Sturm nirgends, nicht einmal ein herzhaftes Lüftchen. Die Kölner freuten sich über die Pleite in Düsseldorf. In Düsseldorf erklärte man mit Narrenkappe auf dem Haupt unter blauem Himmel, dass die Kölner ihre Umzugswagen mit Holzlatten bauten, die weit weniger windanfällig seien als die Kunstwerke aus Pappmaschee, die in Düsseldorf bevorzugt werden. Deshalb seien die bei Sturm zu erwartenden Gefahren für Marschierende und Zuschauer größer gewesen als in Köln. Aus Mainz kamen Bilder von leeren Straßen und Tribünen. Es regnete kräftig. Dort sagten die Narren, dass es in Mainz auf der Route des Umzugs viele Bäume gebe. Bei Sturm könnten da Äste abgerissen werden und auf die am Straßenrand stehenden Zuschauer fallen, auch auf Kinder. Das habe man nicht riskieren wollen. Sicherheit gehe unbedingt vor.

Es ist schön, wenn Sicherheit vorgeht. Aber es wirkt hernach ein wenig lächerlich, wenn sie gar nicht gefährdet war. Man solle, heißt es unisono, nun nicht auf die Meteorologen einprügeln. Denn was wäre gewesen, wenn die nicht gewarnt hätten? Wenn der Sturm unvorhergesehen über das Rheinland gekommen wäre und etliche Menschen zu Schaden gekommen wären? Man wäre über die Wetterfrösche hergefallen. Auch das ist richtig. Aber so ist das mit den Dingen, die nicht ganz gewiss sind. Und Vorhersagen, das wusste schon Mark Twain, sind immer eine unsichere Sache, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Letztlich geht es hier immer um sorgfältiges Abwägen, und da ist Leichtsinn ebenso zu vermeiden wie die Gefahr, sich durch übertreibendes Sicherheitsgerede ins Boxhorn jagen zu lassen.

Zurück zu den Verschwörungstheoretikern. Auch das Reden über Wetter und Karneval hat das Flüchtlingsthema etwas verdrängt. Aber das war nicht die Absicht. Dafür ist das Narrenspiel eine zu ernste Sache, ernster noch als Geld. Zwar wird hier und da schon erörtert, ob die AfD nicht dadurch stark gemacht werde, dass man zu viel über sie rede. Also lieber Geld und Jecken? Nein! Man kann sich nichts schönreden, aber auch nichts schön- oder hinwegschweigen.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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