Unter Renditedruck

Literatur Wie mit Mieter:innen spekuliert wird, zeigt Philipp P. Metzgers Doktorarbeit
Ausgabe 42/2020
q.e.d.
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Foto: Christian Mang/Imago Images

Unter dem etwas sperrigen Titel Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Wohnungsmarktes hat der Autor Philipp P. Metzger seine Doktorarbeit veröffentlicht. Er geht darin der Frage nach, inwieweit auch der deutsche Wohnungsmarkt durch die Dynamiken und die Akteure des Finanzmarktes geprägt ist. Metzger beantwortet diese Frage klar mit „Ja“. Ihn interessiert jedoch vor allem, wie sich diese Finanzialisierung – im Unterscheid etwa zu den USA – konkret vollzieht.

Zunächst weist Metzger auf markante Unterschiede zwischen den Ländern USA und Deutschland hin, die als Prototypen finanzialisierter Wohnungsmärkte gelten können. Deutschland sei auch nach mehreren Jahrzehnten neoliberaler Deregulierung noch geprägt von Mietwohnungen, während in den USA dem Eigenheim ein viel größeres Gewicht zukomme. Und während in den USA und anderen Länden mit hoher Eigentumsquote die Eigenheimbesitzer:innen unmittelbar über Verschuldungsketten und Spekulation auf die Wertsteigerung der eigenen Immobilie in den Finanzmarkt integriert seien, seien die deutschen Mieter:innen nur vermittelt – über ihre neuen finanzmarktorientierten Vermieter:innen – in die Finanzialisierung eingebunden.

Auf dem Weg zur Entwicklung dieser These wird die Leserin in zwei große Themenblöcke eingeführt. Im ersten Teil des Buches bekommt der Leser eine komprimierte Einführung in eine marxistisch informierte Theorie der Finanzmärkte. Im zweiten Teil zeichnet Metzger die Entwicklung des deutschen Wohnungsmarktes und seiner gesetzlichen (De)Regulierungen nach. Er zeigt dabei unter Bezugnahme auf die Regulationstheorie und marxistische Theoretiker wie Antonio Gramsci und Nicos Poulantzas, dass ökonomische Entwicklung und politische Regulation nur aus ihrem Wechselverhältnis erklärt werden können. Für den Wohnungsmarkt zeigt Metzger, dass die politische Regulation des Mietwohnungsmarktes und ein großer öffentlicher Sektor dafür sorgten, dass überhaupt qualitativ hochwertige Mietwohnungen gebaut wurden – ein wichtiger Hinweis angesichts der Propagierung von Neubau als Pauschallösung, egal wer baut. Dass die Mieter:innen zugleich eigentumsgleiche Rechte an ihren Mietwohnungen geltend machen können, ermöglichte überhaupt erst, dass sich das Mietverhältnis als stabile hegemoniale Wohnform entwickelte.

Metzger zeigt, dass dieses Arrangement trotz zahlreicher politischer Versuche, es aufzubrechen, noch immer relativ stabil geblieben ist. Vor diesem Hintergrund deutet Metzger den Aufstieg der Immobilien-Aktiengesellschaften (Immo-AGs) gewissermaßen als zweitbeste Lösung für das Finanzkapital, um überhaupt auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Er zeigt, dass deren Interesse an einem langfristigen Investment auch als Drohung aufgefasst werden kann. Angesichts des Renditedrucks der Finanzmärkte erhöhen die Unternehmen den Druck auf die Mieten. Die Professionalisierung der Bewirtschaftung bedeutet für Mieter:innen aber vor allem, dass systematisch Möglichkeiten zur Mieterhöhung (etwas durch Modernisierung) erschlossen und genutzt werden. Gleichzeitig unterbleiben Instandsetzungen, die nicht auf die Miete umgelegt werden können.

Verdienstvoll ist, dass Metzger auch die Perspektive und Kämpfe der Beschäftigten in die Darstellung miteinbezieht. Es bleibt ein hoffnungsvoller Ausblick. Metzger hält die Hegemonie der finanzialisierten Mietform für „sehr schwach und instabil“. Kampagnen wie „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ arbeiten daran, sie weiter zu schwächen.

Info

Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Wohnungsmarktes Philipp P. Metzger Verlag Westfälisches Dampfboot 2020, 310 S., 30 €

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