Unterwegs im Land der Morgenstille

Im Gespräch Der Verleger Günther Butkus über alte und neue Utopien in der koreanischen Literatur

FREITAG: Wenn uns auf der Buchmesse die koreanische Literatur nahe gebracht wird - gibt es da nicht ein Vermittlungsproblem? Haben wir überhaupt genügend kompetente literarische Übersetzer?
GÜNTHER BUTKUS: Es ist wirklich eine junge Tradition, wir haben 1998 damit angefangen. Es gab seit den sechziger Jahren schon vereinzelt Übersetzungen aus dem Koreanischen, aber doch nicht so gezielt, wie das in den letzten zehn Jahren angegangen worden ist. Das ganze Netzwerk, das man braucht, um eine Literatur aus einem hierzulande wenig bekannten Sprachraum zu übersetzen - also nicht nur Übersetzer, sondern auch geübte Lektoren und eingelesene Buchhändler und Journalisten - dieses Netzwerk ist erst in den Anfängen. Wir sind dabei, diese Strukturen aufzubauen und gleichzeitig die Bücher zu produzieren. Es gibt in diesem Zusammenhang vielleicht ein Dutzend Übersetzer, die auch im literarischen Sinne gut sind. Aber es muss noch eine ganze Generation nachwachsen, damit man da genügend profilierte Übersetzer hat. Bei einigen koreanischen Lyrik-Büchern in meinem Verlag haben auch deutsche Lyriker bei der Übertragung mitgewirkt: Hadayatullah Hübsch bei Kim Hyon-Seung (Der Mai Koreas), Hanne F. Juritz bei Hyesoon (Die Frau im Wolkenschloss) und nicht zuletzt Matthias Politycki bei Kwang-Kyu (Die Tiefe der Muschel).

Auch bei anderen koreanischen Lyrikbänden, die jetzt anlässlich des Buchmessenauftritts erscheinen, waren deutsche Lyriker an der Übertragung beteiligt, zum Beispiel Matthias Göritz bei der Übersetzung des frühen Modernisten Yisang und des populären Kim Chi-ha. Übertragen diese Lyriker das Original im Sinn einer Nachdichtung? Philologische Treue kann man da ja nicht voraussetzen...
Der alte Begriff der Nachdichtung ist im Grunde immer besser als das, was wir heute als Übersetzung bezeichnen, auch jeder Roman kann nur eine Nachdichtung sein. Bei den Gedichten ist es nun mal wichtig, dass auch die Diktion und die Setzung der Sprache lyrisch ist - und nicht daherkommt wie eine inhaltistische Prosaübersetzung. Und das wird auch die Intention von Autoren wie Matthias Politycki oder Matthias Göritz sein: Wie fließt die Sprache, wie ist das Klangbild?

Inwiefern hat denn beispielsweise Matthias Politycki, mit dem Sie 1999 in Korea unterwegs waren, in seinem Gedichtband "Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe" (2003), der mit ironischen Poemen den Korea-Aufenthalt reflektiert, die koreanische Lebenswelt eingefangen?
Er hat schon sehr schön pointiert und überspitzt in seinen Gedichten. Wir waren gemeinsam mit Uwe Kolbe unterwegs und hatten ziemlich viel Spaß - und die Gedichte fangen das ein in ihrem absurden Witz. Wir waren ja völlig unvorbereitet, und die koreanische Lebensweise, das Essen und die Kultur waren für uns sehr fremd - und das hat Matthias sehr schön in seinen Poemen transportiert.

