Unter sich

Sanft Der 14. Open Mike-Literaturwettbewerb in Berlin

Trotz Pisa: Die jungen Leute im deutschsprachigen Raum sind weder talentlos noch fehlen ihnen Kenntnisse, über die Vorgängergenerationen womöglich in Fülle verfügt hätten. Sie sind originell, ehrgeizig, gewandt und - im jahrzehntelang üblichen Durchschnitt - talentiert. Ihnen ein Wochenende lang zuzuhören, bringt die Erkenntnis, dass mindestens die, die es bis in die Endrunde des literarischen Wettbewerbs für junge Autoren geschafft haben, durchaus wortgewandt die Familie, sich selbst oder das etwas weitere Umfeld beobachten und beschreiben können - altersgerecht also -, allerdings erstaunlich selten literarisch attackieren.

Der Rahmen des zum 14. Mal ausgeschriebenen Open Mike regelt streng, dass für jeden Bewerber um diesen renommierten Literaturpreis maximal 15 Minuten Lesezeit zur Verfügung stehen, eine Debatte nicht stattfindet, der Text also, so wie entworfen, wirken muss. Da ist es dann keine Kunst, kritisch anzumerken, dass die dominierende Form die auf 15 Minuten konzipierte Kurzgeschichte ist und andere Entwürfe weitgehend fehlen. Sie hätten - das lässt sich vorhersehen - wenig Chancen, weil sich die Kraft eines Romans, die Faszination einer Novelle nicht unbedingt auf den ersten Seiten entfalten. Die vom Lektorat - sechs Lektoren und Lektorinnen für 670 Einsendungen - warm empfohlenen Gedichte fielen aus der Wertung, weil sich die dreiköpfige Jury außerstande sah, die Gedichte gegen die eingereichten anderen Arbeiten gerecht zu wägen. Es war nicht das erste Mal, dass deshalb für Lyrik ein eigener Wettbewerb angeregt wurde. Gekommen ist er nicht.

Dass in den nächsten Jahrzehnten keine Literatur von Belang entstehen wird, ist allerdings nicht zu befürchten, eher schon, dass solche Wettbewerbe dem Alltag einengender Sparzwänge zum Opfer fallen. Es hätte den diesjährigen nicht gegeben, wenn nicht die Crespo-Foundation eingesprungen wäre. Eine Stiftung, die sich der Förderung von Kunst und Literatur widmen will und gerade rechtzeitig in Deutschland angekommen ist.

Solche Wettbewerbe bieten, neben der Chance, als Sieger hervorzugehen und ein kleines Preisgeld zu gewinnen, die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, vor allem zu Verlagen und Verlegern, die das zunächst anonyme Vorlektorat übernehmen, um dann, nach der Zuordnung der Texte zu konkreten Autoren, kurz vor der Lesung intensivere Gespräche zu führen. Aber auch zu gleichaltrigen Literaturinteressierten und Schreibern außerhalb der offenbar ganz erfolgreich arbeitenden Institute und Schreibschulen. Ein gutes Drittel der Texte kommt von Autoren, die am Literaturinstitut in Leipzig studieren, ebenfalls zwei der Preisträgerinnen.

Anfängerfehler unterlaufen ihnen selten, die Geschichten sind in der Regel perfekt gebaut, geschliffen durchgearbeitet, formulieren aber sehr häufig - wie die Jury anmerkte - im Präsens, selbst dann, wenn eine Geschichte in der Vergangenheit angesiedelt ist. Zu vermuten ist entweder, dass die Autoren weitgehend in sich selbst leben, die Spiegelung der Innenwelt als Abbild der Außenwelt verstehen oder angehalten sind, Engagiertheit mit dem Thema über diese Form zu suggerieren. Tatsächlich bleiben die Turbulenzen der sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen eher auf der Strecke. Auch wenn Hartz IV, Arbeitslosigkeit, Vergewaltigung und Inzest Themen sind, die Sprache bleibt sanft, sie vermeidet das direkte Wort, so, als könnte es einen literarischen Text stören. Konflikte zwischen den Kulturen gibt es kaum. Deutschland als Einwanderungsland existiert nicht, alle bleiben unter sich.

Das zu kritisieren und dieser Generation anzulasten, wäre zu leicht. Es hat etwas mit der Erfahrung dieser Jungen zu tun, wie zwei der drei gleichberechtigt preisgekrönten Texte beweisen. In Luise Boeges Der Optophonet ist allein das Kafkaeske geeignet, eine Gesellschaft, in der sich Begriffe, Dinge und Personen verwirren, ineinander flechten, in der das Menschliche als Besonderes verschwimmt, noch als Lebensraum kenntlich zu machen. Bei der Geschichte der zweiten Preisträgerin Julia Zange Küsst euch auf die Münder ist die Welt eine Katastrophe ohne Folgen, eine kalte Plattform der Eitelkeiten. Die dritte Preisträgerin Katharina Schwanbeck mit dem Text Jargo setzt ihre Hauptfigur selbst in den erotischen Beziehungen der Außenwelt nicht mehr aus. Selbst Veränderung, das jedenfalls sagen die Texte, krempelt nichts um.


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