Zum Tod von Rudolf Augstein: Unternehmen Aufklärung
Der Spiegel Im eigenen Haus wollte Rudolf Augstein die NS-Vergangenheit mancher Mitarbeiter nicht aufklären. Dennoch hat der „Spiegel“-Herausgeber sich um die Demokratie verdient gemacht
Auf seinem Grab solle stehen: "Der hier liegt, starb zu früh." Das wünschte sich einmal Rudolf Augstein. Er hat recht behalten. Er ist - zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag - zu früh gestorben.
Vor vier Jahren gab Rudolf Augstein der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Da sagte er, es gehe ihm wie Koldinger, dem skandinavischen Eulenspiegel. Der kommt in den Laden, um seine Schnapsration zu kaufen. Ich habe nur noch zwei Flaschen, sagt der Verkäufer, in der einen ist Schnaps und in der anderen ist Methylalkohol, ich weiß nur nicht, in welcher. Gib her, sagt Koldinger, ich habe das meiste gesehen.
"So geht es mir auch", sagte Augstein, "ich sitze abends vor dem Fernseher und höre zu. Ich weiß jetzt viel über Kamele in der Wüste. Und über
le in der Wüste. Und über die Galapagos-Inseln. Warum muss ich noch wen kennenlernen?""Er war da und blieb - bis zum letzten Tag", erklärt der Spiegel diese Woche in seiner Hausmitteilung "Betr.: Rudolf Augstein". "Er war da und blieb die Seele des ›Unternehmens Aufklärung‹, das der Spiegel war und ist..."Unternehmen Aufklärung? 1992 hatte sich Rudolf Augstein etwas bescheidener ausgedrückt und damit doch ein grelles Licht auf des Spiegels frühe Jahre geworfen. In der Kampagne, die der Spiegel damals gegen Stasi-Verbindungen Manfred Stolpes betrieb, schrieb Augstein: "Aber kann denn der Spiegel, der seit 45 Jahren aufklärerisch zu wirken sich bemüht, jetzt auf einmal Akten unterdrücken." Schließlich figurierte der "senile Erich Mielke" im Spiegel "schon 1950 als Doppelmörder".Ich studierte darauf Ausgaben der frühen Jahre und entdeckte einen ganz anderen Augstein. Etwas zerbrach. Dieser Augstein war nicht mehr das Vorbild meiner frühen Jahre, nicht mehr der große Journalist. Wie die Herren von der "Gegnerforschung" aus der Terrorzentrale des NS-Reiches, aus Reinhard Heydrichs Reichssicherheitshauptamt, den Spiegel redigierten und für ihre ehemaligen Kollegen funktionalisierten, das ist mir erst 1992 klar geworden.Ja, er starb zu früh. Wie wäre es, wenn er in der Zeit, die ihm noch geblieben war - und ich wünschte ihm noch viele Jahre - versucht hätte, sich selbst kennen zu lernen und nicht die Kamele in der Wüste. Wenn er endlich die Memoiren zu Ende geschrieben hätte, die er seit mehr als einem Jahrzehnt versprach? Das hatte ich immer noch gehofft und es am Ende meiner Augstein-Biographie geschrieben - deren Manuskript lag dem Spiegel, und damit wohl auch ihm, seit April vor. Ich hatte gehofft, dass er das eine oder andere, was ich ihm vorwerfen musste, erkläre oder - noch besser - widerlege.Rudolf Augstein hat sich Verdienste erworben. Ohne ihn würde die Bundesrepublik Deutschland ganz anders aussehen, sie wäre ein autoritärer Polizeistaat geworden. Zu Recht hat der Spiegel-Herausgeber Konrad Adenauer vorgeworfen, dass man mit Hans Globke, dem Kommentator der NS-Rassengesetze, einen demokratischen Staat nicht aufbauen kann.Es ist Augsteins Tragik, dass er da nicht in den Spiegel sehen wollte. Als Herausgeber, hatte er alle Möglichkeiten, im eigenen Haus aufzuklären. Er wollte nicht erkennen, dass man mit Heydrichs Helfern aus dem Reichssicherheitshauptamt als Ressortleiter nicht ein deutsches Nachrichtenmagazin aufbauen durfte. Er war aus dem Krieg gekommen, konnte nicht mehr, wie er wünschte, studieren, machte ein Nachrichtenblatt der Engländer. Und schon mit 23 Jahren war der dem Krieg entflohene Artillerieleutnant Redaktionsleiter des Vorläuferorgans Diese Woche, dessen wilder Nationalismus die englische Besatzungsmacht so empörte, dass sie sich selbst der Verantwortung entledigte und Augstein das Blatt überließ. Es erschien weiter als Der Spiegel, zunächst in Hannover.Da wurde der junge Augstein an die Hand genommen. Vor den Toren der Stadt residierte auf Gut Twenge der erste Chef der Gestapo Rudolf Diels, der unmittelbar vor dem Reichstagsbrand auch den Haftbefehl für Carl von Ossietzky ausstellen ließ und für tausend andere. Augstein ließ sich von ihm erzählen, dass