Korea, "das Land der Morgenstille", litt sehr lange unter chinesischer Hegemonie, ab 1910 dann unter der brutalen japanischen Kolonisation, die auch mit sprachlicher Repression verbunden war. Erst 1945 ging das zu Ende, dann konstituierten sich im Gefolge des Kalten Krieges ab 1948 zwei Diktaturen. Ab wann kann man eigentlich von einer eigenständigen koreanischen Literatur sprechen?
Ich denke, man kann erst ab den Fünfziger Jahren von einer modernen koreanischen Literatur sprechen. Ab diesem Zeitpunkt haben die Koreaner in ihrer eigenen Sprache - ihrem "Hangul" - schreiben dürfen. Vorher mussten sie mit chinesischen oder japanischen Zeichen und Wörtern arbeiten. Weder die Inhalte noch die Sprache, die sie wählen durften, waren frei. Die Generation der heute Siebzigjährigen um Lee Hochol oder Ko Un haben nach dem Bruderkrieg und nach der Besatzungszeit versucht, eine eigene Identität in der Literatur herzustellen. Das war für einige Autoren zunächst eine notwendige Vergangenheitsbewältigung, aber auch eine sprachliche und literarische Orientierung. Diese Autoren haben erst eine Plattform geschaffen, auf der die Literatur der achtziger und neunziger Jahre aufbauen konnte. Eine sehr große Rolle spielt dabei die Aufarbeitung des Korea-Krieges - wenn es hierzulande so viele Romane über die DDR oder über die Mauerbau gäbe wie in Korea über den Bruderkrieg, da könnte man ganze Buchhandlungen damit füllen. Die älteren Autoren arbeiten dieses Thema immer noch auf.

Ein Autor wie Ko Un kehrt immer wieder zum Thema der Teilung Koreas und der Hoffnung auf Wiedervereinigung zurück - ist dieses Thema eigentlich auch in der Lyrik zentral oder ist das eher eine Domäne des Romans?
Bei den Romanen ist es mir stärker aufgefallen, gerade auch wegen der Menge der Publikationen. Vor zwei Jahren, beim Literaturfestival in Berlin, hat der Dichter Ko Un etwa folgendes gesagt: Meine Generation muss erst sterben, damit wirklich eine Annäherung zwischen beiden Koreas möglich ist. Denn aus seiner Generation sind ja sechs Millionen Koreaner im innerkoreanischen Krieg gestorben. Jedenfalls ist das nationale Trauma noch ganz massiv präsent in der Generation der Autoren um Ko Un. Und da gibt es auch ganz unterschiedliche Positionen zwischen Hass und Ablehnung bis hin zum Gedanken einer nationalen Versöhnung.

Nun werden zur Buchmesse 100 Bücher aus Korea vorgestellt. Was sind das für Bücher? Welche Bedeutung haben diese Autoren?
Im Grunde genommen wollen die Koreaner einen Kanon erstellen. Sie haben 100 Bände vorgeschlagen, von denen sie wünschen, dass sie weltweit publiziert werden. Für den deutschen Sprachraum sind wohl 22 vorgesehen sind. Zu diesen 100 Büchern gehören aber auch Übersetzungen ins Englische, Französische oder Spanische. Zu den 22 auf Deutsch erscheinenden Publikationen gehören nicht nur literarische Titel, sondern auch einige Sachbücher bis hin zu Büchern über Kunsthandwerk und Kunstgewerbe. Die literarischen Titel erscheinen nun bei dtv, bei Wallstein, Suhrkamp, Droschl, der Edition Peperkorn und bei uns im Pendragon Verlag.

Interessant ist ja, dass die zwei großen Linien, die in der koreanischen Literatur seit den achtziger Jahren präsent sind, auch heute noch ihre Kontroversen ausfechten. In den achtziger Jahren haben die Intellektuellen gesagt: Wir wollen in einem freien Südkorea leben - und haben dann auch gesellschaftliche Änderungen verlangt. Das ist die Fraktion der Autoren, die sich gesellschaftspolitisch engagiert haben und auch auf die Straße gegangen sind. Es gab aber auch den konträren Ansatz, der sagt: Literatur muss neutral bleiben und darf sich nicht politischen Themen zuwenden. Wenn diese beiden Fraktionen heute bei Literaturfestivals zusammentreffen - das habe ich selbst erlebt - dann kommt es immer noch zu Friktionen.

Danach kommt erst die Generation der jungen Autoren, die weder das Oberthema Bruderkrieg haben noch das Oberthema Militärdiktatur - sondern neue Wege beschreiten und nicht mehr an einem homogenen Thema arbeiten.

