Unter uns der Schlund

Kacheln U-Bahnhöfe sind oft schützenswert und schön. Eine Berliner Ausstellung zeigt uns, wie sehr
Ausgabe 09/2019

Unter der Oberfläche der Stadt, tief unten, befindet sich ein Netz mit Schlünden, Röhren, Kabeln und Glasfasern. Das Netz ist stetig gewachsen, wie ein Rhizom, ist längst ein Gesamtkunstwerk geworden. Es hält uns am Leben, zumindest solange wir unsere Rechnungen zahlen. Das größte dieser urbanen Wunder, die U-Bahn, bohrt sich durch Sand und unter Flüsse hindurch, wir können mit einer Rolltreppe runterfahren und uns durch den Körper der Stadt bewegen wie der Held in Fantastic Voyage von 1966 in einem auf Mikrogröße geschrumpften U-Boot durch den Körper eines Menschen.

U-Bahn-Bau ist immer schon und eigentlich überall ein linkes Projekt gewesen – die Rechte baut lieber Autobahnen –, aber die Zeit der großen Technik- und Maschinenbegeisterung ist schon 100 Jahre vorbei. Niemand liebt noch die U-Bahn. In Berlin nicht mal ihre Betreiberin, die BVG, die zwar behauptet, „Wir lieben dich!“, der wir angesichts ihrer ästhetischen Egal-Haltung und der Vernachlässigung ihrer Bahnhöfe am liebsten entgegenrufen würden: „Lieb doch erst einmal dich selbst!“

Die Konkurrenz zum Osten

Von einer Zeit, in der das noch nicht nötig war, handelt die Ausstellung Underground Architecture, die sich der Gestaltung und dem Bau von U-Bahn-Stationen der letzten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts widmet, einer Zeit, in der besonders der Westen durch die Konkurrenz zum Osten beflügelt wurde. 27 von 82 Bahnhöfen stehen zum Glück heute unter Denkmalschutz. Zu verdanken ist das der Initiative Kerberos, die sich seit 2016 für den Erhalt von U-Bahnhöfen der Nachkriegszeit einsetzt, die Alarm schlug, als die BVG plötzlich anfing, allerorten bunte Kacheln abzuschlagen. Der Bahnhof Yorckstraße, bis 2016 „mittsiebzigerorange wie eine Packung Nimm 2“ (Peter Richter, SZ), ist leider unwiederbringlich verloren.

Die Stadtplanerin und Mitinitiatorin Verena Pfeiffer-Kloss hat dabei einen der Untergrundarchitekten zwischen 1962 und 1996 wiederentdeckt. Mit Rainer G. Rümmler entstand die U 7, mit ihrer Länge von 30 Kilometern und den 40 Bahnhöfen war sie eine Zeit lang der längste Tunnelbau der Welt. Sie funktioniert, wenn man sie vom Südosten der Stadt bis nach Norden abfährt, wie eine kohärente Erzählung, wie eine Reise durch die Kunst- und Architekturgeschichte der Nachkriegsmoderne. Es geht los mit den reduzierten, mit Ziegeln und Kacheln gestalteten Farbflächen der frühen 1960er, weiter zur Pop-Art des mittleren Streckenabschnitts bis hin zum überbordenden Eklektizismus der Postmoderne in den zuletzt fertiggestellten Bahnhöfen kurz vor Spandau.Die Ausstellung selbst kann nur als Anregung dienen, sich weiterzubeschäftigen, zum Beispiel mit Pfeiffer-Kloss’ Band Der Himmel unter West-Berlin. Die post-sachlichen U-Bahnhöfe des Baudirektors Rainer G. Rümmler (urbanophil, 2019). Auch weil sich neues Ungemach ankündigt, gerade droht vielen U-Bahn-Stationen der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn die zweckmäßige Umgestaltung.

Im Mittelpunkt der Ausstellung befindet sich denn auch die Nachbildung des Höllenhundes Kerberos der Station Rathaus Steglitz, der den Eingang zur Unterwelt bewacht und nicht von ungefähr an den Engel der Siegessäule erinnert, von dessen Schultern aus Bruno Ganz und Otto Sandersim Himmel über Berlin auf die Stadt schauen.

Info

Underground Architecture – Berliner U-Bahnhöfe 1953 – 1994 Berlinische Galerie, Berlin

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