er "niemandem geschadet und vielen genutzt" habe, gab das so unkritisch dem "lieben Spiegel-Leser" weiter. Der Gestapo-Chef durfte über viele Fortsetzungen hinweg eine Rechtfertigungsserie schreiben mit dem Titel Die Nacht der langen Messer fand nicht statt.Und so ging es weiter. Bernhard Wehner aus dem Reichssicherheitshauptamt wurde Kriminalreporter des Spiegel - er war ein Vertrauter von Reichskriminalpolizeichef Arthur Nebe, dem Anführer des Einsatzkommandos B (45.467 Morde im Osten). Wehner schrieb zusammen mit Augstein die längste Spiegel-Serie, die es je gab. Die Vergasung der "Irren von Minsk" wurde da als Notwendigkeit beschrieben und Augstein ("Wir alle sind kleine oder größere Nebes") plädierte dann in einer eigenen Kolumne für die Wiedereinstellung der "kaltgestellten" und "zwangspensionierten" Nebe-Helfer in den Kriminaldienst.Und so ging es weiter. In der vielbeachteten Spiegel-Rubrik "Panorama" veröffentliche SD-Hauptsturmführer Horst Mahnke wertvolle Tipps für seine ehemaligen Kollegen. Ja, das ist kaum zuviel gesagt, der Spiegel wurde vom ehemaligen Reichssicherheitshauptamt redigiert.Aber, Augstein konnte auch anders. Er, der noch vor Gründung der Bundesrepublik als Mittelsmann von alten Hitler-Generalen mit dem damaligen Präsidenten des Parlamentarischen Rates Konrad Adenauer für eine - damals streng verbotene - Wiederaufrüstung konspirierte, dieser Rudolf Augstein wurde durch eine überwältigende Leserumfrage vom Gegenteil überzeugt. Er wurde zum Gegner Adenauers, zum Gegner einer Remilitarisierung, zum Demokraten. Und im Kampf gegen Strauß gewann er, auch als Verteidiger des Rechtsstaats, vollends Profil. Sein Verdienst ist es, dass Franz-Josef Strauß nicht Bundeskanzler wurde.Als Augstein während der sogenannten Spiegel-Affäre im Gefängnis saß, suchte ihn sein stellvertretender Chefredakteur und vormals SD-Hauptsturmführer Georg Wolf beiseite zu schieben und den Spiegel regierungsfromm zu gestalten. Verantwortlich für den Überfall auf den Spiegel zeichnete der ehemalige SD-Hauptsturmführer Theo Saevecke aus dem Bundeskriminalamt - ein Ex-Kollege Wolfs aus dem Reichssicherheitshauptamt. Solchen Leuten hatte Augstein mit seinem Nebe-Plädoyer wieder ins Amt verholfen.Das Selbstverständnis des Spiegel als Recherche-Organ verdanke sich ganz eindeutig der Herkunft wichtiger Mitarbeiter aus dem Umfeld des nationalsozialistischen SD, sagte Hans Leyendecker, selbst einmal investigativer Journalist des Spiegel wenige Tage vor Verleihung des Börne-Preises an Rudolf Augstein. "Da hatten die ihre Ermittlungsmethoden gelernt."Sich von den Ursprüngen des Spiegel in den sechziger Jahren allmählich befreit zu haben, das ist ein Verdienst Rudolf Augsteins, das er selbst kaum mehr wahrgenommen hat. Im Alter regredierte er auf seinen frühen Nationalismus, reaktivierte auch die antisemitischen Stereotypen, die ihn einst beherrschten.Dass er gleichwohl der Journalist des Jahrhunderts war, wird heute von wenigen bezweifelt. Repräsentativ für den Journalismus in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde er auf jeden Fall.Während er noch lebte, verkam der Spiegel unter seinem publizistischen Ziehsohn Stefan Aust zum Komplementärorgan von Focus. Der kranke Augstein konnte - er scheint einen Versuch gemacht zu haben - das Ruder nicht mehr herumwerfen.Doch der Spiegel hat vielleicht noch eine Chance, wieder das zu werden, was ihm einmal seinen guten Ruf einbrachte. Angehörige und Mitarbeiter könnten sich auf Franziska Augstein als Herausgeberin einigen. Sie hat bewiesen, dass sie eine hervorragende Journalistin ist. Chefredakteur Stefan Aust, mit seinem hellwachen Instinkt, hat wenige Stunden nach Augsteins Tod die Gefahr für seine Alleinherrschaft erkannt. Er verriet in seiner Hausmitteilung "Betr.: Rudolf Augstein" - man sollte studieren, wer breit im Mittelpunkt des beigegebenen Konferenzfotos sitzt, und wer nicht - die Absicht, die ihm vorgesetzte Stelle abzuschaffen und schrieb: "Nach ihm kann und wird es keinen Herausgeber geben, der diesen Titel verdient. Die Schuhe sind zu groß."So wird die scheinbare Verehrung eines großen Toten zur schamlosen Verteidigung und Ausweitung von Besitzständen instrumentalisiert.
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