Es gab bereits im Frühjahr eine Lesereise einer kleinen Schar koreanischer Autoren durch Deutschland. Waren das die wichtigsten Autoren des Landes?
Auf koreanischer Seite hat man versucht, alles thematisch zu bündeln. Und deshalb sind die Gruppen, die diese Lesereise gemacht haben, unter bestimmten Schwerpunkten gereist und entsprachen oft den literarischen Fraktionierungen innerhalb des Landes. Man kann nicht automatisch sagen, dass es sich um die bedeutendsten Autoren handelt. Ein bisschen absurd war, etwa bei der Lesereise durch Nordrhein-Westfalen, dass von zwei Dritteln der angereisten Autoren gar keine Übersetzungen ins Deutsche vorlagen. Das ist für Leser, Buchhändler, Journalisten und auch für uns Verleger nur bedingt sinnvoll.

Kommen wir zu den Funktionsweisen des Literaturbetriebs in Korea....
Die Autoren in Korea haben ja einen Stand und ein Ansehen, das wir uns in Deutschland gar nicht vorstellen können. Sie haben meist auch eine ganz andere wirtschaftliche Stellung, weil die Bücher sich sehr gut verkaufen...

Wie viele Gedichtbände verkauft denn so ein prominenter koreanischer Lyriker in der Regel?
Das ist gar kein Problem, dass da auch mal fünfzehntausend Exemplare verkauft werden. Die Koreaner denken dann, wenn sie nach Deutschland kommen, an Thomas Mann, Rilke oder Eichendorff - und machen sich große Hoffnungen, wenn ihre Bücher hier erscheinen. Denn sie stellen sich einen riesigen Literaturmarkt vor. Da gibt es dann irritierende Blicke, wenn tausend verkaufte Exemplare eines Lyrikbands hierzulande schon als Erfolg gefeiert werden. Als ich in Korea war, habe ich bemerkt: Die im literarischen Betrieb angesehenste Gattung ist die Lyrik. Dort gibt es ja eine Unzahl von literarischen Zeitschriften und Magazinen, viel mehr als bei uns, in denen Gedichte gedruckt werden. Ganz klar kann man von einem Boom des koreanischen Büchermarkts sprechen.

Wir sehen bei uns einige Segmente der südkoreanischen Literatur. Was sehen wir von nordkoreanischer Poesie?
Leider gar nichts. Zwar ist kürzlich ein historischer Roman aus Nordkorea in Südkorea erschienen und mit einem Preis ausgezeichnet worden. Mir sagen aber immer wieder Übersetzer und Autoren: Es erscheinen durchaus Bücher aus dem Norden in Südkorea, aber die sind so stark gefiltert und abgeschlankt worden, dass man die nicht wirklich lesen will. Von daher muss man wohl davon ausgehen: Wenn im Moment spannende und für uns interessante Literatur in Nordkorea entsteht - dann wird das für die Schublade geschrieben. Bedenken Sie die Lage: Es gibt ja noch immer kein Friedensabkommen zwischen Nord- und Südkorea, sondern nur einen Waffenstillstand. Nun hat es zwar im vergangenen Oktober einen großen Schriftstellerkongress in Nordkorea gegeben, an dem auch viele Schriftsteller aus dem Süden teilgenommen haben. Dort hat es aber keine inhaltlichen Gespräche gegeben. Es war eher ein Kaffeekränzchen unter Bewachung. Gleichwohl ein politisches und kulturelles Signal für den Dialog zwischen Nord- und Südkorea.

Das Gespräch führte Michael Braun

Günther Butkus, geboren 1958, studierte Literaturwissenschaft und gründete 1981 den Bielefelder Pendragon Verlag, in dem so unterschiedliche Autoren wie Friedrich Christian Delius, Hellmuth Opitz, Fred Breinserdorfer und Bernhard Lassahn veröffentlichen. 1997 entdeckte Butkus, angeregt durch den Roman Wind und Wasser von Kim Wonil, seine Leidenschaft für die koreanische Literatur. Seither sind in seiner "Edition moderne koreanische Autoren" 30 Titel erschienen.


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